Die Zahl der Insolvenzen in Deutschland steigt – jedoch nur minimal im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren. Dagegen kämpfen die deutschen Schuldnerberatungen mit einem nie dagewesenen Ansturm bei zu wenigen Beratern.
Galeria Karstadt Kaufhof entlässt Menschen, schließt Filialen, zahlreiche Mode- und Schuhhandelsketten wie Peek & Cloppenburg oder Reno haben in den vergangenen Wochen und Monaten Insolvenz angemeldet. Die Zahl der Insolvenzen steigt – das belegen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis).
Trotzdem ist die große Pleitewelle bislang ausgeblieben. Seit Einführung der neuen Insolvenzordnung 1999 gab es nur 2021 noch weniger Insolvenzen. Im Vergleich zum bisherigen Insolvenzhöchstjahr 2003, in dem es in Deutschland noch 39.320 Firmenpleiten gab, haben sich die Insolvenzfälle 2022 um über 60 Prozent verringert. Daran hat natürlich auch das im Zuge der Corona-Pandemie gelockerte Insolvenzrecht einen gewissen Anteil. Diese Veränderung war jedoch nur zeitlich begrenzt und ist nun ausgelaufen.
„Hauptursachen für die Firmeninsolvenzen im letzten Jahr waren die hohen Energiekosten, die bestehenden Probleme in den Lieferketten und die hohe Inflation. Hinzu kam die Konsumzurückhaltung bei den Verbrauchern, die aufgrund der hohen Energiepreise und der Inflation weniger Geld zur Verfügung hatten. Die resultierenden Kaufkraftverluste belasteten die Unternehmen ebenfalls“, sagt Frank Schlein, Geschäftsführer des Wirtschaftsauskunftei Crif Buergel.
„Liegen noch unter Vorkrisenniveau“
Dass es dennoch nicht zur großen Pleitewelle kam, hat verschiedene Gründe. Christoph Niering ist Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). Nach seiner Einschätzung handelt es sich bei den Insolvenzzahlen in Deutschland um einen „Aufwärtstrend auf schwachem Niveau“. „Hier wird medial manches aufgebauscht“, stellt Niering fest, denn „wir liegen immer noch unter dem Vorkrisenniveau 2019 und weit weg von besorgniserregenden Rekordzahlen“, und dies trotz Energiepreisanstieg, Inflation und deutlichem Zinsanstieg. „Hätten Sie mich vor ein paar Jahren mit dem heutigen Szenario konfrontiert, hätte ich gesagt, die Wirtschaft befindet sich im freien Fall.“ Dass dem nicht so ist, läge an einer deutlich resilienter agierenden deutschen Wirtschaft, so Niering. „Einerseits haben schon die vergangenen Jahre, vor Corona, die Unternehmen krisenfester gemacht. Anderseits hat nach Corona auch in manchen Fällen eine stille Marktbereinigung durch Unternehmensaufgaben ohne Insolvenz stattgefunden, die jetzt die verbliebenen Wettbewerber begünstigt. Wenn Unternehmen reagieren müssen, handelt es sich heutzutage vor allem um langfristige Abbauprozesse und seltener um kurzfristige Maßnahmen.“ Überhitzte Branchen wie etwa in der Bauwirtschaft kehren jetzt wieder auf ein Normalniveau zurück. „Andere haben von den massiven Corona-Hilfsgeldern der Bundesregierung profitiert“, so Niering weiter, darunter auch Unternehmen, die nach seiner Einschätzung keinerlei Marktberechtigung mehr haben dürften. Auch ihnen verschaffte das frische Geld unter anderem durch die hohe Bereitschaft, beispielsweise über Landesbürgschaften auch in schwierige Fälle zu investieren, wieder neue Luft – ohne diese Gelder wären einige dieser Unternehmen bereits deutlich früher in die Insolvenz gerutscht.
Auf der anderen Seite nehme die Zahl der Schuldnerberatungen in Deutschland deutlich zu, sagt Ines Moers, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatungen. Offizielle Erhebungen darüber, wieviele Beratungen es gibt, existieren nicht. Aber bei einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AGSBV), an der 460 Beratungsstellen von Verbänden wie Caritas, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband oder den Verbraucherzentralen teilnahmen, verdeutlichte sich: In 65 Prozent der Beratungsstellen ist die Nachfrage leicht oder stark gestiegen. Mittlerweile suchen deutlich mehr Erwerbstätige Rat. Zentrales Thema vieler, die sich beraten lassen: die gestiegenen Energiepreise. „Im Vergleich zu 2019 steigt zwar die Zahl der Insolvenzen, aber nicht dramatisch. Es gibt nun mehr Beratungsanfragen diesbezüglich, weil Ratsuchende deutlich früher zu uns kommen. Aber die gestiegene Zahl der Anfragen können viele Beratungsstellen nicht mehr bewältigen – ihnen fehlt schlicht das Personal dafür.“
Zahl der Beratungen steigt weiter an
Zwar geht es in vielen Beratungsgesprächen oftmals um das Thema Energiepreise. Dennoch werden die von den Ländern eingerichteten Härtefallfonds im Falle von Energieschulden kaum in Anspruch genommen. „Diese Fonds sind so eingerichtet, dass, wenn es hohe einmalige Nachforderungen gibt, dieses Geld in Anspruch genommen werden kann“, erklärt Moers. „Aus den Fonds wurde bisher erst wenig abgerufen. Denn meist kommen die Ratsuchenden, weil sie die monatlichen Raten nicht mehr zahlen können. Vorsichtig ausgedrückt gehen hier die angedachten Hilfen an der Realität der Bedarfe vorbei.“ Ein weiteres Problem: Ausgezahlte Energiehilfen wie die Einmalzahlungen im September 2022 waren lange nicht pfändungssicher. Mittlerweile ist dies zwar geregelt, nicht jedoch für die Inflationsausgleichsprämie in Höhe von maximal 3.000 Euro. Anfang Mai will die Bundesarbeitsgemeinschaft die Probleme wieder während einer Konferenz an die Politik herantragen.
Ines Moers geht in diesem Jahr von weiter steigenden Beratungsanfragen aus. Diese zu bewältigen werde angesichts der Fachkräftesituation schwierig werden, so Moers. Und welche Prognose sehen Experten in Sachen Unternehmenspleiten? „Aktuell gehen wir von bis zu 16.500 Firmeninsolvenzen im Jahr 2023 aus. Wir sehen keine Insolvenzwelle, sondern vielmehr eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens in Deutschland“, sagt Schlein von Crif Buergel. Das wären im Vergleich immer noch weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019, in denen laut Destatis 18749 Unternehmen pleitegingen. Keine guten Aussichten. Aber auch keine katastrophalen.