Wie läuft eine Kampfmittelbeseitigung ab? Und was kann dabei theoretisch alles passieren? Dirk Otterbein, Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes LPP 125 des Landespolizeipräsidiums Saarland, hat uns diese Fragen beantwortet.
Herr Otterbein, es gibt in jedem Bundesland USBV-Entschärfer und Kampfmittelbeseitiger. Worin besteht der Unterschied bei diesen Berufen?
Der Unterschied besteht in der Ausbildung und Qualifikation, sowie in der sachlichen Zuständigkeit. Die Kampfmittelbeseitigung ist zuständig für Kampfmittel aller Art und aller Länder der letzten Weltkriege. USBV-Entschärfer sind zuständig für Kampfmittel der Neuzeit und unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen.
Selbst gebaute tickende Zeitbomben, explosive Sprengstoff-Ladungen et cetera zählen also nicht zu Ihren Aufgaben?
Dies ist Aufgabe der Entschärfergruppe des Landespolizeipräsidiums.
Welche Kampfmittel beseitigen Sie? Was war da schon alles dabei?
Hier sind alle Arten von Kampfmitteln der vergangenen Weltkriege dabei – zum Beispiel Abwurfmunition (Bomben), Handgranaten, Artilleriemunition, Minen, Werfergranaten, Panzerfäuste, Gewehrmunition und so weiter.
Wie gelangen Sie zu den Kampfmitteln, die es zu beseitigen gilt?
Meldungen über Kampfmittelfunde erfolgen über die Führungs- und Lagezentrale der Polizei, die zuständige Polizeidienststelle, die zuständige Ortspolizeibehörde oder durch Baufirmen oder Privatpersonen an den Kampfmittelbeseitigungsdienst.
Wie läuft eine Entschärfung generell ab?
Nach dem Auffinden eines Kampfmittels wird der Kampfmittelbeseitigungsdienst alarmiert. Wir suchen die Fundstelle auf und beurteilen die Kampfmittel und den Zünder. Dann erfolgt die Entscheidung, ob das Kampfmittel transportfähig ist und dementsprechend der Abtransport oder aber die Festlegung des Entschärfungszeitpunktes oder der Sprengung.
Läuft es bei den meisten Kampfmitteln ähnlich ab oder unterscheiden sich die Einsätze stark?
Bei einer Entschärfung müssen Entschärfungsdatum und Zeitpunkt festgelegt werden. Der Gefahrenbereich muss abgesperrt werden, die Bewohner evakuiert. Eine Entschärfung kann aus organisatorischen Gründen nicht immer am gleichen Tag erfolgen, beispielweise wegen der Evakuierung. Die Bombe wird dann entschärft und abtransportiert. Danach erfolgt das Einlagern, später die Vernichtung.
Bei einer Sprengung oder sprengtechnischen Entschärfung einer Bombe mit Langzeitzünder (LZZ) ist sofortiges Handeln erforderlich, da die Bombe jederzeit durch Selbstdetonation detonativ umsetzen kann. Die Fundstelle muss sofort geräumt werden, und man muss mit der Evakuierung beginnen. Parallel dazu kommt es zum Anbringen der Sprengladung, eventuell zum Anbringen von passiven Schutzmaßnahmen. Nach der Evakuierung erfolgt die zeitnahe Sprengung der Bombe beziehungsweise der sprengtechnischen Entschärfung, hier muss man die mögliche Detonation der Bombe einkalkulieren. Im Anschluss kommt es zur Kontrolle der Sprengung und zur Beseitigung der verbliebenen Kampfmittelteile und Sprengstoffe.
Welches Equipment benötigen Sie für Entschärfungen?
Werkzeuge wie Hammer, Meißel, Rohrzangen, Reinigungsgeräte, Spezialwerkzeuge. Technisches Gerät wie Bagger, Entschärfgeräte/Fernentschärfgeräte, Spreng- und Zündmittel, Spezialsprengladungen, Spezialmunition für Entschärfgeräte und Funksprengsystem.
Worin bestehen die Herausforderungen bei Entschärfungen?
Im Zustand des Zünders und des Kampfmittels (Korrosion, bei Langzeitzündern Grad der Zersetzung), in Zeitzündern mit Uhrwerken und in der chemischen Reaktion auf Materialunverträglichkeiten im oder um den Zünder.
Wie gefährlich sind Ihre Einsätze? Was kann theoretisch alles passieren?
Es könnte bei der Vorbereitung der Entschärfung zum Auslösen von vorgespannten Zündsystemen kommen, zum Auslösen durch chemische Bestandteile (Reibungsempfindlichkeit), zur Selbstdetonation von chemischen Langzeitzündern (LZZ) oder zum erneuten Anlaufen von Uhrwerken.
Ist bei Ihren Entschärfungen schon mal etwas schiefgelaufen oder wurden Sie schon einmal verletzt?
Nein.
Haben Sie Angst, wenn Sie eine Bombe entschärfen?
Angst kann zu Fehlentscheidungen führen. Ein besonnenes Handeln mit der nötigen Vorsicht beim Umgang mit der Bombe ist gefordert.
Welche Ihrer Einsätze waren am gefährlichsten?
Am gefährlichsten ist die Entschärfung von Bomben mit Langzeitzündern, da hier jederzeit eine Selbstdetonation möglich ist.
Wie sah Ihr letzter Einsatz aus?
Zuletzt habe ich eine Artilleriesprenggranate von 10,5 Zentimetern beseitigt.
Worin besteht Ihr Berufsalltag, wenn Sie keine Bomben aus dem Weg räumen müssen?
Im Schnitt steht einmal täglich die Räumung von Einzelfundstellen auf dem Plan. Im Jahr 2022 gab es 213 Einsätze. Ansonsten in der Lagerung und Lagerkontrolle, dem Vorbereiten von Munitionstransporten zur Vernichtung, der Vernichtung nicht transportfähiger Munition durch Sprengung und auch in der Aus- und Fortbildung.
Was sind die wichtigsten Voraussetzungen, um Ihren Beruf ausüben zu können?
Man benötigt gute Kenntnisse der Kampfmittel und der Funktionsabläufe der Zünder. Außerdem ist Teamarbeit ein wichtiger Bestandteil.
Wie wird man eigentlich Kampfmittelbeseitiger beziehungsweise wie war es bei Ihnen? Sind besondere Berufe und Schulungen im Anschluss notwendig?
Bei mir war es Zufall. Ich hatte mich mit der geforderten Berufsausbildung und Vorqualifikationen auf eine Stellenausschreibung des Ministeriums beworben und diverse Lehrgänge im Bereich der Kampfmittelbeseitigung, eine Sprengausbildung, einen Lehrgang über das Entschärfen von Kampfmitteln und einen Lehrgang über chemische Kampfstoffe absolviert.