Aus dem verwirrenden Büroalltag eines Hundes
Menschen sind eine merkwürdige Spezies. Seit zehn Jahren beobachte ich nun meine Zweibeiner und hab’ mir wirklich alle Mühe mit ihnen gegeben. Vieles läuft auch wirklich gut, dank jahrelangem Training. Weinerlich piepsen – Streicheleinheiten! Traurig gucken – Leckerli! Nervös hin und herlaufen – Kauknochen! Klappt alles super.
Die vergangenen beiden Jahre habe ich das Training dann verfeinert. Meine Zweibeinerin und ich waren nämlich fast rund um die Uhr zu Hause. Wegen so einem, äh, Virus oder so. Keine Ahnung. Was für eine traumhafte Zeit. Mein Mensch immer bei mir, um mir alle Wünsche von meinen braunen Hundeaugen abzulesen. Piepsen, traurig gucken und hin und her laufen wurde strategisch über den Tag verteilt ausgebaut. Hinzu kam: Sich an die Terrassentür stellen mit vorwurfsvollem Blick – zack, Tür ging auf, ich konnte in den Garten und so wichtige Aufgaben erledigen wie Eichhörnchen jagen und Spaziergänger verbellen.
Und wenn ich dann noch Frauchen mit weit geöffneten Augen und gespitzten Ohren laaaange angeschaut habe, hat sie auch ein bisschen Ball mit mir gespielt. Danach durfte sie wieder zurück an ihren Tisch und ich ein Nickerchen machen. Herrlich. Langweile war aus meinem Leben gestrichen.
Doch nun ist etwas Seltsames passiert. Neulich steht meine Zweibeinerin morgens auf und ist ganz hektisch. Unser morgendlicher Spaziergang ist plötzlich so ungemütlich. Nur eine kurze Runde – und was echt peinlich ist: Ich werde aufgefordert, möglichst schnell mein, äh, Geschäft zu machen. Was bitteschön ist hier los?
Kaum wieder zu Hause, springt Frauchen unter die Dusche. Hat sie doch sonst erst später gemacht. „Wir gehen jetzt zur Arbeit“, sagt sie mir. Hab’ ich erst gar nicht verstanden. Und dann muss ich ins Auto – am frühen Morgen. Was ist denn mit meinem Nickerchen nach dem Frühstück? Eine halbe Stunde lang werde ich durch die Gegend geschaukelt. Dann gehen wir in ein großes Haus und in so ein gruseliges Ding, das sich nach oben bewegt – von alleine. Wenn die Tür aufgeht, sind wir plötzlich ganz woanders. Echt verwirrend.
Urplötzlich finde ich mich in einem Raum wieder, in dem es noch nicht mal ein Sofa gibt. Und einen Kühlschrank sehe ich auch nicht. Was ist hier los? Frauchen setzt sich an einen Tisch, wo so ein komisches Teil draufsteht, in das sie den ganzen Tag reinschaut. So wie zu Hause. Ich bin ratlos.
Doch es kommt noch schlimmer. Ich werde in eine Ecke verfrachtet – und sie bindet mich an! Ich bin fassungslos. So etwas gab es ja noch nie. Ich hab doch gar nix gemacht! „Bist ein guter Hund“, sagt Frauchen und lässt mich dann einfach links liegen. Ich gucke traurig, piepse. „Ruhig!“, sagt Frauchen. Geht’s noch? Vielleicht hat das was mit dieser Zweibeinerin zu tun, die ebenfalls im Raum ist und auch in so ein komisches Ding reinschaut. Aber die hat mir neulich Schinken gegeben. Ein kleiner Lichtblick.
Ich atme durch und piepse erst mal nicht mehr. Mir wird langweilig. Ich stehe auf und wende mein Training an. „Platz!“, sagt Frauchen. Langsam falle ich echt vom Glauben ab. Gott sei Dank bindet sie mich dann mal los. Wir unternehmen aber immer noch nix. „Mach Platz“, höre ich wieder. Ich schaue sie an. Lange. Vorwurfsvoll. Sie seufzt – und ignoriert mich. Ignoriert mich!!! Was habe ich nur verbrochen?! Ich warte. Wann passiert denn hier mal was? Manchmal streichelt sie mich. Wenigstens etwas.
Ab und zu kommen andere Menschen rein. Aber nur kurz. Dann gehen sie wieder. Was ist das nur für ein seltsamer Ort? Offenbar müssen alle ständig irgendwo hin. Mir ist immer noch langweilig. Zu Hause kam wenigstens mal der Briefträger an die Tür, den ich zurechtweisen konnte. Ich starre aus dem Fenster. Endlich steht Frauchen auf, holt die Leine. Hurra! Wir machen einen Spaziergang. Es geht durch einen Park. Na ja, ganz okay, da riecht vieles neu und interessant. Aber ich muss die ganze Zeit an der Leine laufen! Zu Hause im Wald darf ich doch rennen. Warum hier nicht?
Danach geht’s leider wieder in diesen komischen Raum zurück, und wieder muss ich mich hinlegen und „braver Hund“ sein. Heute hat Frauchen gemeint, dass ich bald wieder zu Hause bleiben darf. Was für ein Glück. Sonst hätte ich mir schleunigst ein neues Training für meinen Menschen überlegen müssen.