Die 36-jährige Johanna Klos aus dem Saarland arbeitet für die Vereinten Nationen. Ihre Tätigkeit für die Internationale Organisation für Migration führt sie auch in einige Krisenherde.
Es klingt zuerst mal gar nicht gefährlich, wenn man Johanna Klos nach ihrem Beruf fragt: Monitoring and Evaluation Officer, also Sachbearbeiterin von Monitoring und Evaluierung. Klingt nach Verwaltungsanstellung, festen Zeiten in sicherer Büroumgebung, sicherstellen, dass Projekte gut laufen und Zielsetzungen erreicht werden. „Mein Alltag im Büro, da gibt’s nichts Aufregendes. Ich sitze vorm Schreibtisch, ich habe Meetings, ich antworte auf E-Mails“, sagt die 36-Jährige. Doch schaut man sich einige ihrer Einsatzgebiete an, wird schon eher klar, dass ihr Beruf nicht immer ein Zuckerschlecken ist: Afghanistan, Niger, Tschad, Kamerun, Elfenbeinküste. Sie ist tätig bei der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM) in Genf.
„Das Themengebiet ist vielfältig“
Das Themengebiet ist vielfältig, in Afghanistan beispielsweise war sie auf Gefangenenbesuche spezialisiert. Genauer gesagt informierte sie sich in ihrer Zeit von März bis Dezember 2017 im zentralen Gefängnis der Hauptstadt Kabul darüber, ob Menschenrechte afghanischer oder ausländischer Bürger beachtet werden. Seinerzeit war sie für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz tätig, das auf Kriegsgefangene spezialisiert sei. „Es geht natürlich hauptsächlich um die allgemeine Lage“, sagt Johanna Klos. Dies diene im Endeffekt auch dazu, zu schauen, wie die Lage in einem bestimmten Gefängnis generell sei. Man könnte meinen, dass die Unterstützung seitens der jeweiligen Landesregierung eher suboptimal sei, doch sie sagt: „Ich persönlich habe keine Anfeindung erlebt, weil ich Ausländerin bin oder von einer ausländischen Organisation komme.“
In unserem Gespräch, das wir per Zoom führen, reden wir auch über das Bild, das oftmals von Ländern vermittelt wird, die als Krisenherde gelten. In den Medien konzentriere man sich häufig nur auf den Konflikt. Das sei ihrer persönlichen Erfahrung nach jedoch verzerrt. Sie sagt: „Die Leute sind wahnsinnig freundlich. Sie geben ihr letztes Hemd, obwohl sie unglaublich arm sind.“ Viele würden einem ihr letztes Töpfchen Reis geben. „Weil du der Gast bist, und der Gastwirt ist eben das höchste. Dann ist es auch egal, woher du kommst. Ich war sehr positiv überrascht.“
Aber ja, es sei natürlich mitunter auch eine gefährliche Zeit. Johanna Klos erinnert sich an quasi tägliche Anschläge und daran, dass sie morgens zur Arbeit gefahren war. „Und dann kam ich am späten Nachmittag zurück, und die Bank, die auf dem Hinweg noch gestanden hat, war nicht mehr da, weil sie in die Luft gesprengt wurde.“ In ihrer Zeit in Kabul passierte auch ein Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat bekannte. Eine Autobombe zerstörte einen Bus und tötete 35 Menschen, nicht weit von der deutschen Botschaft entfernt und auch in der Nähe des Bereichs, in dem ihr Team untergebracht war. „Wir hatten wochenlang keine Fenster, weil es kein Glas mehr gab“, erinnert sie sich an die weitreichenden Folgen der Explosion.
Mitunter sind die Teams nicht mehr in Hotels untergebracht, sondern in sogenannten Compunds. Das sind dann etwa Bereiche, die abgezäunt oder per Mauer abgetrennt sind. „Das kann ganz unterschiedlich aussehen. In einigen Ländern hast du einen Container, in dem man wohnt. Oder ganz normale Wohnhäuser, die eingezäunt und mit verschiedenen Alarmsystemen abgesichert sind. Es kann ja auch immer mal sein, dass man bei Fliegeralarm in den Schutzraum gehen muss, weil Bomben abgeworfen werden.“
Zu viele Details darf sie nicht erzählen, doch sie gibt zumindest einen kleinen Einblick, zum Beispiel in Gefängnisse. Es gebe welche, wo es genügend Platz sowie ordentliches Essen gebe und man sich auf ein funktionierendes Justizsystem stützen könne. „Und dann gibt es eben solche, wo die Bedingungen nicht so gut sind.“ Es klinge komisch, doch die Arbeit habe ihr trotzdem sehr viel Spaß gemacht. „Ich fand es super, dass ich die Gelegenheit hatte, mit Gefangenen zu sprechen und mir ihre Geschichte anzuhören, was sie so erlebt haben. Sie müssen sich nicht mit mir unterhalten, aber sie können. Ich fand es wahnsinnig bereichernd, diese Lebensgeschichten von den Leuten zu hören, und teilweise, glaube ich, hat es den Leuten geholfen. Einfach, dass jemand sich hingesetzt und zugehört hat.“
„Mir wurde bewusst, dass ich privilegiert bin“
Die Frage, ob man das relativ gemütliche Westeuropa mehr schätzen lerne, wenn man Ungerechtigkeiten und Armut hautnah erlebe, beantwortet sie so: „Ja, auf jeden Fall. Mir wurde bewusst, dass ich als weiße Deutsche privilegiert bin. Weil ich von Rassismus nicht betroffen bin wie Leute mit einer anderen Hautfarbe oder Leute, die mit einer anderen Religion in Verbindung gesetzt werden, die vielleicht eher arabischstämmig aussehen. Ja, ich fliege in diese Länder, und ich versuche, etwas zu verbessern. Aber dann fliege ich auch wieder nach Hause, bin in Sicherheit, habe genug zu essen und eine Wohnung – und muss nicht im Krieg leben.“
Doch wie kam sie überhaupt dazu? Geboren in Nürnberg, zog sie mit ihren Eltern, die aus dem Saarland stammen, und ihrem drei Jahre älteren Bruder zurück nach Jägersfreude, einem Ortsteil von Dudweiler, wiederum ein Stadtteil von Saarbrücken. „Ich war mir während der Schulzeit nicht so ganz sicher, was ich beruflich machen möchte“ blickt sie zurück. Sie studierte schließlich Ingenieurwesen in Köln mit Bachelor-Abschluss, wobei sie hier bereits in internationale Zusammenarbeit und Entwicklung reinschnupperte. Dann stieß Johanna Klos auf den Studiengang internationale humanitäre Hilfe, einem Studiengang, der von der EU gefördert wird.
