Die Debatte rund um den Ottomotor ist noch lange nicht beendet. Die FDP bekommt erst einmal, was sie verlangt: Nach 2035 könnte dieser weiter zugelassen werden, wenn er klimaneutrale Kraftstoffe tankt – sogenannte E-Fuels.
Das Image einer Bremserpartei bleibt haften: Das „Nein“ der FDP zum bereits ausgehandelten Verbrenner-Aus ab 2035 in der EU ist das eine; das Aufweichen der Sektorenziele beim vergangenen bundesdeutschen Koalitionsausschuss das andere.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat damit zwei Probleme für sich aus dem Weg geräumt. Erstens, in Sachen E-Fuels konnte er das im Koalitionsvertrag fixierte Gebot der Technologieoffenheit dadurch verteidigen, dass nun ab 2035 trotz Verbrenner-Aus noch neue Verbrenner zugelassen werden. Die Flottengrenzwerte bleiben bestehen, doch soll bis Herbst 2023 eine Regelung für moderne Verbrennungsmotoren geschaffen werden. Maßgebliche Einschränkung: Sie dürfen dann nur noch bilanziell klimaneutrale Kraftstoffe verbrennen. Zweitens, der Verkehrssektor, der ständig hinter den selbstgesteckten Ziele beim Einsparen von CO2 hinterherhinkt, darf das nun weiterhin – andere Sektoren, wie die Energiewirtschaft, müssen nun ausgleichen.
Bei beiden Problemen aber wird es weiter Diskussionen geben. Beispiel E-Fuels. Hier stehen mit Elektro- und selbst mit Brennstoffzellenantrieben schon heute deutlich energieeffizientere Antriebe zur Verfügung. Denn um E-Fuels herzustellen, braucht es mehr als nur Strom, wie beim Elektrofahrzeug, oder Strom und Wasserstoff, wie bei einem mit Wasserstoff angetriebenen Fahrzeug. Notwendig sind hier Wasserstoff, Strom und CO2, und von jenem Strom wird für die Produktion des Kraftstoffes acht Mal mehr benötigt als für den Antrieb eines Elektrofahrzeuges. Betrachtet man nun den gesamten Zyklus des Krafstoffes – die Herkunft der Rohmaterialien, die Produktion, Transport, seinen Einsatz und die Entsorgung oder das Recycling –, können E-Fuels nur dann klimaneutral sein, wenn der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammt und das in der Herstellung genutzte CO2 aus der Atmosphäre gewonnen wird. Denn dorthin wird es auch aus dem Auspuff wieder entlassen. Autos, die mit E-Fuels fahren, stoßen genauso viel CO2 aus wie heutige Verbrenner, so der ADAC. So entstünde jedoch im Idealfall ein Kreislauf, indem ausgestoßenes CO2 eingefangen, zu E-Fuel verarbeitet und wieder ausgestoßen wird.
Herstellung steckt in den Kinderschuhen
Das entsprechende Verfahren ist derzeit noch neu, industriell steckt es in den Kinderschuhen und ist noch immens teuer und aufwändig im Vergleich zur Stromproduktion für Elektroautos. Porsche erprobt es zusammen mit dem Ölmulti ExxonMobil und Siemens Energy in einer Demonstrationsanlage des Joint Ventures HIF Global in Chile, die Anfang des Jahres ihren Betrieb aufgenommen hat. Investiert hat die VW-Tochter dort 75 Millionen US-Dollar. Die Anlage könnte etwa eine Million Fahrzeuge ein Jahr mit Kraftstoff versorgen, heißt es. Auf Chile, genauer, Patagonien fiel die Wahl wegen des Windreichtums der Gegend. Und HIF will expandieren – nach Australien etwa oder in die USA, in Gegenden, in denen ähnlich stark und langanhaltend der Wind weht.
Die Ambitionen gelten nicht nur für deutsche Firmen. Die Ölindustrie weltweit will von dieser Technologie profitieren. Es entstehen Kooperationen, beispielsweise in Spanien, wo der Ölkonzern Repsol zusammen mit dem staatlich kontrollierten saudischen Aramco-Konzern eine E-Fuel-Fabrik errichten will.
