Mitte April endet eine Ära in Deutschland. Die letzten Atomkraftwerke sollen endgültig ihren Betrieb einstellen. Die alte Frage nach der Endlagerung bleibt – und auf EU-Ebene wird weiter um sichere und klimaneutrale Energieversorgung gerungen.
Der Koalitionsausschuss der Ampel hat getagt, und was herausgekommen ist, ist heftig umstritten. Ein Thema fehlt dabei, bei dem nicht wenige davon ausgegangen waren, dass es spätestens im März noch mal auf die Agenda kommen würde: der Atomausstieg. Längst beschlossen, dann für einen „Streckbetrieb“ verschoben, soll nun endgültig Schluss in Deutschland sein. Im dritten Anlauf.
Im vergangenen November hatte der Bundestag die befristete Verlängerung für die Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis zum 15. April 2023 beschlossen. Eine Maßnahme gegen drohende Energieengpässe im Winter als Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine und den begleitenden Energiekrieg.
Deutschland ist ohne Energienotstand durch den Winter gekommen, dank einer Vielzahl von Maßnahmen, um die früheren Energie-Importe aus Russland zu ersetzen. Dazu kamen ein vergleichsweise milder Winter und Energiesparmaßnahmen. Gelegentlich wurde deshalb sogar schon über ein vorgezogenes Ende des Streckbetriebs spekuliert. Das wies das Bundesumweltministerium aber Mitte März auf Medienanfragen zurück. Die drei Meiler befänden sich bereits im Streckbetrieb mit verringerter Leistung und würden bis Mitte April Stück für Stück weiter heruntergefahren. Und dann soll endgültig Schluss sein.
Im Streckbetrieb gegen den Energienotstand
2011 war der Atomausstieg unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima beschlossen worden. Zuvor gab es bereits unter einer rot-grünen Bundesregierung den sogenannten Atomkonsens aus dem Jahr 2000 (Änderung Atomgesetz 2002) über die Laufzeiten. Dieser wurde 2010 von einer schwarz-gelben Koalition unter dem Schlagwort „Ausstieg aus dem Ausstieg“ revidiert, was ein Jahr später nach Fukushima von Kanzlerin Angela Merkel wiederum rückgängig gemacht wurde. Demnach wäre endgültig bereits 2022 Schluss gewesen – aber Putins Überfall auf die Ukraine mit allen Folgen veränderte die Rahmenbedingungen erneut.
Was sich nicht geändert hat: Es gibt nach wie vor klare Befürworter der Atomkraft, die den Ausstieg für einen Fehler halten. Die AfD hatte noch kurz vor Schluss einen Antrag zum Weiterbetrieb und zur Beschaffung neuer Brennelemente in den Bundestag eingebracht. Ihre Anträge aus der Vergangenheit zeigen die Partei als klare Atomkraftbefürworter.
Aber auch aus anderen Parteien gibt es Stimmen, die eine weitere Nutzung befürworten. So hatte kürzlich der saarländische CDU-Chef Stephan Toscani Zweifel daran geäußert, dass der wachsende Strombedarf ohne Kernkraft überhaupt zu decken sei. Den gesamten Energiebedarf durch erneuerbare Energien decken zu wollen, sei eine aberwitzige Vorstellung.
Im Grundsatz ist die Diskussion aber erledigt. Nach derzeitigem Stand wird am 15. April der Rote Knopf ReSA (Reaktorschnellabschaltung) gedrückt, auch für Isar 2, das mehrfach als weltweit leistungsstärkstes AKW ausgezeichnet worden ist. Es wird ein historischer Knopfdruck.
Der jahrzehntelange Streit um die Atomkraft geht damit in Deutschland zu Ende. Das Atomzeitalter ist damit aber noch längst nicht Vergangenheit. Nach wie vor ist völlig unklar, wie die Endlagerung des Atommülls vonstatten gehen soll. Im Gegenteil scheint alles noch offener zu sein, als es zunächst bei der Suche nach einem Standort für ein Atommüllendlager ohnehin ausgesehen hat. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hat Mitte März seine Auswertung eines Berichts des Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) vorlegt und kommt dabei zu dem Schluss, dass es „deutlich mehr zeitlichen Bedarf bei der Endlagerstandortsuche“ gebe. „Für eine Einschätzung der tatsächlichen Dauer des künftigen Gesamtverfahrens sind weitere Ermittlungen erforderlich“, heißt es auf den Internetseiten des Bundesamtes. Die bisherigen Verfahren müssten erst einmal evaluiert werden. „Ziel muss eine ehrliche Analyse sein, um einen realistischen und die Bedarfe aller Akteure berücksichtigenden Zeitplan zu erstellen, bis zu dem ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu realisieren ist.“
Nach Angaben des BUND ist bis zum Atomausstieg im April 2023 ein Berg mit mehr als 600.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiven Abfällen und etwa 30.000 Kubikmeter hochradioaktivem Abfall aufgetürmt. Nach allen bisherigen Erfahrungen und „selbst konservativen Schätzungen“ werde eine Lösung wohl „nicht vor Ende des Jahrhunderts“ gefunden werden.
