Mit dem Niro EV bringt Kia eine Weiterentwicklung seines beliebten City-SUVs auf die Straße. Optisch wirkt er verjüngt, doch dann bietet die Testfahrt eine böse Überraschung.
Es gibt so vieles, das man über den Kia Niro EV schreiben könnte. Über den Dachhimmel aus Recycling-Papier. Über die bequemen Sitze. Über die Steckdose, mit der sich vom Laptop bis zum E-Bike so ziemlich jedes externe Gerät anschließen lässt. Am Ende bleibt aber vor allem ein Erlebnis in der Kölner Südstadt in Erinnerung.
Knapp drei Stunden hat Kias neuester Elektro-SUV dort am Straßenrand gestanden, ganz normal, ohne Ladevorgang. Als ich schließlich weiterfahren möchte, passiert – nichts. Das Drehrad, über das man vom Park- in den Drive-Modus wechselt, nimmt keinen Befehl an. Seltsam. Natürlich befürchte ich zuerst, selbst etwas falsch gemacht zu haben. Also noch mal: Auto anschalten, Bremse treten, Gang einlegen. Nach dem fünften Versuch ahne ich Schlimmes. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Auto während eines Tests liegen bleibt. Auch mit dem Volvo C40 Recharge, dem VW ID.3 und dem Hyundai Nexo (ein Modell mit Brennstoffzelle) ist es schon passiert. Und doch verblüfft es immer wieder aufs Neue, wie ein nagelneues Fahrzeug, das Hersteller an Journalisten herausgeben, plötzlich gar nichts mehr tut.
Problem ist seit Monaten bekannt
Anruf in der Kia-Pressestelle: „Können Sie mir helfen? Mein Test-Auto bewegt sich nicht mehr.“ Als ich die Warnmeldung vom Display vorlese („Elektrisches System prüfen“), weiß die Pressesprecherin sofort Bescheid: „Das ist der Zombie-Modus. Dieses Problem ist schon bekannt.“ Es folgen zahlreiche Mutmaßungen und Tipps: Auto ausstellen und neu starten. Auto ab- und wieder aufschließen. Den Startknopf mehrere Sekunden drücken. Nichts hilft. Am Ende schickt die Pressesprecherin ein Youtube-Video, in dem ein Autobesitzer das Zombie-Problem löst. Allerdings ist auch dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt. Zuletzt fragt die Kia-Frau, ob ich mir zutraue, die Zwölf-Volt-Batterie abzuklemmen, um das System zu rebooten. Ich verneine.
So bleibt nichts anderes als der Pannendienst übrig, Freitagnachmittag in Köln. Erwartungsgemäß steckt er im Stau fest, sodass frühestens in anderthalb Stunden mit Hilfe zu rechnen ist. Ich nutze die Zeit für ein Nickerchen auf den bequemen Liegesitzen (Aufpreis: 1.190 Euro). Als sie nach zehn Minuten doch nicht mehr so bequem sind, konsultiere ich das Internet. Und tatsächlich: In Elektroauto-Foren wird seit Monaten über den Zombie-Modus diskutiert. Umso erstaunlicher, dass Kia die Ursache noch nicht kennt.
Vieles gibt’s nur gegen Aufpreis
Nach einer Zwangspause in einem nahegelegenen Café juckt es mir in den Fingern – ein letzter Versuch, bevor der Pannendienst kommt! Dann passiert das Unglaubliche, also das eigentlich Normale für einen Neuwagen: Der Niro EV lässt sich problemlos starten. Keine Warnmeldung, keine Gang-Verweigerung, nichts. Es ist, als hätte es die Start-Schwierigkeiten nie gegeben. Warum der Fehler plötzlich aufgetaucht und wieder verschwunden ist? Und ob er erneut auftritt? Niemand weiß es. Fürs Erste bin ich jedenfalls glücklich, dass der Zombie wieder unter den Lebenden weilt.
Wenn der Niro EV erst einmal fährt, tut er das auf eine sehr angenehme Weise. Er meistert Bodenwellen, hält auf der Autobahn automatisch die Spur und zeigt ein Warndreieck im Seitenspiegel an, wenn sich ein Hindernis im toten Winkel befindet. Setzt man in einem solchen Moment den Blinker, vibriert das Lenkrad, während der Tacho rot aufleuchtet. Auch beim Ein- und Ausparken greift diese nützliche Funktion. Der Querverkehrswarner bremst im Notfall sogar automatisch, was Fußgängern und Radfahrern im Ernstfall das Leben retten könnte. Schade nur, dass ein solch innovatives System 1.590 Euro extra kostet.
