Es ist eine zunehmende Belastung, insbesondere für den Mittelstand: Bürokratische Hürden und Informationspflichten kosten Zeit und Geld. Entlasten sollen digitale Dienste – diese sind aber noch nicht so weit.
In Krisenzeiten sind Flexibilität und Schnelligkeit gefragt. Doch der Amtsschimmel wiehert kräftiger denn je und lässt die Bürokratie so richtig aufblühen. Und die deutsche Wirtschaft? Sie mault, aber schluckt es, Aufschrei Fehlanzeige. Ein weiter so ist keine Lösung und Besserung wohl nicht in Sicht. Im Gegenteil, und wir sehen dies seit der Pandemie und in Zeiten der hohen Energiepreise: In der Krise ist der Ruf nach Vater Staat, der schützend seine Hand über uns hält, gelebter und auch geforderter Alltag in Deutschland. Ein Hoffnungsschimmer, dass sich das Blatt wieder wendet, sind paradoxerweise die Krisen selbst, und zwar dann, wenn der Veränderungsdruck spürbar unerträglich werde. So sieht es beispielsweise der ehemalige Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“, Beat Balzli, der im März zu Gast in Saarbrücken war.
Der Staat als Problemlöser
Und der Druck steigt. Beim Blick auf das Ranking der attraktivsten Wirtschaftsstandorte müssten bei den politisch Verantwortlichen in Berlin eigentlich die Alarmglocken schrillen. In puncto Steuern, Energiepreise und Bürokratie rutscht Deutschland unter den 21 führenden Wirtschaftsnationen von Platz 14 auf 18 ab, bei der Digitalisierung rangiert das Land weit abgeschlagen im hinteren Feld. Dennoch passiert scheinbar nicht viel. Beispiel Digitalisierung: Vor fünf Jahren wurde das sogenannte Onlinezugangsgesetz verabschiedet mit dem Ziel, 575 Bundes-Verwaltungsleistungen online verfügbar zu machen. 122 sind bisher laut dem bundeseigenen „Dashboard Digitale Verwaltung“ umgesetzt, darunter beispielsweise die Arbeitssuchend-Meldung online bei der Bundesagentur für Arbeit. Das ist nicht viel und zeigt, wie weit der Weg noch ist – die Erinnerung an die Anfangszeiten von Corona ist noch frisch, als das Faxgerät in den Gesundheitsbehörden Kommunikationsmittel Nummer eins in der Krise war.
Die Liste ließe sich weiter fortschreiben mit ähnlich haarsträubenden Beispielen; dazu gehöre, so Balzli, aber auch die Dauer von Genehmigungsverfahren für Radwege oder Windkraftanlagen, der Ärger um die Grundsteuer, Auszahlung von Coronahilfen, Energiepreisbremse, Berichtspflichten, Datenschutzverordnungen, Umsetzung der Änderungen beim Arbeitszeitgesetz, Umgang mit elektronischen Krankmeldungen und last but not least Auflagen der Denkmalschutzbehörden, die am Ende des Tages oftmals den Sargnagel jedes noch so gut gemeinten Projekts bedeuten. Wenn Deutschland allerdings eines perfekt beherrscht, dann ist es die gelebte Bürokratie bis ins letzte Detail.
Besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, von denen es so oft heißt, sie seien das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, sind davon betroffen. „Bürokratie kostet sie Geld und Nerven und sie sind von der Bürokratie überproportional betroffen, da ihre Unternehmens- und Personalstrukturen es oftmals gar nicht hergeben, sich mit dem sogenannten Erfüllungsaufwand intensiv zu beschäftigen“, so Beat Balzli. „Sie sind dafür ausgelegt, anstehende Probleme schnell und flexibel zu lösen und sich nicht mit zusätzlicher Bürokratie herumzuschlagen.“ Allein die Kosten für diesen Erfüllungsaufwand seien laut Normenkontrollrat in der deutschen Wirtschaft von Sommer 2021 bis Sommer 2022 von sieben Milliarden auf 17 Milliarden Euro gestiegen.
Zwar fordern Wirtschaftsverbände und Kammern immer wieder, für ein neues Gesetz zwei alte zu streichen, aber das bleibt wohl eher ein frommer Wunsch. Aber warum ist das so in Deutschland? „Niemand möchte die Bürokratie abschaffen, aber die Dosis verringern. Doch selbst das ist inzwischen ein Problem.“ Die Gründe dafür sind vielfältig. Balzli sieht vor allem eine unterentwickelte Kultur der Eigenverantwortung in vielen Unternehmen. Es sei bequemer sich nicht mit den Behörden anzulegen. Hinzu kommt in Deutschland die hohe Anhängerschaft eines starken Staates, der als Problemlöser für alles und jenes fungiert. Wenn diese Anspruchshaltung auf eine immer noch analog arbeitende Verwaltung trifft, Lobbygruppen ganze Arbeit leisten, indem sie Projekte verhindern, die nicht in ihrem Sinne sind, dann wird das nichts mit dem Abbau der Bürokratie. Außerdem seien in Deutschland die Anreizstrukturen im Beamtenapparat falsch gesetzt. „Ambitionen werden nicht belohnt und Ambitionslosigkeit wird nicht bestraft. Warum sollten die sich bewegen?“ In der Schweiz beispielsweise wurde das Beamtentum im Jahr 2000 per Volksentscheid einfach abgeschafft, zu ineffizient, zu teuer, zu bürgerfern. In Deutschland wohl undenkbar.
„Die Eingriffe des Staates werden wohl eher zunehmen, wie die Lenkungsambitionen der Politik deutlich machen“, sagt Balzli. Die Palette reicht von Vorgaben und Verboten in der Energie- und Klimapolitik über die Subventionspolitik bis hin zur Vorgabe von Produktionsquoten. Staat und Wirtschaft seien auf dem besten Weg, sich mehr und mehr zu entkoppeln. Doch wie leidensfähig ist die deutsche Wirtschaft? Und wie kommen wir raus aus diesem Bürokratie-Gigantismus?
Allerdings: es gibt auch gegenteilige Zahlen. Laut dem Bürokratiekostenindex des statistischen Bundesamtes sind die Kosten für Bürokratie in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Der Index misst Zeitaufwand und Kosten für Unternehmen, die aufgrund bundesrechtlicher Regelungen Daten erheben, übermitteln oder sonstwie verfügbar halten müssen. Der Index, erstmals gemessen 2012, sank in den vergangenen Jahren – bis zum Ende der Legislaturperiode der vergangenen Großen Koalition. Seitdem steigt er wieder leicht an.
Auch auf Ebene der EU soll Papierkram abgebaut werden, vor allem für grenzüberschreitend tätige Unternehmen. Dazu hat sie eine Richtlinie vorgeschlagen, die es Gesellschaften erleichtern soll, die Nutzung digitaler Werkzeuge und Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht auszuweiten. EU-Justizkommissar Didier Reynders sagte zu dem Vorschlag: „Insbesondere wird das EU-Gesellschaftszertifikat den Unternehmen ermöglichen, Behörden und Interessenträgern in der gesamten EU auf einfache und zuverlässige Art wesentliche Informationen über ihr Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Es wird in allen EU-Sprachen verfügbar und in allen Mitgliedstaaten anerkannt sein. Durch die Abschaffung der Notwendigkeit der Apostille wird ein weiteres erhebliches Hindernis für Unternehmen beseitigt.“
Ein Fünkchen Hoffnung bleibt also. Menschen bewegen sich bekanntlich erst, wenn sich der Leidensdruck deutlich erhöht. Und der könnte in der Energiekrise bald erreicht sein.