Mit diesem Problem schlagen sich alle AKW-Betreiber herum. Dennoch scheint Atomkraft fast schon eine Renaissance zu erleben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im vergangenen Jahr in einer Grundsatzrede von der „nuklearen Wiedergeburt“ gesprochen. 14 neue Atomkraftwerke sollen entstehen, und die Franzosen finden das mit deutlicher Mehrheit (über 60 Prozent) auch gut. Daran hat offenbar auch wenig geändert, dass Frankreich, Europas größter Atomstromproduzent, Strom importieren musste, weil die Hälfte der 56 Reaktoren wegen Wartungsarbeiten (oftmals Korrosionsschäden) außer Betrieb waren.
Die unterschiedlichen Wege Deutschlands und Frankreichs stehen auch für den Zwiespalt unter den europäischen Energieministern. Energiepolitik ist Sache der Mitgliedsstaaten, und so finden sich neben Frankreich zehn Mitgliedsstaaten, die auf Kernenergie setzen, und ebenso viele, die einen Weg wie Deutschland gehen oder gehen wollen.
Uneinigkeit unter EU-Staaten
Die Allianz der Befürworter (Frankreich mit Bulgarien, Kroatien, der Tschechischen Republik, Finnland, Ungarn, den Niederlanden, Polen, Rumänien, der Slowakei und Slowenien) hat zuletzt mit Belgien und Italien zwei neugierige Interessierte gewonnen. Belgien hatte die Laufzeit seiner AKWs angesichts der Energiekrise verlängert, Italien zeigt sich vor allem an Neuentwicklungen kleiner modularer Reaktoren (SMR) interessiert, die im Übrigen im Gegensatz zu den großen Reaktorblöcken eher konsensfähig erscheinen.
Auf der anderen Seite hatte Österreich die „Freunde der erneuerbaren Energien“ zu einem Frühstückstreffen vor dem EU-Energieministertreffen eingeladen. Mit dabei waren Estland, Spanien, Deutschland, Dänemark, Irland, Luxemburg, Portugal, Lettland und Litauen. Ihrer Ansicht nach sind nur erneuerbare Energien in den Plänen der EU zur Dekarbonisierung ihres Energiemixes tolerierbar. „Erneuerbar heißt erneuerbar“, twitterte etwa Luxemburgs Energieminister Claude Turmes und wiederholte damit das Mantra der Anti-Atomkraft-Länder.
In der Gemengelage könnte und müsste wohl die EU-Kommission eine vermittelnde Rolle einnehmen. Was aber gar nicht so leicht ist.
Vor einem Jahr waren Investitionen in Atomkraft unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich eingestuft worden. Mit der sogenannten „Taxonomie“ wurde bewertet, welche Investitionen dem Klimaschutz nützen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versuchte nun den Spagat zu schaffen – und schaffte eher noch mehr Unklarheit, als sie befand, dass Kernenergie „eine Rolle in unseren Bemühungen um die Dekarbonisierung spielen kann“, dass sie aber nicht „strategisch“ für die zukünftige Dekarbonisierung der EU sei.
Das Problem sind die unterschiedlichen Zielvorstellungen, mit denen das Thema beackert wird, grob gesagt zwischen Energiesicherheit und Klimaschutz. Beides hängt untrennbar zusammen. Das zeigt auch eine französische Position: grüner Wasserstoff mithilfe von Kernenergie als Weg zu einem klimaneutralen Europa – und das gegebenenfalls mit Reaktortypen ganz neuer Generationen. Was anderen wiederum aus Gesichtspunkten der Gefahren und der ungelösten Endlagerproblematik völlig inakzeptabel erscheint. So wird die Ära der AKWs in Deutschland beendet – die Diskussion geht weiter.