Belgien hat sie 2022 gesetzlich eingeführt, Großbritannien hat sie in einer großen Studie ein halbes Jahr lang getestet, für ihre Befürworter ist sie das Arbeitsmodell der Zukunft. Die Rede ist von der Vier-Tage-Woche. Was hat es mit diesem Modell auf sich?
Bei näherer Betrachtung ist der Begriff vage: In Deutschland etwa wird die Vier-Tage-Woche bislang vor allem als Teilzeitmodell umgesetzt: Damit reduziert sich die Arbeitszeit um 20 Prozent und somit auch das Gehalt. Rein rechnerisch würde dies bei einem klassischen Acht-Stunden-Tag zu einer Vier-Tage-Woche führen. Wie die reduzierte Arbeitszeit verteilt wird, bleibt den Absprachen zwischen dem einzelnen Unternehmen und seinen Mitarbeitern überlassen. Der US-amerikanische Unternehmer und Buchautor Timothy Ferriss plädierte vor Jahren sogar schon für noch mehr Arbeitszeitreduktion: Sein Buch „Die 4-Stunden-Woche“ avancierte zum weltweiten Bestseller. Die Linken-Politikerin Katja Kipping forderte im Jahr 2020 in einem Positionspapier eine 30-Stunden-Woche – als Vollzeitnorm wohlgemerkt. „Wir brauchen eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche in Vollzeit, um die Produktivitätsfortschritte allen zugutekommen zu lassen und allen ausreichend Zeit für Familie und Sorgearbeit, für politische Einmischung, persönliche Weiterbildung und Muße zu ermöglichen“, sagte sie.
Das ist die eine Vision: Weniger Arbeit bei vollem Gehalt. Im bislang gängigen Teilzeitmodell war das hierzulande nicht vorgesehen. Wer in Deutschland 30 oder noch weniger Stunden pro Woche arbeitet, muss in der Regel auch ein reduziertes Gehalt und verminderte Einzahlungen in die Altersversorgung in Kauf nehmen. Doch wer dauerhaft in Teilzeit arbeitet, läuft im schlimmsten Fall Gefahr, sich später in der Altersarmut wiederzufinden.
Experte:„Fünf, sechs Stunden reichen aus“
Das Nachbarland Belgien hat die Vision von der Vier-Tage-Woche anders umgesetzt: Seit einer Arbeitsmarktreform vom Februar 2022 dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre 38-Stunden-Woche flexibler aufteilen, indem sie an vier anstatt an fünf Tagen arbeiten – wenn sie denn wollen. Umfragen im vergangenen Jahr ergeben, dass auch viele Beschäftigte in Deutschland mit dem belgischen Modell liebäugeln würden. So sprach sich in einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Appinio sich mehr als die Hälfte der Befragten für die Einführung dieses Arbeitsmodells aus. Auch jede zweite deutsche Führungskraft plädierte dafür. Laut dieser Studie würde jeder Dritte gern nur vier Tage pro Woche arbeiten, selbst wenn die Arbeitszeit an den einzelnen Tagen länger wäre. Nur für jeden Fünften wäre die Reduktion der Wochenarbeitszeit eine Grundvoraussetzung für die Einführung der Vier-Tage-Woche. Besonders die Besserverdiener mit einem Haushaltsnettoeinkommen von monatlich mehr als 5.000 Euro reizt das Modell. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/NTV kam im Jahr 2022 zu einem ähnlichen Resultat: Fast drei Viertel (71 Prozent) der befragten Erwerbstätigen fänden es gut, wenn Deutschland dem belgischen Vorbild nacheifern würde. Weniger als ein Drittel (31 Prozent) würde lieber bei den üblichen fünf Tagen bleiben.
In Großbritannien fand im vergangenen Jahr die bislang größte Studie zu dem Arbeitsmodell statt: 61 Unternehmen testeten ein halbes Jahr lang die Vier-Tage-Woche. Das Ergebnis waren 65 Prozent weniger Krankheitstage und eine Umsatzsteigerung von 1,4 Prozent. Mehr als ein Drittel (39 Prozent) der Mitarbeiter gab an, in dieser Zeit weniger gestresst gewesen zu sein. „Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Angestellten hat einen Bumerang-Effekt“, sagt Will Stronge, Direktor des Thinktanks „Autonomy“, der das Experiment mit begleitet hat. „Man arbeitet die Menschen nicht kaputt, sondern erhöht Qualität, Loyalität und Freude bei der Arbeit und bekommt ein stärkeres Unternehmen“, ist der Brite überzeugt.
