Berlin könnte nach über 20 Jahren wieder einen CDU-Regierungschef bekommen. Doch auch bei einer schwarz-roten Koalition dominiert die Noch-Regierende Franziska Giffey (SPD) die Entwicklungen.
Bis zum Schluss der Koalitionsverhandlungen merkte man Kai Wegner, CDU-Wahlsieger der Wiederholungswahl vom 12. Februar, an, dass er selbst es immer noch nicht glauben kann, dass er womöglich Ende April zum Regierenden Bürgermeister gewählt werden könnte. Auf die FORUM-Frage, ob er sich ab und zu mal selbst zwicken muss, damit er glaubt, was hier gerade passiert, lacht der 50-Jährige nur. „Nein, das nicht mehr, aber dass die Koalitionsverhandlungen dann so einvernehmlich laufen würden, hätte ich wirklich nicht gedacht.“
Kai Wegner hat allen Grund zur guten Laune, er hat für die Union von der Spree das beste Wahlergebnis seit mehr als 20 Jahren eingefahren und obendrein liegt er mit fast zehn Prozentpunkten vor SPD und Grünen, beide gleichauf auf dem zweiten Platz. Beide Noch-Regierungsparteien landeten bei 18,4 Prozent, dabei war die SPD mit gerade mal 53 Stimmen vor den Grünen.
Bestes Ergebnis seit Langem
Für die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey ein absolutes Debakel, da es das schlechteste Wahlergebnis der SPD seit mehr als 70 Jahren ist. Doch das ficht Giffey nicht an und versinnbildlicht die politische Qualität der noch amtierenden Bürgermeisterin. Für einige Tage zeigte die bald 45-Jährige öffentlich Demut, um dann aber auch gleich wieder das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. In diesen Demuts-Tagen stellte sie als Erstes das abgewählte rot-grüne-rote Bündnis infrage. Grüne und Linke schreckten auf: Trotz Klatsche an den Wahlurnen hätte „R2G“, wie sich das Regierungsbündnis selbst nennt, mit knapper Mehrheit weiterregieren können.
CDU-Chef Wegner nahm das freudig zur Kenntnis und lud ein zu Sondierungsgesprächen. Erst die SPD, dann die Grünen. Doch damals zweifelte er noch, ob es tatsächlich zu ernsthaften Verhandlungen kommen würde. „Das wird nicht einfach, in vielen Punkten liegen wir weit auseinander, gerade mit den Grünen.“ Politische Beobachter vermuteten damals, die Sondierungen der beiden Wahlverlierer mit der CDU seien reine Alibi-Veranstaltungen, um dann doch weiterzumachen wie bisher. Sie sollten sich irren. Die letzte Sondierungsrunde mit den Grünen brachte die Wende. Allerdings waren daran die beiden Verhandlungsgruppen von CDU und Grünen nicht beteiligt. Es war wieder Franziska Giffey, die voranpreschte und sprichwörtlich die schwarz-grünen Sondierungen sprengte. Während die Schlussrunde lief, verkündete Giffey multimedial, die SPD werde nicht weiter mit Grünen und Linken über eine Fortsetzung des Regierungsbündnisses sprechen, sondern wolle es mit der CDU, dann als Junior-Partner, versuchen. Die grüne Spitzenkandidatin und Stadtentwicklungssenatorin Bettina Jarasch wurde reichlich blass um die Nase und starrte minutenlang ungläubig auf ihr Smartphone, berichten anschließend Verhandlungsteilnehmer.
CDU-Chef Wegner brachte die bis dahin ohnehin ergebnislose Runde mit den Grünen noch mit Anstand zu Ende und versuchte seine Freude über die SPD-Offerte halbwegs zu überspielen. Wegner, seit vier Jahren CDU-Chef an der Spree, war vor anderthalb Jahren noch mit einem der schlechtesten CDU-Ergebnisse bei der regulären Abgeordnetenhauswahl untergegangen. Er wird nun dank Wahlwiederholung doch noch Regierungschef werden. Als politischer Bettvorleger gesprungen und als Tiger gelandet, staunte auch die Berliner Lokalpresse.
