Gegner halten die Jagd für unnütz, grausam und kontraproduktiv. Doch wie soll sich die Natur selbst regulieren? Und bilden sogenannte invasive Arten keine Gefahr für die heimische Flora und Fauna? Ein Interview mit Peter Höffken von Peta Deutschland.
Herr Höffken, die Jagd auf Tierarten wie Rehe, Hirsche oder Wildschweine wird vor allem mit Überpopulation und Artenschutz begründet. Was sagen Sie dazu?
Über 99,5 Prozent der Jagdausübungsberechtigen in Deutschland sind Hobbyjäger und Hobbyjägerinnen. Sie haben sich das Töten von Tieren als Freizeitbeschäftigung ausgesucht. Den meisten von ihnen geht es darum, einen „Kick“ dabei zu verspüren, über Leben und Tod zu entscheiden. Das geht aus Foren, Büchern und Veranstaltungsbeiträgen hervor. Weil dieser Grund in der Öffentlichkeit nicht gut ankommt, müssen andere Argumente für das Töten her. Deshalb wird die Jägerschaft nicht müde, den Wildtieren zahlreiche negative Merkmale anzudichten. Doch angegebene Gründe wie Überpopulation, Krankheitsübertragung, Artenschutz oder Walderhalt sind vorgeschobene Panikmache und halten einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht stand.
Kann sich die Natur denn überhaupt noch selbst regulieren?
Die Natur und die Tiere brauchen die Jägerschaft nicht. Anerkannte Wildbiologen sind sich einig, dass aus ökologischer Sicht keine Notwendigkeit für die Jagd besteht. So findet dem renommierten Biologen Prof. Dr. Josef Reichholf zufolge eine natürliche Regulation der im Wald wohnenden Tierpopulationen durch Umwelteinflüsse wie Witterung, Nahrungsverfügbarkeit oder Krankheiten statt. Der Biologe Dr. Karl-Heinz Loske sieht in der Jagd lediglich ein überflüssiges Hobby, das der Befriedigung der Jagdlust der Jäger und Jägerinnen dient. Nach Einschätzung von Dr. Karl-Heinz Loske als anerkannter Experte für Landschaftsökologie ist die Jagd aus ökologischer und moralischer Sicht nicht zu verantworten. Weitgehend jagdfreie Gebiete wie etwa der Kanton Genf zeigen, dass die Jagd unnötig und kontraproduktiv ist.
Die Jagd zerstört die Alters- und Sozialstrukturen der Tierpopulationen, was bei den Überlebenden zu erhöhter Fortpflanzung führt. Beispielsweise zeigt eine wissenschaftliche Studie („Pulsed resources and climate-induced variation in the reproductive traits of wild boar under high hunting pressure“, Journal of Animal Ecology 2009), dass eine Wildschweinpopulation bei starker Bejagung zunimmt, und bei ausbleibender Bejagung stabil bleibt. Durch die Jagd wird das selbstregulierende soziale Gefüge einer Wildschwein-Rotte zerstört und die einzelnen weiblichen Familienmitglieder vermehren sich dann vorzeitig. Hinzu kommt, dass Wildschweine teilweise massiv gefüttert werden. Um ihre Jagdlust auszuleben, überbrücken Jäger Nahrungsengpässe und die Population wird künstlich aufgepäppelt. Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft ermittelte in einer Studie, dass in untersuchten Gebieten pro getötetem Wildschwein circa 100 Kilogramm Mais verfüttert wurden. Das sind etwa drei Kilogramm Mais pro Kilogramm Wildschweinfleisch und mehr als in der „Hausschweinemast“ eingesetzt wird.
Im urbanen Lebensraum tummeln sich immer mehr Wildtiere, unter anderem haben manche Menschen Angst vor unliebsamen Begegnungen und Autounfällen. Sehen Sie hier Alternativen zur Jagd?
