Mit dem am 19. März 1953 auf der Frankfurter Automobilausstellung präsentierten Messerschmitt Kabinenroller nahm das Jahrzehnt der Rollermobile als Nachkriegs-Alternative zu Motorrädern oder vielen noch unerschwinglichen Pkw-Modellen seinen Anfang.
Zwangsläufig wirkt es ja nicht gerade, dass ein Flugzeug-Ingenieur auf die Idee kommen sollte, ein dreirädriges, gegen die Unbilden des Wetters mit Stoff überdachtes Fahrrad zu entwerfen. Während des Zweiten Weltkrieges hatte Fritz Fend bei der Regensburger Messerschmitt AG Kampfjets mit entwickelt, darunter mit der Me 262 das erste in Serie gebaute Strahlflugzeug. Freilich musste sich der Mittzwanziger, der ein Luftfahrtstudium an der Technischen Hochschule in München absolviert hatte, nach der Niederlage Hitler-Deutschlands nach einem neuen Job umsehen: Die Fortsetzung einer Flugzeugproduktion war den Deutschen von den siegreichen Alliierten verboten worden.
Ausschlaggebend für Fends Erfindergeist waren Kriegsversehrte, von denen es damals in den zerstörten deutschen Städten sehr viele gab. Genau für diese Zielgruppe hatte er das geschlossene und von ihm „Flitzer“ genannte Einsitzer-Dreirad entwickelt, das zunächst wie ein Tretauto funktionierte. Damit auch Beinamputierte sein Gefährt nutzen konnten, konstruierte er zusätzlich auch eine Variante, die in Nachahmung der sogenannten Holländer per Handkraft durch Vor- und Zurückbewegen des Lenkhebels in Bewegung gesetzt werden konnte.
Um den Komfort zu erhöhen, hatte Fend nach Gründung einer eigenen Firma in Rosenheim 1947 sein Fahrzeug zunächst durch einen Fahrradhilfsmotor mit einem Hubraum von 38 Kubikzentimetern und einer Leistung von einem PS aufgerüstet, verbunden mit einem Austausch der Fahrrad- durch Schubkarrenreifen, was vor allem wichtig war für das hintere Antriebsrad. Schon bald sollte ein „Flitzer 100“ getauftes Modell mit einem Hubraum von 98 Kubikzentimetern, einer Leistung von 2,5 PS und einer Geschwindigkeit von bis zu 60 Stundenkilometern folgen.
1.285 D-Mark kostete 1949 ein Exemplar
Noch mehr Schub bot schließlich ab 1950 die dritte Evolutionsstufe des „Flitzers“ dank eines Motorradmotors mit einem Hubraum von 98 Kubikzentimetern und 4,5 PS, wodurch beachtliche 75 Stundenkilometer erzielt werden konnten. Große Aufmerksamkeit errang das Gefährt, das ähnlich wie ein Flugzeug mittels eines Steuerhorns statt eines Lenkrads navigiert werden musste, 1950 durch das Erklimmen des Großglockners. Der Berggipfel wurde dabei mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 Kilometern pro Stunde problemlos gemeistert. Für einen Preis von damals 1.285 D-Mark wurden zwischen März 1949 und Dezember 1951 rund 250 Fahrzeuge verkauft. Deren schon damals größter Pluspunkt war die aerodynamisch günstige Keilform, die dem Wind angesichts des relativ schwachen Motors möglichst wenig Widerstand bieten durfte.
Da Fend mit den Stückzahlen des „Flitzers“ in seinem kleinen Werk an eine Produktionsgrenze stieß und für eine Ausweitung der Fertigung das nötige Kapital nicht vorhanden war, wurde es aus seiner Sicht höchste Zeit, sich einen starken Partner zu suchen. Seine Wahl fiel auf seinen früheren Arbeitgeber Willy Messerschmitt, der in Regensburg über leer stehende Fabrikationshallen verfügte. Bei der Vertragsunterzeichnung mit den Messerschmitt-Werken 1952 machte deren Chef seinem Compagnon Fend allerdings die Auflage, auf der Basis des „Flitzers“ ein Fahrzeug mit zwei Sitzen zu entwerfen. Messerschmitt versprach sich davon höhere Verkaufschancen. Fahrer und Passagier sollten im Innenraum hintereinander Platz nehmen, wodurch die bewährte gute Aerodynamik aufrechterhalten werden sollte.
Vermutlich hatte der frühere Großindustrielle wie sein Partner das in einem solchen Fahrzeug ruhende Potenzial für das wachsende Mobilitätsinteresse der Nachkriegsgeneration frühzeitig gewittert. Der deutsche Markt war damals weitgehend von Motorrädern beherrscht, deren Zulassungszahlen bis 1953 den Höchststand von rund 370.000 Exemplaren erreichte. „Bis Mitte der Fünfziger waren noch Motorräder mit Beiwagen die Familienfahrzeuge“, schrieb Autoexperte Stefan Weißenborn in einem „Welt“-Beitrag über den Aufstieg der Rollermobile in den 1950er-Jahren. Für die Anschaffung eines eigenen Autos fehlte den meisten Bundesbürgern damals noch das nötige Geld. Die Lücke zwischen Motorrädern und Kleinwagen konnte ein Jahrzehnt lang durch die für viele Deutsche erschwinglichen Rollermobile gefüllt werden.
Für die Nutzung der Kabinenroller war nicht die Führerscheinklasse III vorgeschrieben, sondern genügte die damals weit verbreitete Führerscheinklasse IV in der 1937 aktualisierten Ausführung für Kraftfahrzeuge mit einem Hubraum von bis zu 250 Kubikzentimetern. Entsprechend achteten die meisten Hersteller von Rollermobilen darauf, diese Hubraumgrenze nicht zu überschreiten.