Wobei Wegner einen im Nachhinein schlauen, aber anfangs mehr als umstrittenen Schachzug gewagt hatte: Bereits eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale hatte er Grünen und SPD Koalitionsverhandlungen „auf Augenhöhe angeboten“. Klingt nach Wahlabend-Bla-Bla, heißt aber im Politsprech: Beide Seiten bekommen gleich viele Posten, auch wenn die CDU haushoher Wahlgewinner ist. Die Grünen würden sich nicht mit Senatorenposten kaufen lassen, entscheidend seien die Inhalte, hieß es umgehend aus Bettina Jaraschs Umfeld. Das sei sehr löblich und gelte auch für die Sozialdemokraten, konterte Franziska Giffey umgehend, doch CDU und SPD hätten inhaltlich sehr viele Überschneidungen. Genauso ist es dann auch gekommen. Nach nicht mal vier Wochen steht der Koalitionsvertrag und hat mehr Seiten als der der bisherigen Regierung, freuten sich Kai Wegner und Franziska Giffey Anfang April bei der Vorstellung im Berliner Abgeordnetenhaus. Zwei schwierige Fragen wurden schon mal ausgeklammert: Der Weiterbau der Stadtautobahn im Ostteil der Stadt und die Randbebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Hier könnte ein Volksentscheid weiterhelfen. Während der CDU-SPD-Koalitionsverhandlungen wurde genau so ein Volksentscheid abgehalten. Berlin sollte laut Initiatoren bereits 2030 und nicht erst 15 Jahre später klimaneutral werden. Der Volksentscheid scheiterte am Quorum, doch immerhin sprachen sich gut 450.000 Bürgerinnen und Bürger dafür aus. Wieder war es die Instinkt-Politikerin Giffey, die da gleich noch ein „Sondervermögen-Klima“ im Koalitionsvertrag untergebracht hat. Fünf oder zehn Milliarden Schulden für den Klimaumbau der Stadt klingt immer gut, gerade für die klimabewegten Wähler in den hippen Innenstadtlagen. Und auch ein anders populäres Projekt konnte die SPD in den Koalitionsvertrag mit der CDU retten: das 29-Euro-Ticket für den ÖPNV und Regionalverkehr, zumindest in Berlin. Wobei das den Pendlern aus Brandenburg nur wenig hilft, denn hier gilt ab dem 1. Mai das bundesweit einheitliche 49-Euro-Ticket.
Mit Verwaltungs-Reform geworben
Selbstverständlich steht auch eine Verwaltungsreform im Koalitionsvertrag, damit hatte gerade die CDU im Wiederholungswahlkampf großflächig geworben. „Wir sind hier angetreten mit dem ganz klaren Ziel, dass Berlin an allen Stellen funktionieren muss“, gibt sich der designierte Regierende Bürgermeister Kai Wegner gegenüber FORUM kämpferisch.
Ob er dann auch tatsächlich gewählt wird, hängt nun wieder von Franziska Giffey, oder genauer, von der SPD-Basis in Berlin ab. Während die CDU sich den Koalitionsvertrag von einem Parteitag bestätigen lässt, was als sicher gilt, hält die SPD ein Mitgliedervotum ab. Da könnte es noch knapp werden für den ausgehandelten Koalitionsvertrag, aber auch für Franziska Giffey. Zumindest als SPD-Landesvorsitzende. Jusos und Linke in der Partei lehnen eine Koalition mit der CDU rundheraus ab und schlagen schon seit Beginn der CDU-SPD-Gespräche die No-Groko-Trommel. Auch mehrere SPD-Kreisverbände haben sich gegen Kai Wegner als Regierenden Bürgermeister ausgesprochen. Bleibt die Hoffnung bei den möglichen zukünftigen Koalitionären, dass der Einfluss der Gegner innerhalb der SPD nicht ganz so groß ist. Eine Online-Unterschriften- Kampagne der Jusos im Vorfeld des Mitgliedervotums fand nur wenig Resonanz.
Während Kai Wegner als CDU-Landeschef nun auf das Wohlwollen der SPD-Basis hofft, bleibt Franziska Giffey weiterhin ganz entspannt. Wird der Koalitionsvertrag abgelehnt, muss sie zwar als SPD-Landesvorsitzende zurücktreten, eine andere Variante gilt politisch als ausgeschlossen. Aber sie bleibt weiterhin Regierende Bürgermeisterin von Berlin, und zwar so lange, bis sich eine neue Regierung auf Grundlage des Wiederholungswahlergebnisses gefunden hat. Im Abgeordnetenhaus nennt man sie, natürlich hinter vorgehaltener Hand, deswegen auch schon „die Patronin“. Egal was auch passiert, Franziska Giffey bleibt immer oben.