Die Fakten werden also vor dem politischen Handeln geschaffen. Kein Wunder also, dass das Interesse von Porsche und dem Konsortium hinter HIF an dem Gebot der Technologieoffenheit groß war und groß bleibt. Skepsis an der Technologie aber herrscht nach wie vor in wissenschaftlichen Kreisen. Prof. Dr. Martin Doppelbauer, Professor für hybridelektrische Fahrzeuge am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) stellt sich hinter das Verbrenner-Verbot. „„Ich begrüße ausdrücklich den Vorstoß der EU, ab 2035 keine PKW mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Seit über zehn Jahren ist der reale Durchschnittsverbrauch von PKW in Deutschland konstant bei rund sieben bis acht Liter pro 100 Kilometer. Technologische Weiterentwicklungen wie hybride Technologien ändern daran offensichtlich nichts mehr.“ Die einzige massenmarkttaugliche Alternative zu Verbrennungsmotoren sind für ihn batterieelektrische Fahrzeuge, von denen inzwischen weltweit weit über zehn Millionen Exemplare fahren. „E-Fuels werden auch langfristig aufgrund des enormen Herstellungsaufwands viel zu teuer bleiben und können nicht für den Betrieb vieler Millionen Fahrzeuge bereitgestellt werden.“
Doppelbauer kritisiert vor allem den enormen Herstellungsaufwand, der auch auf das hohe CO2-Konto von E-Fuels einzahlt. „Deshalb werden sie immer eine deutlich schlechtere Umweltbilanz als Elektroautos haben – von null Emissionen kann auch in der Gesamtbilanz überhaupt keine Rede sein. Dazu kommen die lokalen Emissionen in den Städten, die mit E-Fuels nicht weniger werden.“
Mit dieser Meinung steht er nicht alleine. Zahlreiche Experten wie der Ingenieurwissenschaftler Volker Quaschning oder die Energieökonomin Claudia Kemfert halten nichts von E-Fuels für Autos. Der ADAC rechnet vor, dass der Wirkungsgrad der eingesetzten Energie bei E-Fuels im Auto nur bei zehn bis 15 Prozent liegt, der von Strom in E-Autos bei 70 Prozent. Es gibt jedoch sinnvolle Einsatzmöglichkeiten, das bestätigt auch der Karlsruher Forscher – abseits des Pkw: „Wir brauchen E-Fuels dort viel mehr, wo es keine Alternativen zur Dekarbonisierung gibt, zum Beispiel bei Schiffen und Flugzeugen“, so Doppelbauer.
Sprit aus altem Fett und Abfällen
Und bei E-Fuels soll es nicht bleiben. Synthetische Biokraftstoffe wie HvO100, ein Biodiesel, sind heute schon verfügbar – auf Basis von zum Beispiel altem Frittierfett. Sie können problemlos von heutigen Motoren verarbeitet werden, müssen jedoch vom Fahrzeughersteller explizit freigegeben sein. Biodiesel könnte laut dem Think-Tank „Agora Verkehrswende“ durchaus geeignet sein, bei der Dekarbonisierung des Verkehrs zu helfen. Noch sind diese synthetischen Biokraftstoffe zu teuer im Vergleich zum heutigen Spritpreis und es müsste gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Grundstoffe, eben jene Abfälle, weiterhin in großer Zahl verfügbar sind.
Dennoch hat die Entscheidung in Brüssel Auswirkungen auf die deutsche Automobilindustrie. Das Saarland beispielsweise hat als Standort für Verbrennungstechnologie derzeit einen schweren Stand. Nach dem Aus für das Ford-Werk stehen Zulieferbetriebe, die sich dort angesiedelt hatten, auf der Kippe. Dass die Entscheidung pro E-Fuels ausfiel, führt laut Armin Gehl zu „Aufatmen, aber noch nicht Durchatmen“. Der Chef der saarländischen Automobillobby „Autoregion Saar“ schätzt, dass dadurch womöglich die Hälfte der gefährdeten Stellen erst einmal gerettet werden kann. Das wären zirka 10.000 Jobs – eine Menge.
Die saarländische Landesregierung sieht dies ebenfalls positiv: „Wir beschränken uns nicht auf eine einzige zielführende Technologie“, sagt Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD). „Wir setzen auf verschiedene Antriebsarten. E-Fuels und Elektromobilität könnten sich prinzipiell ideal ergänzen. Soll der synthetische Kraftstoff wirklich klimaneutral sein, dann muss dieser Strom allerdings aus erneuerbaren Energien kommen – Strom, der auch direkt in ein Elektroauto fließen könnte. Am Ende entscheidet der Markt, welche Technologie sich durchsetzt. Es liegt vor allem an den Autoherstellern: Glauben sie an die Zukunft von E-Fuels oder nicht?“