Das Lebenswerk des vor 50 Jahren verstorbenen Pablo Picasso wird aktuell mit rund 50 Ausstellungen weltweit gewürdigt. Das allein schon unterstreicht die Ausnahmestellung des Spaniers in der Bildenden Kunst. Unter anderem ist er Mitbegründer des Kubismus.
Bis zu seinem letzten Atemzug hatte der 91-jährige Pablo Picasso geradezu manisch-besessen geschuftet. Angetrieben wurde er vom Gefühl einer immer knapper werdenden Lebenszeit. Als Folge des für ihn offenbar existenziellen Zeitdrucks hatte er auf die für ihn früher typische Vorarbeit größerer Werke wie Skizzen oder Vorzeichnungen komplett verzichtet und behandelte „Leinwände jetzt wie Skizzenblocks“. So hatte es die „FAZ“ vor einigen Jahren vermerkt, als Kommentierung seines von Zeitgenossen größtenteils mit Irritation oder strikter Zurückweisung bedachten Spätwerks. Der renommierte britische Kunstsammler und Autor Douglas Cooper gehörte zu den wichtigsten Förderern des Kubismus und war daher Picasso früher sehr zugetan. Doch selbst er hatte mit Blick auf Picassos Spätphase von „unzusammenhängenden Schmierereien, ausgeführt von einem rasenden Greis im Vorzimmer des Todes“, gesprochen.
Inzwischen hat sich der Tenor in der kritischen Bewertung von Picassos spätem Werk komplett gewandelt. Nicht nur, weil man darunter auch feinste, detailreich ausgearbeitete Zeichnungen gefunden hatte, was den gelegentlich erhobenen Vorwurf eines Verlusts seiner Virtuosität im Alter entkräften konnte. Sondern auch, weil man die übrigen Arbeiten als malerische Experimente interpretiert hat. Bei diesen hatte Picasso seine eigenen kubistischen Stilvorlagen mit Aneignungen von Klassikern der europäischen Maltradition zu verknüpfen versucht – etwa wie bei El Greco, Delacroix, Velázquez oder Manet. Letztlich hatte als er sich dadurch in Zeiten von informellem und abstraktem Expressionismus, die die Nachkriegskunst geprägt hatten, als einsamer großer Bewahrer jeder Form von Figürlichkeit hervorgetan. Auch wenn er damit freiwillig den Anspruch auf die Spitze der Kunst-Avantgarde aufgegeben hatte, der in seiner Jugend für ihn elementar gewesen war.
Als sein malerisches Vermächtnis kann daher sein am 1. Juni 1972 fertiggestelltes Ölgemälde „Die Umarmung“ angesehen werden, das als Mann-Frau-Figur ein wildes Knäuel von Körperteilen zeigt. Es war der Schlussakkord einer gewaltigen Schaffensexplosion, in der Picasso allein ab September 1970 mehr als 200 Gemälde fertiggestellt hatte. Darunter befanden sich eine ganze Reihe von Selbstporträts, bei denen er seinen Kopf durch eine Maske ersetzt hatte, die zuweilen die Form eines Totenkopfes angenommen hatte.
Spätestens seit dem Ableben von Henri Matisse 1954 dürfte es für Picasso als letztem Überlebenden der klassischen europäischen Malerei in der Szene einsam geworden sein. Den Franzosen hatte der Spanier als einzigen zeitgenössischen Künstler als ebenbürtig angesehen. Picasso galt als unantastbare Ikone der Moderne: „Picasso hat in schwindelerregendem Tempo Erfahrungen in der Malerei gemacht, die in jedem Fall gemacht worden wären – nur hätte das 500 bis 1.000 Jahre gedauert“, so Salvador Dalí in Würdigung des schöpferischen Werks. Gleichzeitig war Picasso als erstem lebenden Künstler vom Pariser Louvre die große Ehre einer Retrospektive zuteil geworden; anlässlich seines 90. Geburtstags war dies der Fall.
Erbitterte Erbstreitigkeiten
Picasso hatte sich in den letzten zwölf Jahren seines Lebens aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen, nachdem er gemeinsam mit seiner 45 Jahre jüngeren zweiten Ehefrau Jacqueline Roque ein repräsentatives Landhaus im provenzalischen Mougins bezogen hatte. In seinem alten Domizil, der imposanten Jahrhundertwende-Villa „La Californie“, war ihm durch Baumaßnahmen der freie Meerblick vergällt worden. Hier, im mondänen Cannes, machten ihm die Hollywood-Stars während der Filmfestspiele regelmäßig ihre Aufwartung. Insgesamt hatte der Multimillionär, der 1944 Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs geworden war, in den letzten 25 Jahren seines Lebens nicht weniger als fünf südfranzösische Anwesen erworben, die er als Wohn- oder Ateliersitz nutzte. Darunter das unweit von Aix-en-Provence gelegene mittelalterliche Schloss Vauvenargues. In dessen Garten wurder der Künstler nach einem am 8. April 1973 in Mougins erlittenen tödlichen Herzinfarkt begraben.
