Vier Oscars abgeräumt: „Im Westen nichts Neues“ zeigt die Brutalität des Kriegs in drastischen Bildern. Im Streaming ist der Film bei Netflix zu sehen.
Als bei der Oscarverleihung in der Nacht vom 12. auf den 13. März nach und nach die Gewinner verkündet wurden, war schnell klar: Die Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ schreibt Oscar-Geschichte. Noch nie hat ein deutscher Film bei den Academy Awards – so heißen die Oscars offiziell – auch nur annähernd so gut abgeschnitten. Vier der goldenen Statuen bekam das Team um Regisseur Edward Berger überreicht: die Auszeichnung als „Bester Internationaler Film“, für die beste Kamera, die beste Filmmusik und das beste Szenenbild. Nominiert war der Film in neun Kategorien.
Technisch ist der Film perfekt
Es sind Bilder schöner Natur, mit denen das Grauen des Kriegs beginnt. Junge Füchse in ihrer Höhle, ein Blick in die Baumkronen im Wald. Und dann: tote Soldaten. Und Schützengräben, in denen die noch Lebenden auf das Signal zum Angriff warten. Ein Angriff, bei dem ein großer Teil der jungen Männer sterben wird – von einer Kugel getroffen, mit dem Bajonett erstochen, von einer Handgranate zerfetzt. Und wir sehen die Szenen nach der Schlacht: wie die Leichen abtransportiert und entkleidet werden, wie die blutgetränkte Kleidung gewaschen und geflickt wird. Dann sind wir auf einmal weit weg von der Front, irgendwo in Norddeutschland, bei einer Gruppe junger Männer, die gerade mit der Schule fertig sind. Klar, dass sie sich freiwillig zur Armee melden werden, wurden sie doch von ihren Lehrer ausgiebig indoktriniert. Einer von ihnen ist der 17-jährige Paul Bäumer (Felix Kammerer). Er bekommt die Uniform eines der getöteten Soldaten. Und schon kurz nach der Musterung ist er mit seinen Freunden auf dem Weg an die Westfront. Es sind seine Erlebnisse, die uns den Rest des Films begleiten werden.
Was die Oscars angeht, steht die Neuverfilmung in der Tradition eines legendären Vorbilds: Die erste Verfilmung des Buchs aus dem Jahr 1930 unter Regie von Lewis Milestone war für vier Oscars nominiert, zwei davon gewann sie auch: als bester Film und für die beste Regie. Heute gilt dieser Film als Klassiker des Genres.
So erstaunlich es klingt: Edward Bergers Film für Netflix ist die erste deutsche Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“. Technisch ist der Film perfekt. Das Zusammenspiel von Kamera, Maske, Kostümen, Bühnenbild, Requisite sowie klassischen und digitalen Spezialeffekten lässt die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs so aussehen, als hätte sich all das, was man sieht, gerade erst ereignet.
Der Film zeigt die brutale Realität des Kriegs mit riesigem Aufwand. Der feuchte Moder in den Schützengräben, die von Bombenkratern überzogene Landschaft, überall Trümmer und Leichen – es ist eine Welt, in der das Leben des Einzelnen jeden Moment zu Ende sein kann. Maschinengewehre und Giftgas sind im Kampf allgegenwärtig, später kommen die ersten Panzer und Flammenwerfer zum Einsatz – es ist die Zeit, in der das Töten durch Technik zum Standard wird.
„Im Westen nichts Neues“ bemüht sich, ein Stück weit den historischen Hintergrund zu erzählen. Wir sehen auch die Welt der Mächtigen, der Politiker und Generäle, die keine Skrupel haben, junge Männer in den Tod zu schicken – für minimale militärische Vorteile, wissend, dass der Krieg eigentlich längst verloren ist. Und er zeigt die Waffenstillstandsverhandlungen im Wald von Compiègne – Verhandlungen, bei denen es für den Leiter der deutschen Delegation Matthias Erzberger (Daniel Brühl) nicht viel zu verhandeln gibt.
Drastische, realitätsnahe Bilder
Die Bilder des Films sind teils drastisch. Trotzdem bleibt die Darstellung sachlich und realitätsnah. Für einen Kriegsfilm hat „Im Westen nichts Neues“ aber auch erstaunlich viele ruhige Szenen. Einstellungen, in denen Natur zu sehen ist, und Einstellungen, in denen die Männer über ihr Leben und ihre Träume sprechen. Diese Szenen verlangen den Hauptdarstellern einiges ab. Wichtig sind sie, weil sie die Personen charakterisieren und ihre Gefühle verständlich machen.
Helden gibt es in „Im Westen nichts Neues“ nicht. Die Hauptfiguren folgen Befehlen – und wissen gleichzeitig, dass das, was sie tun, keinen Sinn hat. Momente menschlicher Nähe entstehen durch die Absurdität des Krieges. Wenn etwa Paul Bäumer in einem Bombentrichter mit einem sterbenden französischen Soldaten ausharren muss, den er zuvor mit dem Messer verletzt hat. Wenn er die Brieftasche des Fremden öffnet, liest, dass der Mann eigentlich Schriftsetzer ist, und Fotos von dessen Ehefrau und Kindern findet – das ist so ein Moment, in dem aus dem Gegner wieder ein Mensch wird, in dem sich unweigerlich die Frage aufdrängt, wieso diese beiden Menschen bereit waren, einander zu töten.