In Kommunen teilen sich die Menschen Wohnraum, Autos, Kleidung und mehr. Viele sind im Laufe der Jahrzehnte gescheitert. Andere haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Das gemeinschaftliche Zusammenleben spart nicht nur Geld, es ist vor allem ressourcenschonend.
So könnte das Paradies aussehen. Zwischen restaurierten Fachwerkhäusern im nordhessischen Niederkaufungen stehen Apfel- und Pflaumenbäume. An langen Tischen sitzen die Bewohnerinnen und Bewohner draußen im Schatten der großen alten Bäume beim Essen. Jeden Tag um 13 Uhr ruft die Gemeinschaftsküche zum Mittagessen für alle: Fleisch, vegetarisch, vegan, alles da.
1986 kauften rund ein Dutzend Idealistinnen und Idealisten einen alten Bauernhof in Niederkaufungen bei Kassel, um dort eine Kommune zu gründen. Motto: „Alle geben, was sie können, und bekommen, was sie brauchen.“ Die Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem und der Zerstörung von Natur und Umwelt brachte Menschen immer wieder zu der Frage: Wie können wir es besser machen? So gründeten in den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren vor allem sogenannte Aussteiger Landkommunen. Hier sollten alle gleichberechtigt und gleichwertig miteinander leben und arbeiten. So auch die Gründerinnen und Gründer in Niederkaufungen.
Das Experiment ist so erfolgreich, dass die Kommunardinnen und Kommunarden laufend weitere Höfe und Land dazu kaufen. Heute ist die Kommune Niederkaufungen ein Wirtschaftsunternehmen mit eigener Bio-Landwirtschaft, Kindertagesstätte, einer Tagespflege für Demenzkranke, Handwerksbetrieben und mehr.
Annette ist in einem Dorf in Rheinhessen aufgewachsen. Mit ihrem damaligen Freund suchte sie einen Platz zum Leben, zog in die Kommune und blieb. Die beiden hatten keine Lust mehr auf „eine Konsumgesellschaft, in der du nur bist, was du kaufst und hast“. In der Kommune Niederkaufungen genießt die 48-Jährige den ständigen Austausch mit Menschen, die vielen Begegnungen und das Gefühl, in etwas Ganzes eingebunden zu sein.
Das Leben in Gemeinschaft nennt Annette „bequemer und einfacher“. Alle Einnahmen fließen in eine gemeinsame Kasse, aus der die Gemeinschaft sämtliche Ausgaben bezahlt. Die Verwaltung der Kommune kauft, was die Kommunardinnen und Kommunarden im Alltag benötigen. Kleidung findet sich in der gemeinsamen Kleiderkammer, ein neues Sofa oder ein Tisch im Möbellager. Wenn sie etwas nicht mehr brauchen, bringen sie es dorthin. Die anderen können sich aus dem Fundus bedienen.
Wer Dinge mit anderen gemeinsam nutzt, entlastet nicht nur Klima und Umwelt. Er oder sie spart auch eine Menge Geld – oder kann sich mit wenig Geld mehr leisten, wie Stefanie Ross erklärt: „Ich habe viel mehr Ressourcen zur Verfügung. Ich meine, guck dich hier um, im Garten. Niemals könnte ich mir alleine so einen Luxus leisten.“
Stefanie Ross, 62, genannt Steff, lebt in der Stadtkommune „Locomuna“ im Kasseler Vorderen Westen. In einer Fabrikantenvilla aus den 1920er-Jahren und einem umgebauten ehemaligen Wohnheim der Deutschen Bahn leben rund 20 Menschen auf etwa 900 Quadratmetern Wohnfläche zusammen. Wie in Niederkaufungen führen sie hier eine „gemeinsame Ökonomie“. Während in der „Locomuna“ die Bewohnerinnen und Bewohner „draußen“ arbeiten, sind die Kommunardinnen und Kommunarden in Niederkaufungen bei ihrer Kommune angestellt. Job und Wohnung sind ihnen sicher. Auch wer krank wird, bekommt die Unterstützung der anderen.