Picasso hinterließ ein geradezu gigantisches Werk mit mehr als 50.000 Objekten, zu denen neben Gemälden auch Zeichnungen, Collagen, Radierungen, Grafiken, Buchillustrationen, Skulpturen oder Keramiken zählen. Obwohl er keine Bildhauer-Ausbildung absolviert hatte, betrachtete er sein skulpturales Schaffen als gleichwertig zur Malerei. Er schuf zahlreiche Plastiken, von denen der kubistische „Frauenkopf“ aus dem Jahr 1909 weltweit ebenso bekannt ist wie der aus einem Fahrradsattel und einem Fahrradlenker gearbeitete „Stierschädel“ aus dem Jahr 1942. Daneben hatte er sich auch einen Namen als erstklassiger Bühnenbildner erworben, der gelegentlich literarisch tätig war und Gedichte und einige Dramen verfasste.
steht vor dem Rathaus in Chicago - Foto: picture-alliance / dpa
Da Picasso kein Testament hinterließ, kam es zwischen den Hinterbliebenen zu erbitterten Streitigkeiten um das Erbe. Alleine Picassos materielle Besitztümer wurden auf 3,75 Milliarden Francs (570 Millionen Euro) taxiert. Dazu kam noch der eigene künstlerische Nachlass mit einem Schätzwert von 1,275 Milliarden Francs (194 Millionen Euro). Als Abgeltung für die immens hohe Erbschaftssteuer einigten sich die Familienangehörigen schließlich mit dem französischen Staat auf die Überlassung einer großen Zahl von Werken. Diese bildeten den Grundstein für das Musée Picasso in Paris, das weltweit die meisten seiner Arbeiten besitzt. Schon zu Lebzeiten des Künstlers waren das Museu Picasso in Barcelona und das Musée Picasso in Antibes eröffnet worden. Picassos Werke werden auch heute noch zu Höchstsummen gehandelt. So erzielte das Gemälde „Die Frauen von Algier“ aus dem Jahr 1955 bei Christie’s im Jahr 2015 einen Auktionspreis von rund 179 Millionen Dollar.
Pablo Picasso wurde im andalusischen Málaga am 25. Oktober 1881 geboren als Pablo Diego José Francisco de Paula Juan Nepomuceno María de los Remedios Cipriano de la Santísima Trinidad Ruiz y Picasso. Er war das erste Kind eines aus den baskischen Pyrenäen stammenden Kunstlehrers und einer gebürtigen Italienerin. Die Beschränkung des Nachnamens auf Picasso nach dem Mädchennamen der Mutter erfolgte um 1900. Ganz in den Fußstapfen seines Vaters legte der künstlerisch Hochtalentierte so etwas wie eine Ausbildungs-Blitzkarriere mit seinem Besuch von renommierten Akademien in Barcelona und Madrid hin.
Frauen waren stets Musen und Geliebte
Er erwarb sich das komplette Rüstzeug der klassischen Kunst, vor allem auch durch Besuche im Madrider Prado. Paris war damals das Zentrum der musischen Avantgarde, die auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten war. Daher verschlug es Picasso an die Seine, wo er im Bohème-Viertel Montmartre alle angesagten Stilrichtungen in sich aufsaugte und wichtige Kontakte zu Kunstsammlern und -händlern knüpfte, die für seinen Durchbruch später wichtig waren. Vor allem von den plakativen Arbeiten eines Henri de Toulouse-Lautrec war Picasso begeistert. Prägender sollte allerdings die Beschäftigung mit dem Spätwerk des 1906 verstorbenen Paul Cézanne werden. Schon mit seinen ersten Werken in Paris, die wegen der vorherrschenden Farbgebung in die sogenannte Blaue Periode (1901 bis 1904) und Rosa Periode (1904 bis 1906) eingeteilt wurden, ragte er aus dem Kollegenkreis heraus. Es folgte die von ihm selbst als „période nègre“ bezeichnete Phase (1906 bis 1909). Über die Beschäftigung mit afrikanischer Masken-Kunst war er zum revolutionären Kubismus gelangt, der jegliche Perspektive zugunsten der geometrischen Form aufgab. Picassos Schlüsselbild als Startschuss der Klassischen Moderne sollte „Les Demoiselles d’Avignon“ aus dem Jahr 1907 bilden.
Auch wenn in diesem Bild Prostituierte porträtiert worden waren, so sollten die Frauendarstellungen in seinem Œuvre zeitlebens im Mittelpunkt seines Schaffens stehen. Dabei benutzte er seine jeweiligen Partnerinnen als Musen und Geliebte gleichermaßen, was dem kleinen Spanier mit der breiten Stirn und den braunen Rosinen-Augen im Zuge der #MeToo-Bewegung den Vorwurf eines Machos und Sexisten einbrachte.
Seine Friedenstaube wurde zum Symbol
Gemeinsam mit Georges Braque hatte Picasso den Kubismus in den folgenden Jahren weiterentwickelt und mit dem Werk „Stillleben mit Rohrstuhlgeflecht“ 1912 die erste Collage der Geschichte geschaffen. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges sollte sich der Jahrhundertkünstler jedoch mit der Rückbesinnung auf den von ihm bewunderten Jean-Auguste-Dominique Ingres dem Neoklassizismus und somit neuen stilistischen Ufern zuwenden. Das schlug sich in diversen Porträts seiner ersten Ehefrau Olga nieder, einer russischen Primaballerina, die Picasso 1917 und 1918 in die bessere Pariser Gesellschaft einführte.
Picasso wollte sich niemals auf eine bestimmte Stilrichtung festlegen lassen. Aus diesem Grund wehrte er sich auch erfolgreich gegen die versuchte Vereinnahmung durch die Surrealisten. Seine wahre Größe bestand in seiner stilistischen Wandlungsfähigkeit, die ihm schließlich den Ehrentitel eines „proteischen Künstlers“ einbrachte. Er hätte durchaus auch den Weg zur Abstraktion einschlagen können, schon 1913 stand er tatsächlich an der Grenze zu diesem Schritt. Doch er blieb dem Figürlichen treu. Das hat schließlich erst seine berühmtesten Werke möglich gemacht, wie etwa „Guernica“ aus dem Jahr 1937, das bedeutendste Antikriegsgemälde der Geschichte – oder die legendäre „Friedenstaube“ aus dem Jahr 1949, die zum Symbol der Friedensbewegung aufsteigen sollte.