Viele junge Menschen sind von der Entscheidung für einen Beruf überfordert. Viele haben Angst, den falschen Weg einzuschlagen. Psychologische Tests sollen helfen und eine gute Orientierung bieten.
Aufstehen, zur Arbeit fahren, Leichen sezieren: Das schien auf einmal vor allem für junge Frauen eine Traumvorstellung zu sein. In den USA, aber auch in Deutschland strebten in den Nullerjahren plötzlich mehr Mädchen und Jungen eine Karriere in der Rechtsmedizin oder Kriminaltechnik an. Einen Grund dafür sehen Soziologen im sogenannten CSI-Effekt: Krimiserien haben die Berufswahl vieler Zuschauerinnen und Zuschauer beeinflusst.
Junge Menschen orientieren sich in ihrem Berufswunsch an Vorbildern – ob real oder fiktiv. Doch in die meisten Jobs haben sie keinen Einblick. Was macht eigentlich ein Geologe, ein Industriekletterer oder eine Frontend-Entwicklerin? Was muss eine Kuratorin können, wie wird man Hufschmied? Und: Lohnt sich das? Das macht die Wahl für viele schwierig.
„Die Entscheidung für einen Beruf überfordert junge Menschen“, sagt Markus Neuenschwander. Er ist Professor für Pädagogische Psychologie und leitet das Zentrum Lernen und Sozialisation an der Fachhochschule Nordwestschweiz. „Sie sollen sich für eine Ausbildung entscheiden, ohne das Berufsleben zu kennen. Für ein rein rationales Abwägen stehen meist nicht genug Informationen zur Verfügung.“ Wie also trifft man trotzdem eine gute Wahl?
Welche Laufbahn Jugendliche einschlagen, wird vor allem vom sozialen Umfeld beeinflusst. Die wichtigsten Ratgeber sind dabei die Eltern, wie eine repräsentative Befragung von deutschen Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem Jahr 2019 ergab.
Vorbilder aus dem Familien- und Bekanntenkreis beeinflussen die Berufsentscheidung junger Menschen oft stärker als ihre eigenen Interessen, berichtet Neuenschwander aus der Forschung. „Manchmal kommt es sogar zu einer Art Loyalitätskonflikt – wenn etwa der Vater dafür plädiert, Lebensmittelingenieurin zu werden, die Tante aber klar zu einem Sozialpädagogik-Studium rät.“ Wichtige Ansprechpartner sind außerdem Freunde, wie die Umfrage ergab. Gespräche mit Lehrern und Menschen, die bereits im anvisierten Job arbeiten, würden ebenfalls als hilfreich empfunden.
Oft zu wenig Informationen
Dennoch sah sich fast jeder zweite Befragte unzureichend informiert. Viele haben Angst, den falschen Weg einzuschlagen, und fühlen sich von der Fülle der Optionen regelrecht erschlagen. Immerhin prägt diese Entscheidung das weitere Leben. Am wichtigsten ist jungen Menschen laut der Umfrage, dass sie eine Arbeit finden, die ihnen Spaß macht, gefolgt von einem sicheren Arbeitsplatz, einer Tätigkeit, die zu ihnen passt, und netten Kollegen. Ein hohes Gehalt war der Mehrheit zwar ebenfalls wichtig, rangierte in der Prioritätenliste aber eher im Mittelfeld.
„Wenn man sich Laufbahnen anschaut, dann sind diese oft nicht geradlinig. Wer in seinem Job unglücklich ist, kann sich immer noch umentscheiden“, beruhigt Katja Driesel-Lange, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Berufsorientierung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. „Doch wir wissen auch aus Studien: Wer eine gut begründete Entscheidung getroffen hat, ist erfolgreicher im Beruf.“
Der Expertin zufolge sollte man die Berufswahl von vier Aspekten abhängig machen – wer sich so Klarheit verschaffe, sei auf einem guten Weg. An erster Stelle geht es um Lebensziele: Wie stelle ich mir meine Zukunft vor? Welche Rolle soll mein Beruf darin überhaupt spielen? Möchte ich in einer Großstadt leben oder lieber auf dem Land? Will ich Karriere machen oder vor allem viel Zeit für Hobbies haben? Dabei kann es sogar helfen, ein bestimmtes Szenario vor dem inneren Auge durchzugehen und zu schauen, wie sich die Vorstellung anfühlt.
Hinter diesen Überlegungen steckt schon Punkt zwei: Welche Werte und Motive sind mir wichtig? Brauche ich finanzielle Sicherheit, möchte ich Gutes tun oder Karriere machen? Die Werte und Zukunftsvorstellungen geben einen Anhaltspunkt, welche Berufe passen könnten. „Wichtig ist, vor allem zu Beginn breit zu schauen und nicht nur drei oder vier Berufe zu erwägen. Eine gezielte Eingrenzung sollte später erfolgen“, empfiehlt Katja Driesel-Lange.
Die anderen beiden Aspekte sind die fachlichen Interessen und Fähigkeiten: Was will ich und was kann ich? „Man sollte keinen Job ergreifen, der einen über- oder unterfordert“, rät Markus Neuenschwander. Eine Stelle sollte außerdem nicht nur zu den Fähigkeiten passen, sondern auch zur Persönlichkeit. Eine introvertierte Person brilliert wahrscheinlich nicht im Verkauf. Jemand, der am liebsten an der frischen Luft ist, wird in einem Bürojob eher nicht glücklich.
