Das im Nikolaiviertel gelegene „Fischer & Lustig“ interpretiert Heimatküche neu und verwöhnt die Berliner mit einem augenzwinkernden Mix aus Traditionsküche, maritimen Speisen und einem ungewöhnlichen Kick. In den illustren Räumen macht das Fine Fish Dining besonders großen Spaß.
Wer in Berlin ans Wasser will, wird schnell fündig. Die Hauptstadt ist eine Wasserstadt im wahrsten Sinne des Wortes. Die Metropole durchziehen Teiche, Pfuhle, Weiher, Seen und die drei großen Flüsse Spree, Dahme und Havel. Fast 60 Quadratkilometer der Gesamtfläche bestehen aus Wasser. Richtig meerig wird es aber eher selten. Schließlich liegt die Ostsee als nächstgelegenes Meer mehrere hundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Auch um in den Genuss von gutem Fisch zu kommen, braucht es also einige Anstrengungen.
Vor allem, wenn man zwar eine der wenigen guten Adressen kennt, sich aber in der spezifischen Gegend, wo das für diesen Text avisierte Lokal gelegen ist, so gar nicht auskennt – und obendrein vergessen hat, Google Maps auf dem neuen Smartphone zu installieren. Vielleicht hätte die Testerin doch lieber einen altmodischen Stadtplan aus Papier mit auf ihre meerige Entdeckungsreise ins Nikolaiviertel nehmen sollen. So zieht sie wiederholende Runden um die gleichnamige Kirche in Berlins ältestem Siedlungsgebiet und kommt sich fast so ein wenig verloren vor wie die kleine Meerjungfrau an Land. Sie sucht und staunt und kommt sich vor wie in einer völlig anderen Welt. Kein Wunder, schließlich wurde das pittoreske Viertel mit dem Kopfsteinpflaster im Mittelalter gegründet. Nichts, aber auch gar nichts erinnert dort an die Plattenbauten des nahe gelegenen Alexanderplatzes.
Doch dann kommt wie im Märchen der Retter in der Not. Der begleitende Food-Fotograf kommt ihr entgegen und lotst die Suchende ins „Fischer & Lustig“. Technisch gut organisiert und vielleicht auch mit einem besseren Orientierungssinn ausgestattet, hat er das Lokal sofort und problemlos gefunden. Im Nachhinein betrachtet war das nun wirklich nicht schwer. Die Location ist gut beschildert und liegt auch nicht versteckt.
Aber nun endlich Butter bei die Fische, denn wir sind hungrig und wollen zugleich mehr wissen von den verheißungsvollen Namen auf der Karte. Wie gut, dass uns die charmante Restaurantleiterin Katharina Fischer an diesem Abend kundig mit Rat und Tat zur Seite steht. Sie empfiehlt uns einen Spritzer namens Heidi, bestehend aus Riesecco mit Holunderblütensirup, Johannisbeersaft und Minze. Hieß es in Kindheitstagen nicht einmal „Sauer macht lustig“? Wie auch immer. Dieser beerig-prickelnde Drink ist ein absolut beschwingender Einstieg in den maritimen Abend.
Viele vermuten kein Fisch-Restaurant
Natürlich passt auch Herbes zu Fisch. Und so stillen wir unseren Durst an einem Fischer-Pils sowie an einem etwas süßeren Urpils, das sich „Trüber Werner“ nennt. Letzteres sei im Einzelhandel nicht zu kaufen, verrät uns die Chefin. Es wird exklusiv fürs „Fischer & Lustig“ gebraut sowie für das in Friedrichshain ansässige „Jäger & Lustig“. Beide Lokale stehen unter den Fittichen von Alexander Freund. Der Gastronomie-Unternehmer wollte Heimatküche neu interpretieren und ihr einen gewissen Kick verleihen. Im „Jäger & Lustig“ kommen vor allem Liebhaber von Wildfleisch auf ihre Kosten, während es im hiesigen „Fischer & Lustig“ um die Kulinarik aus Flüssen und Meeren geht.
Noch würden die Besucher in der Gegend gar kein Fisch-Restaurant vermuten, erzählt Katharina Fischer im Gespräch. In dem Haus, das erst im Herbst vergangenen Jahres kernsaniert wurde, war zuvor das „Reinhards“ beheimatet. Das Lokal war lange für seine traditionelle Berliner Küche bekannt, was viele Kenner des Viertels noch gut in Erinnerung haben. Mit dem Besitzerwechsel kam die Transformation zur Kulinarik der Meeresküche. Was historisch betrachtet zum Nikolaiviertel passt. „Hier gab es früher auch einen Fischmarkt“, weiß Katharina Fischer. Die Restaurant-Chefin ist ein gebürtiges Nordlicht aus Hamburg und trägt nicht nur den passenden Namen, sondern überzeugt uns auch mit ihrer Passion für Fischgerichte. „Wir versuchen, mehr Gäste dazu zu bewegen, auch einmal Fisch zu probieren“, sagt sie. Dazu sei derzeit noch eine Kombination mit Fleisch nötig. Die kann sich sehen und vor allem schmecken lassen, finden wir.