Den Auftakt in der Rollermobil-Historie machte am 19. März 1953 der Messerschmitt Kabinenroller KR 175, der bei seiner Präsentation auf dem Frankfurter Autosalon sogar den US-amerikanischen Luxuskarossen die Show gestohlen haben soll und bereits wenige Tage zuvor auf dem Genfer Autosalon für Furore gesorgt hatte. Der dreirädrige, zigarrenförmige Flitzer mit zwei hintereinander postierten Sitzen zum Preis von 2.100 D-Mark war gerade mal 2,80 Meter lang, nur 230 Kilogramm schwer, und sein 9 PS starker Einzylinder-Zweitaktmotor war mit einem Verbrauch von 3,5 Litern auf 100 Kilometern sehr sparsam. 35 Sekunden benötigte der KR 175, um auf die Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zu beschleunigen. Das Kürzel KR im Namen stand für Kabinenroller, die 175 bezeichnete die Kubikmeter des Hubraums.
Charakteristisch war seine an eine Flugzeugkanzel erinnernde Plexiglashaube, die zum Ein- und Aussteigen rechter Hand seitlich weggeschwenkt werden musste. Für diese Prozedur gab es sogar eine ausführliche schriftliche Anleitung. Zwei Passagiere konnten mit dem „Karo“, wie er bald genannt werden sollte, trocken und einigermaßen komfortabel ans Ziel gelangen. Für Gepäck war kaum Platz vorhanden, der Heckmotor sorgte beim Fahren für reichlich akustische Untermalung.
Tiger mit vier Rädern schaffte 130 km/h
Auf Rückwärtsgang oder elektrische Scheibenwischer mussten die Kunden dieses frühen Modells, das aus einem leichten Rohrrahmen mit Bodenwanne und einer aufgeschweißten Stahlblechkarosserie bestand, noch verzichten. Gewöhnungsbedürftig war sicherlich auch der einem Motorrad oder Flugzeug nachempfundene Steuerknüppel mit Drehgasgriff. Die Kupplung war bei diesem frühen Modell noch in den Schalthebel integriert, wenig später wurden Pedale für Gas und Kupplung eingebaut. Auch für das Rückwärtsfahren sollte bald eine vergleichsweise komplizierte technische Lösung gefunden werden. Vom KR 175, der bald im Volksmund die Scherznamen „Schneewittchensarg“ oder „Mensch in Aspik“ erhielt, wurden rund 10.000 Exemplare verkauft.
1955 kam das deutlich komfortablere Nachfolgemodell KR 200 auf den Markt. Der Einzylinder hatte nun 191 Kubikzentimeter Hubraum, verfügte über eine Leistung von zehn PS und konnte damit ein Spitzentempo von 90 Kilometer pro Stunde erreichen. Von dem KR 200 und der etwas sparsamer ausgestatteten, 1956 lancierten Variante KR 201 wurden insgesamt rund 40.000 Exemplare abgesetzt. Das Modell gab es in vier Varianten mit Plexiglashaube, als Cabrio, als Roadster und in einer Sport-Version. Nach dem Rückzug von Willy Messerschmitt 1957 führte Fritz Fend die Autoproduktion gemeinsam mit dem Technik-Fabrikanten Valentin Knott in einem neuen Unternehmen fort: der Fahrzeug- und Maschinenbau Regensburg (FMR).
Fend wollte mit dem 1957 präsentierten, schnelleren und nun vierrädrigen Modell FMR Tg 500 neue Käuferschichten erschließen. Der Zwei-Zylinder-Zweitaktmotor, der meist als „Tiger“ bezeichnet wurde, holte 20 PS aus 494 Kubikmetern Hubraum heraus und brachte es auf eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 130 Kilometern pro Stunde. Die Kundennachfrage war aber trotz häufigen Auftauchens des Tigers bei Rennsport-Events wegen des relativ hohen Preises (zwischen 3.650 und 3.725 D-Mark) eher gering, es dürften kaum mehr als 300 Autos verkauft worden sein. 1961 wurde die Produktion des Tigers eingestellt. Am 17. August 1964 lief der letzte Kabinenroller bei FMR vom Band. Gut erhaltene Messerschmitt Kabinenroller haben sich inzwischen zu beliebten Sammlerobjekten mit Preisen von bis zu 30.000 Euro entwickelt.
Mögliche Neuauflage als Elektro-Version?
Spätestens Mitte der 1960er-Jahre war die Zeit der Kabinenroller abgelaufen. Die Kunden wollten und konnten sich nun ein richtiges familientaugliches Auto leisten, Käfer und Opel Kadett galten als Einstiegsmodelle in die mobile Freiheit. Neben den Messerschmitt-Modellen war damit auch das Aus für die Konkurrenz von BMW Isetta, Heinkel Kabine, Zündapp Janus oder Fuldamobil besiegelt. 2021 kam die überraschende Meldung, dass im andalusischen Malaga an einer Neuauflage der Messerschmitt Kabinenroller in einer Sport- und Elektro-Version als „KR 202“ gebastelt werde. Die schon für das Frühjahr 2021 angekündigte Auslieferung der ersten Exemplare nach Deutschland lässt allerdings noch auf sich warten. Die publizierten Bilder der Prototypen können aber Vorfreude wecken. Das gilt auch für ähnliche E-Projekte in Nachfolge der legendären Kabinenroller, bei VW mit dem „Nils“, bei Opel mit dem „RAKe“ oder bei Audi mit dem „Audi Urban Concept“.