Um diese Passung zu prüfen, haben Psychologinnen und Psychologen eine Reihe von Tests entwickelt. Einer davon ist der Allgemeine Interessen-Struktur-Test (AIST). Er fußt auf dem sogenannten RIASEC-Modell, das Menschen nach ihren Interessen einteilt:
Der realistische Typ ist praktisch veranlagt: Körperliche Betätigung liegt ihm mehr als das Lösen abstrakter Probleme. Zu diesem Typ passen handwerkliche und technische Berufe.
Der investigative Typ ist intellektuell veranlagt und hat das Bedürfnis, Zusammenhänge zu verstehen. Solche Menschen trifft man häufig in naturwissenschaftlichen, medizinischen oder mathematischen Berufen.
Der künstlerische Typ beschäftigt sich ähnlich wie der intellektuelle viel mit seinem Innenleben. Er denkt viel nach und hat ein starkes Bedürfnis, sich künstlerisch auszudrücken. Entsprechend arbeiten diese Personen oft als Musikerinnen, Künstler oder in anderen Kulturbereichen.
Der soziale Typ hat gern mit Menschen zu tun. Er verfügt über emotionales Gespür, übernimmt Verantwortung und kümmert sich gern um andere. Passende Berufe sind Sozialarbeit, Sonderpädagogik und Psychotherapie.
Der unternehmerische Typ versteht sich als Führungspersönlichkeit. Er kann sich gut ausdrücken und durchsetzen, meidet aber abstrakte Denkaufgaben. Typischerweise arbeitet er als Manager, Hotelier oder Makler.
Termin für Berufsberatung
Der traditionelle Typ hat gern genaue Vorgaben, mag ordnende und verwaltende Tätigkeiten und legt Wert auf finanzielle Sicherheit. Diese Orientierung passt zum Beispiel gut zum Beruf des Bankangestellten oder der Buchhalterin.
Der Test wird in Schulen eingesetzt. Er erfragt Interessen und Vorlieben und ermittelt so, wie stark die sechs Orientierungen jeweils ausgeprägt sind. Selten liegt ein bestimmter Interessentyp in Reinform vor. Zu den jeweiligen Interessenprofilen liefert der AIST passende Jobvorschläge. Der AIST erfüllt die Gütekriterien psychologischer Tests und kann gut zwischen Angehörigen verschiedener Berufsgruppen unterscheiden. Viele Onlinetests folgen dem RIASEC-Modell oder ähnlichen Ansätzen, die auf der Passung von Persönlichkeit und Jobanforderungen beruhen.
„Die Berufsorientierungstests der Bundesagentur für Arbeit sind zum Beispiel wissenschaftlich fundiert und oft hilfreich“, sagt Katja Driesel-Lange. Im Internet findet sich eine ganze Reihe seriöser Orientierungstools, die bei der Entscheidung für einen Beruf helfen können. Schülerinnen und Schüler sollten die Ergebnisse dieser Tests mit einer Fachkraft besprechen, empfiehlt die Erziehungswissenschaftlerin. „Man kann dafür zum Beispiel bei der Bundesagentur für Arbeit einen Termin für eine Berufsberatung machen.“
Auch Markus Neuenschwander glaubt, dass solche psychologischen Tests als Ideenlieferant dienen können. „Allerdings reproduzieren Fragebögen, die auf Selbstauskunft beruhen, oft nur das, was ich ohnehin schon über mich zu wissen glaube. Und gerade in jungen Jahren ist das Selbstbild noch gar nicht gefestigt“, gibt er zu bedenken.
Daher kann manchmal ein Blick von außen sinnvoll sein, beispielsweise in Form einer Potenzial-Analyse, wie sie unter anderem an Schulen eingesetzt wird. Die Schüler und Schülerinnen beantworten dazu Fragebögen oder bearbeiten praktische Aufgaben und bekommen anschließend Rückmeldung zu ihren Stärken und Schwächen. „Ziel ist es, Talente an mir zu erkennen, die mir selbst gar nicht bewusst waren“, sagt Katja Driesel-Lange.
Markus Neuenschwander rät jungen Menschen, die sich noch nicht sicher sind, möglichst viele Schnupper-Praktika zu machen. Es lohne sich auch, in Betrieben nachzufragen, ob man mal einen Tag mitlaufen kann. „Am Ende sollten Sie sich fragen ‚Wie ging es mir dabei?‘, aber auch ‚Warum ging es mir so?‘. Hat mir wirklich die Tätigkeit gefallen, oder waren mir vielleicht nur die Mitarbeiter sympathisch?“
Auch Katja Driesel-Lange findet Ausprobieren wichtig: „Googeln reicht nicht. Sie müssen den Beruf erleben, statt nur darüber zu lesen.“ Das erfordert Einsatz – ausgerechnet in einer Lebensphase, in denen die Jugendlichen oft ganz andere Sorgen haben. Aktuell komme noch zu wenig Unterstützung bei ihnen an, da sind sich die Experten einig. Zu sehr unter Druck setzen sollten sich junge Menschen allerdings nicht, sagt Katja Driesel-Lange: „Sehen Sie die Entscheidung nicht nur als Last, sondern als Chance, das eigene Leben frei zu gestalten.“