Die Sozialwissenschaftlerin Anne Kathrin Schwab forscht an der Uni Vechta zu nachhaltiger Ökonomie. Sie ist der Frage nachgegangen, wie eine Gesellschaft ohne Wachstumszwang aussehen kann – also eine Wirtschaft, die die Bedürfnisse der Menschen erfüllt, ohne den Planeten zu zerstören. Antworten hat sie in Öko-Dörfern und Kommunen gefunden. Nun möchte sie selbst entsprechend leben. Deshalb ist sie in die „Villa Locomuna“ gezogen.
Gemeinsame Werte stärken die Gruppe
Wichtig ist ihr die Geborgenheit, die sie und ihr achtjähriger Sohn in der Gemeinschaft finden. Wenn es bei der Arbeit mal länger dauert, muss sie sich um ihr Kind keine Sorgen machen. Die anderen kümmern sich um den Jungen. Seiner Entwicklung hätten die vielen Impulse zahlreicher unterschiedlicher Menschen gutgetan, sagt Schwab. Für Familien mit kleinen Kindern hat das Leben in Gemeinschaft viele Vorteile. Die Kleinen haben immer jemanden zum Spielen und viele erwachsene Bezugspersonen. Sie lernen früh, sich in einer Gemeinschaft zu orientieren und mit unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt zurechtzukommen.
Bevor Anne Kathrin Schwab in die „Locomuna“ gezogen ist, wohnte sie in ihrem eigenen Häuschen. Das soll sie nun in das gemeinsame Vermögen der Kommune einbringen, ebenso ihr Wohnmobil. Besonders schwierig wird es für sie, wenn es um ihre Pferde geht. Auch diese sollte sie in die Gemeinschaftskasse einbringen. Für die Wissenschaftlerin ist es dagegen eine Investition, wenn sie die Fohlen großzieht, ausbildet und verkauft. Ob sie dazu bereit sein wird, wisse sie noch nicht.
Nur sehr selten streiten die Menschen in Gemeinschaften ums Geld. Meist geht es um Zwischenmenschliches, um Respekt, Wertschätzung und andere Bedürfnisse, die hinter dem Streit um eine vermeintlich sachliche Frage stehen. Um solche Konflikte zu bewältigen, nutzen die meisten Gemeinschaften Moderations- und Konfliktbearbeitungsmethoden wie die „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg, die Soziokratie, Systemisches Konsensieren oder die sogenannte „Radikale Therapie“. Im Zentrum dieser Methoden steht die freiwillige Bereitschaft, mit einer Gruppe, in der alle Menschen gleichwertig sind, gemeinsame Lösungen und Entscheidungen zu erarbeiten.
Der Sozialwissenschaftler Ferdinand Stenglein forscht seit fast 20 Jahren zu freiwilligen Lebensgemeinschaften. Er empfiehlt den Kommunardinnen und Kommunarden, das Persönliche und das Wirtschaftliche voneinander zu trennen. Zusammenzuleben und in eine gemeinsame Kasse zu wirtschaften heiße nicht, dass man auch befreundet sein muss. Wer auf Dauer miteinander auskommen wolle, solle auch Verträge schließen, in denen das Zusammenleben und eine mögliche Trennung geregelt sind.
Eva Stützel hat 1997 die Gemeinschaftssiedlung „Sieben Linden“ mit gegründet und lebt weiterhin in dem genossenschaftlich organisierten Ökodorf in der Altmark. Ihre Erfahrungen hat sie im „Gemeinschaftskompass“ zusammengefasst. Dabei handelt es sich um eine Plattform, die sich aus ihren Erfahrungen mit dem gemeinschaftlichen Zusammenleben und ihrem Hintergrund als Psychologin speist. Besonders und auch wirtschaftlich stabil seien die Gemeinschaften, die sich schon vor der Gründung auf eine möglichst konkrete gemeinsame Vision geeinigt hätten, an der sich dann alle orientieren. Dies seien gemeinsame Werte, die den Zusammenhalt auch in schwierigen Zeiten stärken. Im Schatten der Apfelbäume in Niederkaufungen sitzt Alt-Kommunarde Dieter Junior. Mit seinem Leben hier ist er sehr zufrieden. Er fasst seine Erfahrungen so zusammen: „Das Schöne an einer Kommune ist, dass du immer unter Menschen bist. Und das Schlimme an einer Kommune ist, dass du immer unter Menschen bist.“