Alphaville-Sänger Marian Gold schaffte es vom Obdachlosen zum Weltstar. Hits wie „Forever Young“ und „Big in Japan“ nahm er jetzt mit dem Filmorchester Babelsberg auf, eine Tournee folgt ab April.
Schlachtensee und Krumme Lanke glitzern in der Morgensonne. Rund um die Gewässer fegt ein lauer Frühlingswind Herbstlaub vom Vorjahr über Uferwege. Im Steglitzer Bezirksteil Nikolassee lässt es sich leben. Ein Anwesen ist herrschaftlicher als das andere. In vielen der Villen leben Politiker und Künstler. Einer von ihnen ist Marian Gold, ein echter Popstar der 80er-Jahre. Viele seiner Songs wurden Hymnen, die bis heute im Radio und auf Partys laufen.
Als mittelloser junger Mann kam der spätere Sänger von Alphaville 1976 ins damalige Westberlin. Ohne ein Instrument zu beherrschen, schrieb er mit seinen Musikerkollegen Bernhard Lloyd und Frank Mertens einige Jahre später Welthits wie „Big in Japan“, „Forever Young“ und „Sounds like a Melody“. Über die außergewöhnliche Alphaville-Story, das neue Album „Eternally Yours“ und die daraus resultierende Symphonic-Tour mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg (ab April 2023) sprachen wir mit Marian Gold in Nikolassee.
Gesprächspartner ohne Allüren
Für einen Popmusiker ungewöhnlich früh, bittet der Berliner bereits um 9 Uhr zum Interview. Doch Morgenstund hat ja vielleicht auch (Marian) Gold im Mund. Mit dem Wortspiel des Reporters kann der Star so früh am Tag noch nichts anfangen. Doch ein paar Minuten später wird die Unterhaltung immer munterer. Marian Gold (bürgerlich: Hartwig Schierbaum) ist ein witziger und angenehmer Gesprächspartner. Von Allüren keine Spur.
In der Küche der rund 100 Jahre alten Villa sitzt der Sänger bei Kaffee und Weintrauben. Im Hintergrund befüllt Ehefrau Anna, Golds zweite Gattin, den Wäschetrockner. Vor allem der jüngeren Kinder wegen sei man nach Nikolassee gezogen. „Mir selbst ist die Gegend eigentlich ein bisschen zu spießig“, so der siebenfache Vater. Schön sei es dennoch und Brandenburg nicht weit. Neben den Seen ringsum schätze er auch die Gewässer bei Potsdam. „In Babelsberg nahmen wir auch unser neues Album mit dem Filmorchester auf“, lenkt der Künstler das Gespräch auf sein jüngstes Werk „Eternally Yours“. Nur etwa zehn Tage habe die Produktion gedauert. Ein Nachjustieren war nicht nötig. „Die Musiker des Filmorchesters sind absolute Profis und die Zusammenarbeit machte großen Spaß“, lobt Marian Gold.
Seine Synthie-Hits ins Symphonische zu „übersetzen“, sei völlig unproblematisch gewesen. Songs wie „Forever Young“ oder „Sounds like a Melody“ böten sich dafür geradezu an. „So etwas hatte ich schon seit Jahrzehnten im Kopf, aber nie Zeit. Das änderte sich in der Pandemie.“ Bereits 1972 habe er mal ein Album der Rockband Deep Purple im Klassik-Gewand gehört und gedacht: So etwas müsste man auch können. „Für mich klingt ‚Eternally Yours‘, als handele es sich in Wirklichkeit um das erste Alphaville-Album – nur, dass es vor 40 Jahren nicht veröffentlicht wurde. Wir hatten damals eben kein Orchester zur Hand“, scherzt Gold. 23 neu aufgenommene Lieder seien durch die Bearbeitung im Kern klarer geworden. „Die Stücke sind freigelegt und entfesselt. Ihre wahre Natur kommt zum Vorschein.“
Normalerweise habe er vor Alphaville-Konzerten kein besonderes Lampenfieber. Doch das Singen der Hits auf großen Klassikbühnen wie Berliner Philharmonie oder Leipziger Gewandhaus sei definitiv eine Herausforderung. „In der Band bin ich ja der Chef. Nun habe ich mich aber nach dem Orchester-Dirigenten zu richten“, lächelt der gebürtige Herforder, der ab 1980 auch einige Jahre in Münster lebte und dort seine ersten musikalischen Versuche in der Künstlergruppe „Nelson Comunity“ startete. Im Rahmen der „40 Jahre Alphaville Symphonic-Tour“ seien ab April 2023 bislang 15 Auftritte geplant.
Aushilfsjobs beim Zirkus und am Bau
An den Welterfolg von Alphaville war anfangs nicht zu denken, wie Marian Gold erklärt. Aus der Bundeswehr unehrenhaft entlassen (unter anderem weil er sich mit einem Offizier prügelte), kam Gold 1976 nach Berlin. „Ich stieg in NRW in einen Zug Richtung Warschau und in Westberlin aus: Mit großem Seesack, ohne klaren Plan und fester Bleibe. Gott sei Dank war gerade Sommer“, erinnert sich der Star an den abenteuerlichen Start. Gold hockte mit Punks zusammen, hielt sich mit Aushilfsjobs beim Zirkus, an Kirmesständen und auf dem Bau über Wasser. Ursprünglich wollte er Maler werden, erklärt der Sänger am Rand. Doch im Hinterkopf war da immer die Musik. „Ich hörte Roxy Music und David Bowie, der ja damals in Berlin-Schöneberg lebte.“ An das Berlin der 1970er-Jahre erinnert sich Gold als „Treff von Versagern“. Doch in diesem speziellen Kosmos geschahen manchmal kleine Wunder.
