Wer nicht hören will, hört eben einfach etwas völlig anderes
Der Mensch hat in der Regel fünf Sinne. Und doch haben wir mitunter eine völlig unterschiedliche Wahrnehmung von ein und derselben Sache. Vor allem, wenn’s um potenzielle Verbote und Regelungen geht. Ich sage extra „potenziell“, denn die Dinge müssen noch nicht einmal spruchreif sein. Deren bloße Erwähnung löst bereits heftigste Reaktionen aus. Aus einer ganzen Fülle an möglichen Beispielen möchte ich nur zwei herausgreifen.
Fall Nummer 1: Der Zusatz von Insekten zu Lebensmitteln. Zunächst einmal die Fakten: Vier Insekten-Arten sind seit kurzem als Lebensmittel zugelassen. Und selbstverständlich müssen diese, wenn man sie irgendwo hinzusetzt, deklariert werden. Ganz unabhängig davon, ob man Heuschrecken und Mehlkäfer nun für einen Teil der Haute Cuisine hält oder man sich eher schwer damit tut, die kleinen Krabbeltiere zu essen, sind die Reaktionen darauf schon lustig. Hubert Aiwanger, bayerischer Wirtschaftsminister, twitterte: „Wir haben es satt, dass Fleischverzehr von Rind/Schwein/Geflügel kritisiert wird, aber Insekten ins Essen sollen“. Mit „wir“ meint er vermutlich die guten Bayern. Bayerinnen womöglich auch, aber die sind bei einem stramm Konservativen wie Herrn Aiwanger natürlich mit dem generischen Maskulinum mitgemeint. *zwinkerzwinker*
Fun Fact: Insekten sollen gar nicht ins Essen. Sie dürfen. Gleiches gilt für deren Verzehr. Alles kann, nichts muss und so. Und was vielleicht untergeht: Vegan lebende Menschen – also diejenigen, die wohl am lautesten den Fleischverzehr anprangern – werden Insekten weiterhin verschmähen, weil … naja … auch das Tiere sind. Aber, Hubert, es gibt gute Nachrichten: Du darfst dir weiterhin deine fünf Schweinshaxen und ein (zwei? drei?) Weißbier zum Frühstück reinpfeifen. Ganz ohne Sanktionen „von oben“ befürchten zu müssen. Mahlzeit! Nun ja, es ist halt Wahlkampf, und um auch den letzten Seppl ins Boot zu holen, darf man sich halt für keinen Stumpfsinn zu fein sein. Quantity over quality, wie der Engländer sagt.
Fall Nummer 2: Fahrsicherheits-Checks für Menschen ab 70 Jahren. Da die Reaktionszeiten im Alter deutlich nachlassen und auch de facto bei vielen Verkehrsunfällen Ältere involviert sind, überlegt man, die Fahrtauglichkeit über 70 noch einmal überprüfen zu lassen. Das ist, was gesagt wurde. Angekommen sind andere Dinge, die ich selbst mit viel Anstrengung nicht einmal zwischen den Zeilen herauslesen kann. Ich paraphrasiere etwa einen Kommentator unter einem Artikel einer Tageszeitung, der meinte, es sei schon eine „Schweinerei“, dass man sein ganzes Leben schuften müsse, nur damit einem dann in der Rente der „Lappen“ weggenommen würde.
Nicht böse gemeint, aber bei dieser Hochstilisierung zum Opfer stellt sich die Frage, wer hier der Lappen ist. Im Grunde sagt dieser Mensch: „Weil ich mir einen Beruf ausgesucht habe, mit dem ich mein Leben lang unzufrieden bin, muss ich das Recht haben, im Alter andere Menschen mit meinem Pkw zu gefährden.“ Finde den Fehler. Breaking News: Ist der Sicherheitscheck erfolgreich, darfst du auch mit über 70 Jahren Auto fahren.
Ich möchte den Verlust von Mobilität im Alter nicht herunterspielen. Meine eigenen Eltern sind in diesem Alter, und ich wünsche mir von Herzen, dass sie mobil bleiben. Ich wünsche mir aber auch, dass sie weder sich noch andere zu Tode fahren und wer weiß was für Leid verursachen, weil sie vielleicht nicht mehr in der Lage sind, Gefahrensituationen und ihre eigenen Fähigkeiten einzuschätzen. Wenn das überprüft würde, würde ich das begrüßen.
Was lernen wir daraus? Alle hören im Grunde nur das, was sie hören möchten. Das ist keine bloße Vermutung, sondern auch in der Kognitionspsychologie als sogenannter confirmation bias nachgewiesen. Aber deswegen gar nicht mehr zu kommunizieren, ist auch keine Lösung. Wie dem auch sei: Danke, dass Sie diesen Artikel über die japanische Tee-Zeremonie bis zum Ende gelesen haben.