Sie studierte in Schweden, unter anderem, weil sie den Schwerpunkt dort interessant fand: Welche Rolle spielt Religion in Konflikten. Zudem gab es – ganz banal – keine Studiengebühren. „Da habe ich zum ersten Mal mehr darüber gelernt, wie die Vereinten Nationen eigentlich funktionieren. Es folgten verschiedene Praktika, etwa in Mexiko, in Spanien, ich absolvierte ein Praktikum für eine NGO in Madrid und arbeitete ein Semester für das Spanische Rote Kreuz auf Gran Canaria, bis ich ein Praktikum hier in Genf, bei einer internationalen Organisation bekommen habe.“
Reisen in Länder, in die man privat nicht käme
Ihr Abschluss folgte 2013. Zwischenzeitlich arbeitete sie regelmäßig, mitunter als Freelancerin. „Aber ich war hauptsächlich Angestellte sowohl bei einer Nichtregierungsorganisation als auch bei den Vereinten Nationen als auch beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz.“ Sie bewarb sich auf ein Praktikum innerhalb eines Stipendiensystems der Bundesregierung um Plätze bei den Vereinten Nationen und für die Internationale Organisation für Migration. „Das war eigentlich nur ein Praktikum für drei Monate. Aber die Organisation hat mich behalten.“ Erst als Praktikantin, dann mit einem monatlichen Stipendium und dann als Beraterin.
In gut 50 Ländern war sie bereits, privat, aber vor allem beruflich. Wenn es die Sicherheitslage erlaubt, bleibe auch mal Zeit dazu, Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Zum Beispiel war sie im Sommer in Niger und hat sich mit Kollegen eine Moschee angeschaut. Für die Sicherheit ist den Vereinten Nationen eine Organisation angegliedert, die Vorgaben für jedes Land macht. Also, wo man zum Beispiel nicht hinfahren darf oder welche Sehenswürdigkeiten als sicher eingestuft werden. Schön sei es, durch die Straßen zu fahren und zu sehen, wie die Leute leben und was sie verkaufen. „Man sieht Früchte, die man nicht kennt oder Gerichte und Öle. Wie die Menschen miteinander reden, wie sie gestikulieren. Das ist spannend zu sehen.“
Was sie liebt an ihrem Beruf, ist, in Länder reisen zu können, in die man sonst nicht reisen würde. Und dort dann mit Leuten in Kontakt zu kommen, die man sonst nie treffen würde. Sie drückt es so aus: „Diese Stärke von den Leuten zu sehen, die teilweise wirklich in Armut leben, die weitermachen, die sich durchkämpfen und dabei nicht die Hoffnung verlieren, sondern teilweise sogar noch wirklich fröhlich sind. Das beeindruckt mich total. Die Leute haben eine Lebensfreude und eine Wärme, und ich denke, da könnten wir uns hier auch mal eine Scheibe abschneiden.“ Man lerne auch andere Denkweisen kennen. Die Welt öffne sich und man bekomme ganz viele Perspektiven gezeigt. Toll sei es, wenn ein Projekt umgesetzt wird, und man ein Jahr später wiederkomme und sehe, dass sich das Leben wirklich zum Besseren verändert hat.
Am eigentlichen Arbeitsplatz im UN-Gebäude in Genf hat sie ein ganz normales Leben. „Ich treffe mich mit Freunden, wir gehen zum Abendessen, einen trinken, wir gehen am Wochenende in die Berge wandern oder auch mal Ski fahren. Dann gehe ich mit meinem Hund noch viel raus.“ Durch ihre Tätigkeit hat sie über die Welt verteilt auch Freundschaften geschlossen, die sie dann auch besuchen kann. Überlappen sich Freundschaft und Arbeit, und man merkt, dass jemand übermäßig nervös ist oder gar posttraumatische Stresssyndrome zeige, müsse man auch mal Hilfe anbieten und sagen: „Ich bin da, wenn du drüber sprechen willst.“
Leider gibt es ja immer noch viel zu viele Regionen, in denen scheinbar Menschen denken, es ist lohnend, Kriege zu führen. Natürlich hat sie keinen Lösungsansatz, doch ihre persönliche Einschätzung lautet: „Krieg wird oftmals aufgrund von Machtinteressen geführt. Und was ganz wichtig ist: Krieg wird geführt von einigen wenigen. Die, die den Krieg anstiften, sind meistens nicht die, die für ihn bezahlen. Es geht um Macht und um Geld. Die Leute, die Krieg führen, benutzen oft Populismus.“
Krieg am nächsten sei sie in Afghanistan gekommen, erzählt Johanna Klos. „Wir durften nirgendwo hingehen, noch nicht mal in ein Restaurant, weil einfach die Gefahr zu groß war. Das war wirklich eine Erfahrung, die mich gezeichnet hat. Man muss auf jeden Fall Respekt haben.“