Mit Freunden, allen voran mit den späteren Alphaville-Begründern, beginnt Marian Gold an Musik zu tüfteln, ohne ein Instrument spielen zu können. „Von Musikmachen hatten wir null Ahnung, aber dafür eigene Ideen im Kopf. Wir haben auch nie jemanden nachgemacht, auch nicht unsere Idole“, blickt der heute 68-Jährige zurück. Gleich der zweite produzierte Song „Big in Japan“ wird 1984 der erste Hit. Der Rest ist Pop-Geschichte.
Bereits seit dieser Zeit lebt Marian Gold finanziell unabhängig, wie er sagt. Fast alle Hits werden bis heute gespielt beziehungsweise von anderen Künstlern gecovert. In Japan sei er im Übrigen nie gewesen und mit dem Land der aufgehenden Sonne habe „Big in Japan“ im Grunde genommen auch nichts zu tun. „Das ist eher eine Redensart, mit der gescheiterte Leute ihr Versagen rechtfertigen. Nach dem Motto: ‚Hier bin ich nichts geworden, aber in Japan wäre ich groß.‘“ „Big in Japan“ sei ein Song über zwei Junkies, die erfolglos versuchen, von Drogen wegzukommen, erklärt der Songschreiber. Doch um ein Haar hätte es der große Hit gar nicht aufs erste Album geschafft! „Wir haben damals innerhalb der Band lange darüber diskutiert. Mir schien der Song einfach zu alt“, blickt Marian Gold zurück. Zwischen der ersten Aufnahme von „Big in Japan“ und der Veröffentlichung hätten rund fünf Jahre gelegen. „Da war ich schon eher Bedenkenträger, doch am Ende froh, dass sich die Band anders entschied.“
Zu Berlin scheint Marian Gold keinen allzu großen Bezug mehr zu haben. Wenn er noch mal umziehen würde, dann nicht innerhalb der Stadt. „Paris, Barcelona, aber auch München oder Hamburg könnte ich mir vorstellen“, so der Musiker, der in Berlin nach wie vor Ku‘damm und das Aquarium am Zoo schätzt. Einmal im Jahr sei er auch auf Sylt, wo er mit der Band probt und Songs aufnimmt.
„Wir sind nicht abgehoben“
Im Osten Berlins war er bereits vor der Wende, allerdings dienstlich. „Wir traten 1987 in ‚Ein Kessel Buntes‘, der großen Show des DDR-Fernsehens, unter anderem mit ‚Dance with me‘, auf. Danach zogen wir ein bisschen durch die City, die Stasi immer im Schlepptau.“ Einen direkten Draht zu Ost-Künstlern gab es nicht. „Puhdys und Karat kannten wir aber, fanden auch einige Nummern gut, von Karat zum Beispiel ‚Albatros‘ und ‚Schwanenkönig‘“, so der Sänger, dessen Frau Anna eine der Wenigen sei, die ihn heute noch mit Hartwig ansprechen. Sein heutiger Name Marian Gold habe mit einem Lied seines Jugendidols Freddy Quinn zu tun. Der Bandname „Alphaville“ entstamme wiederum dem gleichnamigen Science-Fiction-Film von Jean-Luc Godard. Seit 1983 nannten sich Marian Gold, Frank Mertens und Bernhard Lloyd (bürgerlich: Bernd Gössling) so. Später wechselte die Besetzung der Formation mehrfach. Anfangs hieß das Pop-Trio übrigens „Forever Young“.
Mit dem plötzlichen Ruhm nach den ersten Hits konnten sie durchaus umgehen, wie Marian Gold in der Rückschau erzählt. Noch einige Wochen zuvor ohne eigene Bleibe, residierte er mit seinen Musikerkollegen plötzlich in den teuersten und besten Hotels. Vorher sei er getrampt, dann auf einmal in der ersten Klasse geflogen. Diese Phase nach den ersten Erfolgen habe er empfunden als säße er im Kino und schaue einen Film, in dem er selbst mitspielt. „Das war schon verrückt, doch abgehoben sind wir, denke ich, nicht“, sagt Marian Gold. Dazu blieb auch nicht viel Zeit, denn die Plattenfirma forderte sofort einen Langspielplatten-Nachfolger. „Der Druck war nach dem ersten Album natürlich da. Ich glaube aber, dass wir das ausgehalten haben“, so der Sohn eines Heizungsfabrikanten, der 1973 in Schule und Internat Schloss Salem, einer früheren Reichsabtei unweit des Bodensees, sein Abitur ablegte.
Dass spätere Songs nicht mehr an die 80er-Jahre-Hits heranreichten, damit hat Marian Gold offenbar seinen Frieden geschlossen: Manches gebe es im Leben eben nur einmal, findet der Künstler, dessen sieben Kinder von vier verschiedenen Müttern stammen. Mit Alphaville im klassischen Gewand scheint sich dabei nun ein Kreis zu schließen. „Eternally Yours“ wirkt wie das Vermächtnis der Band – mit 23 Liedern, die mit ihrer philharmonischen Power nicht nur Fans begeistern dürften.