Andere schätzen den Nutzen der verkürzten Woche eher gering ein. „Der eine Tag mehr schafft keinen nennenswerten größeren Erholungseffekt“, sagt Prof. Florian Becker im Gespräch. Der Wirtschaftschaftspsychologe ist Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft (WPGS) und Autor des Fachbuchs „Mitarbeiter wirksam motivieren“. Für die meisten Jobs hält der Psychologe kürzere Arbeitstage für effektiver. „Bei vielen Tätigkeiten reichen fünf, sechs Stunden aus“, sagt er. Besonders bei geistig anspruchsvollen Berufen wie etwa denen von Psychotherapeutinnen oder Unternehmensberatern könne man einen Acht-Stunden-Tag „vergessen“. Denn die Konzentration reiche dafür nicht. „Außerdem haben umfangreiche Studien ergeben, dass Berufstätige mehr als zwei Stunden Arbeitszeit am Tag durch Unterbrechungen verlieren. „Sie lenken sich ab oder werden abgelenkt“, sagt Florian Becker – so zum Beispiel durch die Nutzung „suchtbildender Apps“ und sozialer Netzwerke sowie häufiges Lesen von E-Mails. „Viele Menschen gucken 50- bis 70-mal am Tag in ihre E-Mails.“ Das Problem der vielen Unterbrechungen sei auch, dass man danach eine mehrminütige Anlaufzeit brauche, um sich wieder neu auf die ursprüngliche Aufgabe konzentrieren zu können. Florian Becker plädiert für individuelle und flexiblere Arbeitsmodelle. „Es ist ein Unding, Menschen nach Arbeitszeit zu bezahlen“, sagt er. Viel sinnvoller sei es, Menschen nach ihrer Produktivität und Effektivität zu messen.
In Deutschland praktizieren einige Unternehmen die Vier-Tage-Woche bereits. Dies sind zum Beispiel das Handwerksunternehmen Klimashop, der Maschinenbauer MBM innovations und der Möbelhändler XXXLutz aus Augsburg. Dort gibt es sogar mehrere unterschiedliche Zeitmodelle: Klimashop etwa hat eine Drei- und dann wieder eine Fünf-Tage-Woche. Generell hat das bayerische Unternehmen seit Anfang des Jahres die Arbeitszeit von 40 auf 38 Stunden in eine Vier-Tage-Woche umgewandelt.
Unternehmen wirbt mit Vier-Tage-Woche
Auch die überregional tätige Autohausgruppe La Linea wirbt mit der Vier-Tage-Woche. Das Konzept sei seit November 2022 erarbeitet worden, erzählt der Geschäftsführer Dionysius Steingass im Gespräch mit FORUM. Seit März erhielten die Mitarbeiter der acht Autohäuser 21 Prozent mehr Gehalt als bisher, da sie bislang noch fünf Tage die Woche arbeiten, erläutert er weiter. Bis Juli sollen sie sich dann entscheiden, ob sie lieber vier oder fünf Tage die Woche arbeiten wollen. Wer sich für die Vier-Tage-Woche entscheidet, wird bei La Linea dann wieder das reguläre Gehalt erhalten, bei den anderen bleibt es bei der Gehaltserhöhung. Die Umstrukturierung sei ein organisatorischer und finanzieller Aufwand, zumal es auch Notdienste am Samstag gebe, so Dionysius Steingass. „So etwas geht nicht per Fingerschnipps.“ Bei La Linea hat man sich aufgrund des Fachkräftemangels im eigenen Haus zu diesem Schritt entschlossen. Dank der Kampagne habe das Unternehmen im Februar zehn Mitarbeiter mehr einstellen können. Nach den ersten Rückmeldungen zu urteilen, wollten aber viele Produktionsmitarbeiter weiterhin lieber mehr Gehalt haben als einen Tag weniger zu arbeiten, berichtet Dionysius Steingass. „Das wundert mich. Ich dachte, dass Ältere oder auch Jüngere gern einen Tag weniger arbeiten würden.“ Zumal der Beruf des Mechatronikers körperlich sehr fordernd sei.
Darüber, warum sich viele bei La Linea bislang für mehr Geld anstatt mehr Freizeit entschieden haben, kann Dionysius Steingass nur Mutmaßungen anstellen. „Ich nehme an, dass viele derzeit mehr Geld bitter nötig haben. „Möglicherweise sei es auch der Gruppendynamik geschuldet. Möglicherweise haben sich die Mechaniker gegenseitig beeinflusst und aus dem extra freien Tag rausgequatscht.“ La Linea sei in einem männerdominierten Gewerbe tätig und habe in den vergangenen zwei Jahren leider keine Frau als Mechatronikerin gewinnen können, so Dionysius
Steingass.