Ungezwungene Treffen mit Politikern könnten für beide Seiten ein Gewinn sein
Haben Sie sich schon einmal ernsthaft gefragt, mit wem aus der Ampelregierung Sie am liebsten einen Kaffee trinken würden? Nicht? Ehrlich gesagt habe ich darüber auch noch nicht sinniert. Warum auch? Schließlich bin ich mit keinem Vertreter der Bundesregierung verwandt oder verschwägert, bin nicht Mitglied in einer Partei, und zudem stellt mein Heimatbundesland gerade keinen Bundesminister. Alles in allem habe ich also ziemlich schlechte Karten, jemals eine oder einen aus der aktuellen Ministerriege zu treffen.
Doch als ich letztens von einer Umfrage las, warf das mein Kopfkino an. Gefragt wurde danach, mit wem man eher Lust hätte, einen Kaffee trinken zu gehen – entweder mit Bundesfinanzminister Christian Lindner oder Vizekanzler Robert Habeck. 17 Prozent der Befragten würden sich demnach mit Lindner auf einen Kaffee treffen, immerhin 26 Prozent würden das am liebsten mit Habeck tun. Und fast 42 Prozent würden sich mit keinem von beiden zum Kaffeekränzchen verabreden.
Ich würde ganz klar Habeck Lindner vorziehen. Einfach, weil er für mich nahbarer, sympathischer und interessanter ist als der FDP-Mann. Das Schöne an solchen Treffen wäre, auch wenn ihnen etwas Gezwungenes anhaften würde, dass sie für Politiker wie Normalbürger eine Win-win-Situation sein könnten. Der Souverän könnte einen Regierungsvertreter aus nächster Nähe erleben, und der könnte seinerseits beweisen, dass er wirklich nahbar ist – selbst entgegen seiner mitunter zur Schau gestellten Arroganz und Überheblichkeit.
Nehmen wir an, ich könnte tatsächlich eines Tages mit Robert Habeck Kaffee trinken. Wie dann die Zeit rumkriegen? Wo treffe ich ihn? Wie viel Zeit hat er? Soll ich mit zur Toilette gehen, wenn er mal muss? Natürlich nur um das Gespräch am Laufen zu halten und um gar nicht erst den Moment der Verunsicherung entstehen zu lassen, wenn er nach dem Toilettengang wieder an den Tisch zurückkehrt. Ein Kaffeeplausch mit Habeck sollte auf jeden Fall nicht zu durchgeplant sein. Ich würde meinem Gegenüber genug Raum für Spontaneität und Entfaltung lassen.
Ich stelle mir also vor, dass mein Wunsch-Kaffeetrink-Partner nicht wider Erwarten unser Treffen abgesagt hat und sich mir gegenüber auf einen Stuhl fallen lässt. Habeck wird höchstwahrscheinlich wenig geschlafen haben, abgekämpft und fahrig wirken. Aber das wäre mir egal. Zur Begrüßung würde er mir die Hand schütteln. Um das Vorgeplänkel abzukürzen, würde ich ihn dazu ermuntern, dass er die kurze Auszeit nutzt, um aus einem seiner Bücher zu lesen. Wer Habeck aus Interviews und Talkshows kennt, weiß, dass er eine ideale Vorlesestimme hat. Wenn ich ihm zuhöre, kann ich gut entspannen. Jeder von uns würde profitieren – ich, indem ich in den Genuss einer Habeck’schen Live-Lesung komme, er, indem er lesend Werbung für seine Bücher macht.
Aus welchem seiner Bücher sollte er vorlesen? Ich würde ihn fragen, ob er mir aus dem Buch „Kleine Helden, große Abenteuer“ vorliest, das er zusammen mit seiner Frau Andrea Paluch geschrieben hat. Habeck würde darauf irritiert mit den Augen blinzeln, verschmitzt lächeln und einen E-Book-Reader aus seiner braunen Umhängetasche ziehen. „Na, das kann ich gern machen. Aber verfehle ich jetzt nicht die Zielgruppe?“, würde er zurückfragen. Ich würde kurz die Schultern hochziehen und erwidern: „Machen sie ruhig! Ich suche Inspiration für neue Bücher, aus denen ich meinen Kindern vorlesen kann.“
Worauf Robert Habeck freundlich lächeln und sagen würde: „Supi! Diesen Ansatz möchte ich natürlich gern unterstützen.“ Er selbst habe seinen vier Söhnen oft vorgelesen. „Als Erstes lese ich die Geschichte über ein Familien-Experiment vor, angestoßen von zwei Jungen. Im Mittelpunkt steht ein Geschwistertausch durch den letztlich die beiden Schwestern der Jungen zusammenwohnen und die beiden befreundeten Jungs auch“, erzählt Habeck, bevor er zu lesen anfängt. Die Zeit vergeht wie im Flug, so kommt es mir vor. Zwischendurch unterbricht er, um auf sein Smartphone zu schauen. Ich denke nur: „Mensch, langsam muss er doch mal aufhören!“ Offenbar findet Habeck Gefallen an der Alltagsflucht. Politiker sollten sich öfter mit Leuten treffen, die nicht dem politischen System angehören. Ohne sich zu verbiegen, könnten sie bei einer Tasse Kaffee auf die Wünsche anderer eingehen.