Wie überzeugend diese kulinarische Vereinigung von Land und Meer ist, dürfen wir an diesem Abend erfahren. Doch noch vor unseren ersten gustatorischen Surf’n’Turf-Erlebnissen starten wir mit einem Hackepeter. Anders als in der traditionellen Berliner Küche bereiten die fabelhaften Köche Gerald Körner und Marc Burow das Gericht nicht aus rohem Hackfleisch zu. Stattdessen kosten wir eine Fusion aus Matjes und Lachs mit Äpfeln, Kapern und Ei. Was für eine spannende wie schmackhafte Variation des altbekannten lokalen Gerichts!
Nicht weniger köstlich und aromatisch stellt sich uns die fleischlose Alternative dar als „Bunte Beeten – gebacken, Schaum, Tatar“. An den schaumgeborenen, hocharomatischen Farbklecksen erfreuen sich nicht nur das Auge, sondern sicher auch die Gaumen von vegan und vegetarisch lebenden Seenixen und Wassermännern. Wer es auch im Hauptgang vollkommen fleischlos mag, hat die Auswahl zwischen drei Speisen „Fisch vom Feld“. Durch und durch vegan sind dabei zum Beispiel der Wirsing-Wickel mit einer Erbsen-Bohnen-Füllung an Sellerie-Risotto und der Tellerlinsen-Krustenbraten mit angeröstetem Spitzkohl und Pastinaken.
Hausgemachte Gurkenlimonade
Bevor wir zum Hauptgang übergehen, lassen wir noch unsere Augen durch die maritimen Welten wandern. Auf den Wänden und auf den Samtbezügen von Stühlen und Hochbänken dominiert die Farbe Blau und auf dem Geschirr die Farbe Grün. Auch die Wände erzählen Geschichten von der See. Hier ein paar Fotografien von Seemännern, Fischernetzen und Möwen. Da ein paar auf Planken gemalte Fischgemälde. Und dort aus der Wand ragt eine Schiffschraube hervor. Über unseren Köpfen ist ein Bullauge in die Wand montiert, durch das wir die Gäste im anderen Raum beobachten könnten. So könnten wir uns wie Spione auf hoher See fühlen.
Den Machern von „Fischer & Lustig“ war es wichtig, „trotz maritimer Klarheit“ die Räume gemütlich und einladend zu gestalten. Das ist ihnen absolut gelungen. Doch bevor wir weiter staunen und entdecken können, brauchen wir eine weitere Erfrischung auf unserer Reise und nippen an der hausgemachten Gurkenlimonade. Wir beide kommen darüber ein, dass das Mixgetränk aus Gurkensirup, Gurkenscheiben, Zitronensaft, Mineralwasser und Sprite „unser“ Limonaden-Hit des Sommers 2023 werden wird.
Apropos Erfrischung: Als sich die Testerin zwischendurch einmal frisch machen will, kommt sie auf dem Weg vorbei an weiteren verspielten Kuriositäten. Eine Wand etwa ist voller weiß-blauer Kuckucksuhren, umrahmt und in Szene gesetzt von verschnörkelten Bilderrahmen. An einer anderen befindet sich die Skulptur eines Nashornkopfes. Die Hände wäscht sie sich schließlich über einem Bottich, in dem sich leuchtend grüne, semi-transparente Steine aus Epoxidharz befinden, die an zu groß geratene Eiswürfel erinnern. Ganz klar, es bleibt amüsant und lustig in all diesen Räumen. Nomen est omen.
Wenn es wärmer wird, öffnet die Terrasse
Das gewählte Fischgericht unseres Hauptgangs betört durch nonchalante Leichtigkeit. Die gebratenen Zandermedaillons auf deliziösem Spitzkohl zergehen geradezu auf der Zunge. Für den Fotografen darf es bei diesem Gang etwas deftiger und erdiger sein. Kulinarisch vollends zu Hause in beiden Welten surft und turft er sich durch „Himmel und Erde – Land und Wasser“. Auf gut Deutsch: Blutwurst, Zander und Flusskrebs an Äpfeln, Zwiebeln und Kartoffelstampf. Es überrascht ihn, wie harmonisch das Ensemble ist und wie wenig die geschmacksintensive Blutwurst den Fischanteil dominiert.
Am Ende des Abends lichten wir irgendwann wieder die Anker. Kurz bevor wir wieder in See stechen, genehmigen wir uns aber noch ein „Süßes Ende“. Die Palette voller mundgerecht geschnittener Häppchen soll uns über den Abschied aus dieser maritimen Wunderwelt trösten. Mit dabei sind unter anderem Kalter Hund, Pistaziengebäck und eine Kugel Joghurt-Eis. Geradezu perfekt, wenn man Neugier und gleichzeitig Naschhaftigkeit befriedigen will. Wir erfahren noch, dass in den wärmeren Monaten die Terrasse eröffnet werden soll. Dort wird es dann auch leichtere Meeresgenüsse geben, wie etwa Fischbrötchen, Fischgulasch und Fish’n’Chips. Ein guter Grund, wieder vorbeizukommen. Und vielleicht liegt Berlin jetzt doch ein bisschen näher am Meer.