Wir sind es kaum noch gewohnt, Wildtieren zu begegnen. Aufgrund des Jagddrucks verstecken sie sich tief im Wald – oder suchen Schutz in der Stadt. Sie stellen dabei keine Gefahr dar, wenn man grundlegende Vorsicht walten lässt, zum Beispiel ein respektvoller Abstand und kein Anlocken mit Nahrungsmitteln. Auch auf Schäden am Garten oder bei ungebetenen Gästen im Haus sollten die Menschen tierfreundlich reagieren. Für jede Tierart gibt es erprobte Tipps, um die Situation friedlich zu meistern. Berlin geht einen vorbildlichen Weg: Ein Wildtierbeauftragter berät die Bürger kompetent, falls es Probleme gibt. Leider verursachen Treibjagden, in denen die Tiere über Felder und Straßen gehetzt werden, Autounfälle.
Wie kann man Wildunfällen entgegenwirken?
Wildbrücken sind eine sehr gute Methode, um Wildunfällen entgegenzuwirken und Gebiete, die durch Straßen zerschnitten sind, zu verbinden. Teilweise werden auch Reflektoren und Zäune eingesetzt. Doch für solche Maßnahmen steht oft nicht genug Geld zur Verfügung – hier erwarten wir mehr Engagement von der Politik. Die Zahl der Wildunfälle würde sinken, wenn zumindest Treibjagden schon mal verboten würden. Doch leider sitzen viele Jäger auch im Bundestag und in Landtagen, daher gibt es in dem Bereich kaum Verbesserungen für den Tierschutz.
Die Jagd soll auch der Eindämmung von Krankheiten wie der Schweinepest dienen. Wie sollte man Ihrer Meinung nach vorgehen bei einem Ausbruch solcher Seuchen?
Etwa 700.000 Wildschweine wurden im vergangenen Jagdjahr in Deutschland umgebracht. Die allermeisten von ihnen waren gesunde Tiere, die „präventiv“ getötet wurden. Sie werden nur aus einem Grund so massiv bejagt: um die Profite der heimischen Schweinezüchter zu schützen. Denn diese befürchten ein Übergreifen auf ihre qualvollen Haltungsanlagen und entsprechende finanzielle Einbußen.
Das Virus befällt ausschließlich Haus- und Wildschweine. Es sorgt bei den Tieren für Fieber, Atemprobleme sowie Schwäche und führt in der Regel innerhalb von sieben bis zehn Tagen zum Tod. Für Menschen ist es ungefährlich. Die massenhafte Tötung von meist gesunden Wildschweinen, um die grausame Schweinezuchtindustrie zu schützen, ist inakzeptabel und ethisch nicht vertretbar. Teilweise wurden sogar die wenigen vorhandenen Tierschutzregelungen wegen der Afrikanischen Schweinepest aufgehoben, wie etwa Schonzeiten
Ist Tollwut eigentlich noch ein Thema in Deutschland?
Nein, Deutschland gilt gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 2008 frei von terrestrischer Tollwut. Dies gelang durch den großflächigen Einsatz tierfreundlicher Impfköder für Füchse. Zuvor wurden die Tiere massiv und teils sehr grausam gejagt, doch dadurch gelang es nicht, die Tollwut auszumerzen. Auch andere Krankheiten sind kein Grund für eine massenhafte Tötung von Tieren. Beispielsweise stellt die Räude für Hunde im Zeitalter der modernen Medizin kein Problem mehr dar und lässt sich mit Medikamenten einfach behandeln. Die meisten getöteten Tiere sind ohnehin gesund. Normalerweise würde in der Natur das gesunde Tier überleben und das kranke sterben – so werden Krankheiten mit der Zeit ausgemerzt. Die Jagd stellt diese bewährten Mechanismen der Selbstregulation auf den Kopf, denn Jäger haben es vor allem auf die starken, prachtvollen Tiere abgesehen.
Auch sogenannte invasive Arten wie Waschbären werden in Deutschland teilweise bejagt. Es heißt, dass Tierarten, die ursprünglich nicht hierzulande gelebt haben, Schäden an Flora und Fauna anrichten – so etwa die 2007 im Rahmen einer Tierbefreiungsaktion freigelassenen Minks (amerikanische Nerze) aus einer Pelztierfarm in Sachsen-Anhalt, durch die damals unter anderem die Bestände von Blesshühnern und Stockenten drastisch abgenommen hätten. Sehen Sie in gebietsfremden Arten keine Gefahr für heimische Tierarten und Natur?
