Die Moderne Galerie Saarbrücken präsentiert in der Ausstellung „Hans Purrmann und der Akt – Zwischen Manet und Matisse“ 49 Grafiken und sieben Gemälde. Ein Besuch.
Von der Farbigkeit sei sie fasziniert. Die Kuratorin Nadine Schwuchow beschreibt ihr Interesse am Werk von Hans Purrmann und berichtet, dass sich erstmals eine Ausstellung seinem Schaffen im Genre Akt widmet. Wer erfährt, dass der Künstler zeitlebens die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper gesucht hat und von seinen 1.200 Zeichnungen 700 dem Akt zuzurechnen sind, staunt: Die Öffentlichkeit kennt den in Speyer geborenen Hans Purrmann als Meister kraftvoll-farbintensiver Stillleben, Interieurs und Landschaften. Diese Ausstellung will uns einen bis dato noch nicht entdeckten Purrmann nahebringen.
Das Aktstudium zählte zur akademischen Ausbildung. Purrmann schult sich an der Akademie der Bildenden Künste in München an Proportion, Körper und Pose – sowohl männliche als auch weibliche Akte entstehen – und arbeitet mit unterschiedlichen Werkstoffen wie Bleistift, Kohle und Rötel. Noch ahnt er in den frühen künstlerischen Anfängen nicht, wie sehr ihm diese Studien nützen und ihn weiterbringen werden; als „Pflichtübung“ begreift er sie. In der Kunstakademieklasse bei Franz von Stuck lernt er Klee, Kandinsky und Weisgerber kennen.
Hans Purrmann will nach Berlin. Dort nimmt er am „Abendakt“ teil, den Lovis Corinth unterrichtet. In kurzer Zeit entsteht eine große Anzahl von Zeichnungen. Erstmals wagt er einen „Sitzenden Akt“ in Öl auf Leinwand, die „Polnische Kunstreiterin“. Seine erdige Farbpalette ist noch an Liebermann und Corinth angelehnt, die Hell-Dunkel-Kontraste gegeneinander setzt. Mich irritiert die rechte Hand der polnischen Kunstreiterin. Zu groß, zu unförmig, einer Pranke gleich. Merkwürdig. Purrmann habe sich mit dieser Arbeit gemüht – das glaube ich allemal – und er habe die Geduld des Modells gelobt, berichtet die Kuratorin.
Purrmann zieht nach Paris. Er ist 25 Jahre alt. Die französische Hauptstadt ist der Hotspot für zeitgenössische Kunst. Gerade sorgt eine Gruppe junger Künstler für Furore: die Fauvisten. Purrmann besucht 1905 den Pariser Herbstsalon, er sieht Werke von Matisse und Manet. Das Publikum lacht über Matisse. 40 Jahre zuvor lachte man über Manet. Als ihm 1905 der Salon eine Retrospektive widmet, ist der Künstler längst tot. Éduard Manets „Olympia“ sorgte 1865 im Salon für einen Sturm der Entrüstung: Eine Prostituierte blickt den Betrachter selbstbewusst an! Das Gemälde misst 130,5 mal 190 Zentimeter und ist bis heute eines der eindrucksvollsten Werke im Musée d’Orsay in Paris.
Aktstudium gehörte zur Ausbildung
Das Saarlandmuseum besitzt eine kleine Radierung der Manet’schen „Olympia“. Sie hängt neben dem großformatigen Purrmann-Werk: „Liegender Akt“ 1940, Öl auf Leinwand. Ich finde die Hand merkwürdig, diesmal die linke. Während mich die klitzekleine Olympia anzieht, gelingt es der farb- und formgewaltigen Nackten nicht, mich zu begeistern.
Der Untertitel der Ausstellung „Zwischen Manet und Matisse“ muss nicht zwangsläufig darauf hindeuten, dass Werke beider Künstler zu sehen sind. Gemeint sein kann eine Richtung, der Purrmann in seinem Schaffen zuneigte, oder die Abgrenzung, die er suchte. Tatsächlich entdeckt man dann in der Ausstellung nicht nur einen Akt von Manet, sondern auch einen von Matisse: Der „Akt mit Halskette und langen Haaren“, eine Radierung auf Büttenkarton, entstand um 1920. Ein einnehmendes, charmantes Blatt, das auch zum Bestand des Saarlandmuseums zählt. Beeindruckend zudem, dass dem Saarlandmuseum 195 Werke von Hans Purrmann gehören, was auf den Kunstsammler Franz Josef Kohl-Weigand zurückgeht. In der Saarbrücker Purrmann-Ausstellung entdeckt man Werke, die gemeinhin nie zu sehen sind, da sie aus Privatbesitz stammen. Das Museum Wiesbaden schickte großzügigerweise ein Gemälde, das dort soeben erst erworben wurde.
In Paris lernt Purrmann Matisse kennen. Es wird mehr als eine Beziehung zwischen Malerkollegen, es entwickelt sich eine Lebensfreundschaft. Man gründet 1907 sogar eine private Malschule, die Académie Matisse. Purrmann scheint zufrieden über seine Fortschritte: „Matisse hat viel in mir angerichtet und mir viel aufgeholfen.“ Der Erste Weltkrieg setzt seiner Pariser Zeit ein Ende, „Zäsur“ heißt die Kapitelüberschrift in der Ausstellung.
Zwei Jahre lebt die Familie Purrmann auf dem Familiensitz seiner Frau im baden-württembergischen Beilstein. Der Künstler befasst sich nicht weiter mit dem Akt. Landschaften, Stillleben und Porträts entstehen stattdessen. Erst nach seinem Umzug nach Berlin ab 1916 nimmt er das Sujet wieder auf.
Auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie steht Hans Purrmann in seinem Atelier. Links von ihm hängt ein Blatt an der Wand – die Kurven einer Frau sind erkennbar. Ein Renoir. Dieser Druck war Purrmann so wichtig, dass er ihn an seinem Arbeitsplatz vor Augen haben wollte. Die Renoir’sche „Badende“, eine farbige Kreidelithografie, hängt neben der Schwarz-Weiß-Fotografie. „Gehörte Purrmann dieses Blatt?“, frage ich. „Das weiß man nicht“, erwidert Dr. Kathrin Elvers-Svamberk, die Sammlungsleiterin Moderne Kunst. Rechts von Purrmann ist ein verschwommener Fleck auf dem Atelierfoto. „Römer und Weinkrug“, behauptet das Beschriftungstäfelchen. Ich murmele ungläubig: „Römer und Weinkrug. A7?“ Ich erinnere mich nicht, das Stillleben je gesehen zu haben, und möchte dorthin. „Das kennen sie“, meint Dr. Elvers-Svamberk, „ich zeige ihnen, wo es hängt“. „Matisse!“, rufe ich als wir ankommen. Die Kunsthistorikerin lacht. Ich lache auch, weil ich, zu faul zum Täfelchenlesen, meinen jahrelangen Irrtum einsehe: Das Stillleben entstand 1909/10, in der für Purrmann wichtigen Pariser Zeit, als Matisse sein Lehrer gewesen ist. Kein Matisse. Das ist ein echter Purrmann!