Überhaupt, der Preis. Anders als die meisten E-Autos kann man den Niro EV nur in einer gut motorisierten Variante kaufen, versehen mit einem 64-Kilowatt-Akku. Dadurch sind bestimmte Ausstattungsmerkmale wie die elektrische Kofferraumklappe serienmäßig an Bord. Es treibt allerdings auch den Grundpreis auf happige 47.590 Euro nach oben. Doch selbst dann lässt sich Kia die wirklichen „Goodies“ – Liegesitze, Assistenzsysteme, Wärmepumpe – noch einmal extra bezahlen. Selbst ein graues Farb-Element an der C-Säule kostet extra, und auch dies ist nur in Kombination mit Zusatzpaketen buchbar. Eine faire Preisgestaltung sieht anders aus.
Touchsteuerung wenig intuitiv
Obendrein unterscheidet sich der Niro EV technisch kaum von seinem Vorgänger, dem e-Niro. Akku-Größe und Reichweite sind nahezu gleichgeblieben. Beim Aussehen hat sich dagegen einiges getan. Der Niro EV wirkt frisch und modern, mit seinen eckigen Frontscheinwerfern und den „Bumerang-Rücklichtern“ erinnert er an protzige amerikanische SUVs wie den Cadillac Escalade. Auch innen ist der Stromer auf der Höhe der Zeit: Das surfbrettartige Cockpit und die futuristischen Leuchtleisten wurden von Kias Premium-Modell, dem EV6, übernommen.
Leider trifft dies auch auf die Touch-Tasten unterhalb des Hauptbildschirms zu: Ist die Navi-Steuerung aktiv, kann man nicht auf die Klimaanlage zugreifen – und umgekehrt. Stattdessen muss man umschalten, damit die Tasten für die jeweiligen Funktionen aufleuchten. Das ist umständlich und wenig intuitiv. Zum Glück ist das Navi auch über Sprachbefehle erreichbar, die es gut versteht. Gibt man eine Ladestation als Ziel ein, wird die Batterie vorgewärmt, wodurch sich die Ladezeiten verkürzen sollen. Anders als viele aktuelle E-Autos plant der Niro EV bei längeren Strecken aber immer noch keine automatischen Ladestopps ein. Schade, denn eine solche Funktion würde den Alltag wirklich erleichtern.
Der Kofferraum erweist sich mit einem Volumen von 475 Litern als durchaus familientauglich. Zwei mittlere Rollkoffer lassen sich im Test problemlos übereinanderstapeln, zumal die Abdeckung nicht etwa starr ist, sondern biegsam. So geht auch dann noch die Klappe zu, wenn das Gepäck nach oben ein wenig übersteht. Darüber hinaus bietet der Niro EV einen kleinen Frunk, also ein Gepäckfach unter der Motorhaube, in dem sich zum Beispiel die Ladekabel verstauen lassen.
Auf dem Papier soll das Elektro-SUV bis zu 460 Kilometer weit kommen. Dass diese Werte je nach Fahrweise und Temperatur schwanken, ist bei E-Autos bekannt. In diesem Fall verwundert aber die doch sehr hohe Abweichung. Trotz milder Außentemperaturen von zehn Grad Celsius und einem gemäßigten Fahrstil (120 km/h) schafft der Kia nicht einmal 300 Kilometer auf der Autobahn. Das enttäuscht nicht nur, sondern überrascht. Immerhin bringt es das Schwestermodell, der Hyundai Kona, auf deutlich höhere Reichweiten, obwohl beide Fahrzeuge mit dem gleichen Akku ausgestattet sind.
Konkurrenz aus dem eigenen Haus
Und wie schlägt er sich an der Ladesäule? Auch hier ist das Ergebnis ernüchternd. Obwohl wir ihn über eine Stunde auf der Autobahn warmgefahren haben, erreicht er zu keinem Zeitpunkt die (ohnehin recht niedrige) Ladeleistung von 80 Kilowatt. Kurz geht es Richtung 70 Kilowatt, dann plätschert der Strom bei deutlich niedrigeren Werten dahin. Am Ende dauert es 50 Minuten, den Akku von 16 auf 80 Prozent aufzuladen. Zum Vergleich: Der Kia EV6 kostet rund 3.500 Euro mehr, kann aber auch dreimal so schnell laden und bietet eine höhere Reichweite. Kia macht sich hier also selbst Konkurrenz.
Auch Volvo und VW haben SUVs in dieser Preisklasse im Angebot, während chinesische Hersteller wie MG sogar deutlich darunter liegen. Gibt es also einen guten Grund, sich ausgerechnet für den Niro EV zu entscheiden? Eigentlich nicht – außer vielleicht, man liebt ihn wegen seines Aussehens. Eine positive Nachricht am Schluss: Während des 14-tägigen Testzeitraums ist der Niro EV nicht noch einmal zum Zombie mutiert. Einmal hat aber auch wahrlich gereicht.