Zunächst ist festzuhalten, dass viele der sogenannten invasiven Arten von uns Menschen absichtlich in fremde Gebiete gebracht wurden, um sie auszubeuten. Waschbären und Nutrias wurden beispielsweise auf dem amerikanischen Kontinent eingefangen und auf europäische Pelzfarmen verschleppt.
Auch in dem Bereich werden den Tieren vor allem von der Jägerschaft allerlei negative, jedoch unhaltbare Attribute angedichtet. Beispiel Waschbär: Langjährige Forschungsergebnisse zeigen, dass der Waschbär keine wesentliche Gefahr für die Natur und Artenvielfalt darstellt. Im Rahmen einer mehrjährigen Forschungsarbeit von Dr. Berit A. Michler wurden gezielt zwei unterschiedliche Gebiete auf den Einfluss des Waschbären untersucht: ein Wirtschaftswald unweit von Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern sowie ein naturnahes feuchtes Mischwaldareal im Müritz-Nationalpark/Mecklenburg-Vorpommern, das viele seltene Arten beherbergt. Die Ergebnisse dieser in Europa einmaligen Studie lassen aufhorchen: Waschbären ernähren sich vor allem von Regenwürmern. Besonders gern verspeisten sie auch Schnecken und Muscheln sowie Früchte von Bäumen und Sträuchern. Bedrohte Arten gehören jedoch so gut wie nicht zum Nahrungsspektrum des Waschbären.
Leider ist neben der industriellen Landwirtschaft die Jagd selbst eins der größten Probleme für den Artenschutz. Jährlich werden noch immer viele Hundert Rebhühner und Zehntausende Feldhasen in Deutschland getötet, obwohl sie immer seltener werden.
Gibt es Ihrer Ansicht nach Unterschiede bei der Art der Bejagung?
Das Jagdrecht in Deutschland wurde seit Jahrzehnten nicht nennenswert überarbeitet, denn leider hat die Jagdlobby einen großen Einfluss auf die Politik. Einflussreiche Politiker wie Christian Lindner (FDP) und Philipp Amthor (CDU) sind selbst Jäger. So sind viele Tierquälereien, die die meisten Menschen heutzutage als abscheulich betrachten, immer noch erlaubt. Einige grausame Jagdpraktiken, die in einem ersten Schritt sofort verboten werden müssten, sind die Jagd mit Fallen, die Ausbildung von Jagdhunden an lebenden Enten und Füchsen sowie die Baujagd, bei der ganze Fuchsfamilien – oft in einem blutigen Kampf mit einem Jagdhund – aus ihrem Bau getrieben und anschließend getötet werden.
Sind Totschlagfallen in Deutschland eigentlich verboten?
Totschlagfallen sind in den meisten Bundesländern noch immer erlaubt. Oft töten sie aber nicht sofort und Tiere wie Füchse oder auch Katzen verfangen sich darin mit der Schnauze oder einem Körperteil. Ihr Todeskampf kann Stunden dauern. Wir bekommen leider oft trauriges Bildmaterial über solche Fälle zugesandt. Die Bundesregierung muss endlich reagieren und zumindest die Fallenjagd verbieten.
Verurteilen Sie generell alle Jäger oder machen Sie Unterschiede?
Die Jagd ist unnütz, grausam und sogar kontraproduktiv. Jeder Jäger und jede Jägerin sollte das Gewehr abgeben und stattdessen echten Naturschutz betreiben, also Müll sammeln, Insektenhotels bauen und Kröten und andere Tiere vor dem Überfahren retten. Dann gäbe es auch keine Jagdunfälle, bei denen immer wieder Spaziergänger verletzt oder sogar getötet werden.
Gibt es Tierarten, bei denen die Bejagung in Ihren Augen besonders wenig Sinn macht?
Die Jagd ist für jede Tierart gleichermaßen überflüssig.
In Luxemburg ist die Fuchsjagd seit 2015 verboten. Weiß man, wie sich die Natur in Luxemburg seitdem verändert hat?
Als in Luxemburg die Fuchsjagd 2015 verboten wurde, hat die Jägerschaft Schreckensszenarien über vermeintliche Krankheiten und Artenschutzprobleme verbreitet. Das Fazit nach sieben Jahren: Nichts davon ist eingetroffen, es gibt weder eine Überpopulation noch sonstige Probleme. Die Jägerschaft hat reine Panikmache betrieben, nur um weiter töten zu können.