Die Wanderausstellung „Ötzi – Tatort in den Alpen“ ist im Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, ergänzt durch regionale steinzeitliche Funde, zu sehen. Ein Besuch.
Es war eine Sensation. Seit er gefunden wurde, kennt ihn jeder: Ötzi. Sein Name weist auf den Fundort hin: Das Ötztal. Ein deutsches Bergsteiger-Ehepaar findet 1991 eine mumifizierte Leiche in den Alpen und berichtet davon in der nächstgelegenen Wanderhütte. Man vermutet, dass das „lederne Etwas“ seit zehn Jahren im Schmelzwassersee liegt. Die Gendarmerie kommt, stochert mit Skistöcken an der Mumie herum und schätzt, dass die Leiche seit 100 Jahren im Eis liegt. Dr. Roland Wiermann, Sammlungsleiter des Museums für Vor- und Frühgeschichte und Kurator, erzählt die Geschichte und beschreibt das Vorgehen um die Bergung als „sehr dilettantisch und unfachmännisch“. Der Extrembergsteiger Reinhold Messner war zur Stelle und datierte den Fund auf 1.000 Jahre. Erst nach der Bergung kann ein Archäologe eine gesicherte Bestimmung zum Alter der Mumie abgeben: Mindestens 5.000 Jahre. Die Mumie wird nach Innsbruck ins gerichtsmedizinische Institut gebracht.
In den Alpen war der Mann auf der Flucht
Wo genau lag die Mumie? Das ist wesentlich, denn jeder will den Ötzi haben. Es wird penibel gemessen. Pech für Österreich. Ötzi ist Italiener, ein echter Südtiroler. Und: Die Isotopen-Analyse, ein Verfahren, das aus Zahnschmelz und Hüftknochen eine Art chemischen „Fingerabdruck“ liefert, ist obendrein eindeutig. Ötzi muss nach Bozen übersiedeln. Dort befindet er sich bis heute, in einer Klimakammer. Die Besucher des Archäologiemuseums Bozen können durch ein Fenster hineinschauen.
In Saarbrücken schaut man auf den sozusagen wiederauferstandenen Ötzi. Die lebensgroße Figur entstand mithilfe des Fachwissens mehrerer Experten und ist in Paris angefertigt worden. Ötzi war 1,62 Meter groß, er hatte braunes Haar und braune Augen. Als er starb, war er 46 Jahre alt. Dr. Wiermann erzählt, was man der Ötzi-Figur freilich nicht ansehen kann: „Er war laktoseintolerant, litt unter Borreliose und hatte einen erfrorenen Zeh.“ Er galt als gut untersucht. Eine Röntgenuntersuchung sechs Jahre später zeigte jedoch eine Überraschung: eine Pfeilspitze in der linken Schulter. An der rechten Hand fand man Schnittverletzungen. Man zog Kriminologen hinzu und versuchte, die Geschehnisse zu rekonstruieren. Ötzi sei bei einer Streiterei an der Hand verletzt worden, sein Bogen und seine Pfeile seien zerstört worden, er sei geflüchtet. Sein Verfolger habe ihm nachgesetzt und ihn mit einem Pfeil erschossen. Der Pfeilschaft wurde abgebrochen, weil dieser Rückschluss auf den Mörder hätte geben können.
„Warum ist Ötzi ermordet worden?“ fragt Dr. Wiermann und spekuliert: „War es eine Familienfehde oder ein Eifersuchtsdrama?“ Als gesichert gilt: „Es ist auf keinen Fall ein Raubüberfall gewesen. Das ganz wertvolle Kupferbeil, das er bei sich hatte, blieb am Tatort.“ Auch die Gegenstände, die der Mann mit sich führte sowie seine Kleidung, blieben vom Mörder unangetastet.
Was Letztere anbelangt, erregen seine Schuhe mein Interesse. Man könnte sagen: Typisch Frau, aber nein: Materialien unterschiedlicher Qualität sind kunstvoll und wohldurchdacht zusammengefügt, das beeindruckt. Diese Schuhe stehen am Übergang von der Stein- zur Bronzezeit. „Ötzi“ sei uns näher gekommen, „als wir es gedacht haben“, hatte Frau Dr. Jahn, Kunst- und kulturwissenschaftliche Vorständin der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, bei der Begrüßung behauptet. Tatsächlich. Ich bekomme sogar Lust, die Schuhe anzuprobieren. Wie fühlt es sich an auf einer Bärenfellsohle zu laufen? Rindleder wurde auch mitverarbeitet. Ein sorgfältig geschnürtes Lindenbastnetz hält das Konstrukt zusammen, eine Grasfüllung bildet die Polsterung.
Ötzis Rucksack hätte in der Flower-Power-Hippie-Ära Staat gemacht. Darin befand sich unter anderem Birkenporling. Noch nie davon gehört. Ein Museum ist ein Lernort: Es handelt sich um einen Pilz, der wegen seiner entzündungshemmenden und schmerzstillenden Wirkung zur Wundheilung verwendet wurde. Ötzis Medizin.
Die Ausstellung wurde für Familien von der Stiftung Neanderthal Museum Mettmann in Zusammenarbeit mit Geo konzipiert. Sie präsentiert Reproduktionen von Ausrüstungsgegenständen sowie Bekleidung des Mannes aus dem Eis und wird von einem umfangreichen Begleitprogramm flankiert. Einem Achtjährigen zu sagen: „In den Schuhen ist der Ötzi herumgelaufen“ ist falsch. Was ist Original, Kopie und Fälschung? Diesen Erkenntnisgewinn – an dem man sich früh und immer wieder aufs Neue schulen sollte – liefert die Ausstellung mit.
Umso interessanter ist daher eine Vitrine, die lokale Funde enthält: Eine steinerne Axt sieht aus, als sei sie aus Metall. Die „Imitation in Stein“ ist eine Leihgabe des Musée de La Cour dOr de Metz. Wer sie gefertigt hat, imitierte eine Metall-Axt, darin zeigt sich auch, wie begehrt eine Metall-Axt war. Wer so einen Gegenstand besaß, gehörte zu einer „elitären Gruppe“, erläutert Dr. Wiermann. Ötzi besaß, wie bereits erwähnt, sogar ein Beil mit einer Klinge aus Kupfer. Das Ende der Jungsteinzeit wird in einigen Gebieten Mitteleuropas auch als Kupferzeit bezeichnet, wobei die Anfänge der Kupferverarbeitung ins 8. Jahrtausend vor Christus zurückreichen sollen.
Naturmedizin Birkenporling
Auf welche Weise die Menschen dieser Zeit es verstanden, Feuersteinspitzen herzustellen, lässt sich an fünf Stadien ablesen: Ein unscheinbares, rechteckiges kleines Plättchen ist der erste Rohling auf dem Weg zu einer gefährlich effektiven Waffe. Die Pfeilspitzen wurden mit Birkenpech im Pfeilschaft verklebt. An dessen Ende sorgte eine Feder für eine stabile Flugbahn. Man weiß, dass die Pfeilspitze, die Ötzi tödlich traf, sich von seinen eigenen, die er im Köcher mitführte, unterschied. War Ötzi ein Krieger, ein Clan-Chef, der von einer anderen Krieger-Sippe verfolgt und getötet wurde?
Können Sie das Rätsel lösen? Auf zum Saarbrücker Schlossplatz zu „Ötzi – Tatort in den Alpen“. Wenn Sie den Mordfall aufgeklärt haben, informieren Sie uns bitte. Wir berichten. Es wäre eine Sensation.