Mit der Wiederbelebung der jahrhundertealten westafrikanischen Webtechnik „Aso oke“ sicherte sich der Jungdesigner Kenneth Ize ein Alleinstellungsmerkmal. Nun sind seine Kreationen von internationalen Laufstegen gar nicht mehr wegzudenken.
Das ist es für junge Designer-Talente mit multikulturellem Background nichts Ungewöhnliches: Mit der Gründung ihres Labels wenden sie sich den eigenen Wurzeln zu und lassen sich von den vielfältigen Traditionen der Herkunftsländer ihrer Ahnen inspirieren. Das gilt in ganz besonderem Maße für den inzwischen 32-jährigen Kenneth Ize, der am 5. Oktober 1990 in der nigerianischen Mega-Metropole Lagos geboren wurde. Als Kenneth gerade mal vier Jahre war, zog seine Familie nach Österreich, wo er dann in Linz aufwuchs. Nachdem er 2013 einen Abschluss in Fashion und Design an der Wiener Universität für angewandte Kunst gemacht hatte, kehrte er sogleich nach Nigeria zurück und etablierte in Lagos seinen gleichnamigen Brand. „Ich wollte es einfach sofort. Ich wollte meine eigene Marke haben, sobald ich meine Ästhetik gefunden hatte“, erzählt der junge Designer.
Seine erste Kollektion, auf afrikanischer Handwerkskunst basierende Unisex-Kleidungsstücke, präsentierte er auf der Lagos Fashion Week für den Sommer 2014. Außerhalb des Kontinents nahm aber kaum jemand Kenntnis davon, zumal wenig später die verheerende Ebola-Epidemie ausbrach, die bis Anfang 2016 andauerte.
Ize kehrte nach Österreich zurück und nahm das Studium an der Wiener Hochschule wieder auf. Nach zwei Jahren machte er unter Leitung des renommierten britisch-türkisch-zypriotischen Modeschöpfers Hussein Chalayan seinen Master.
Die Lagos Fashion Week 2016 nutzte Ize zu einem Relaunch seines Labels, wobei er sich nun in Richtung Menswear orientierte. „Ich habe ursprünglich mit Herrenmode angefangen und eigentlich auch nie zuvor Damenmode designt. Aber es gab immer eine spielerische Note, die man wohl sonst eher bei der Womenswear findet. Als schwuler Mann spielt hier auch immer meine eigene Identität mit – was möchte ich tragen, wie will ich auftreten? Ich habe auf jeden Fall sehr schnell gemerkt, dass sich auch viele Frauen von meinen Kreationen angesprochen fühlen.“
In den folgenden Jahren setzte sich Ize an die Spitze einer Reihe von nigerianischen Jungdesignern. Diese wollten afrikanische Mode durch bewusste Adaption oder auch durch strikte Abwendung des Klischees von wallend-bunten Gewändern auf der internationalen Fashion-Bühne salonfähig machen. Dabei entschied sich Ize als Alleinstellungsmerkmal für seine Kreationen zur Wiederbelebung der traditionellen Technik „Aso oke“.
„Das ist eine jahrhundertealte Webtechnik aus Niger und Westafrika“, erzählt Ize, „die man in ähnlicher Form auch in Kenia oder auf den Philippinen findet. In Nigeria wird sie vom Yoruba-Stamm aufwendig von Hand gefertigt, wobei für die Herstellung von einem Meter Stoff rund zwei Arbeitstage benötigt werden. Die Handwerkerinnen sind unglaublich. Sie ermutigten mich, meinen Geist zu öffnen, schneller zu denken, die Dinge auf unterschiedliche Weise anzugehen und Lösungen für Probleme zu finden. Ich begann, ihren Geschichten zuzuhören, und es hat mir dabei das Herz gebrochen, dass sie so viel Talent haben und sich nicht davon ernähren können.“
Deshalb rief Ize eine eigene kleine Manufaktur ins Leben, die im Sinne von „Stoff First“ die Basistextilien für seine Kleidung herstellt. Die Zahl der Mitarbeitenden liegt mittlerweile bei rund 30. „Ich wähle meine Farben, indem ich auf den Markt in Lagos gehe und dort Garn kaufe. Anschließend zeige ich es der Weberin. Sie erzählt mir, was ihr dazu einfällt, sie hat ein sehr gutes Gespür für Farben. Dann beginnen wir, den Stoff zu weben, ohne überhaupt schon eine Vorstellung davon zu haben, was daraus mal entstehen könnte.“ Allerdings verwendet Ize bei seinen Kreationen nicht nur Aso-oke-Material, sondern auch bestickten Krepp aus Österreich. „Was ich sehr lustig finde, weil viele Nigerianerinnen in den 1960er-Jahren eigens nach Österreich gereist waren, um genau diesen Stoff zu erwerben.“ Später sollten dann auch noch Strick und japanisches Denim hinzukommen. „Österreich hat Eleganz, Nigeria Extravaganz. Es ist faszinierend, diese beiden Stilrichtungen miteinander zu kombinieren.“
Stilrichtungen kombinieren
Alles schön und gut, aber zunächst einmal galt es für Kenneth Ize, sein Label über Nigeria und die Lagos Fashion Week hinaus international bekannt zu machen. Dafür knüpfte er jede Menge Kontakte über die sozialen Medien mit Schwerpunkt Instagram. Nach eigenem Bekunden war auch die Unterstützung durch die prominenten Inhaber der Brand Erdun enorm hilfreich, weil ihm U2-Frontmann Bono und dessen Ehefrau Ali Hewson viele Türen zu wichtigen Playern der Modebranche geöffnet hatten. Auch die für seine Arbeit sehr inspirierende Freundschaft mit den Machern des Wiener Modelabels Sagan Vienna, Tanja Bradaric und Taro Ohmae, wollte Ize nicht unerwähnt lassen. Weil diese beiden Designer in ihrer zwischen Tradition und Avantgarde angesiedelten Mode die kulturellen Prägungen durch ihre Herkunftsländer Kroatien und Japan zu einem spannenden Mix aus Wiener Charme, Pariser Chic und deutschem Bauhaus verbinden und ihren Handtaschen mit dem vom legendären Thonet-Stuhl inspirierten Wiener Geflecht Kultstatus verleihen konnten.
Dennoch war Ize noch ein weitgehend unbekannter Nobody, als er sich für die Teilnahme am renommierten LVMH-Wettbewerb des Jahres 2019 bewarb. Durch sein Vordringen bis ins Finale bei diesem wichtigen Preis für Nachwuchsdesigner wurde die Branche erstmals auf ihn aufmerksam. Was auch wohl der Grund dafür gewesen war, dass auf seiner Show anlässlich der Lagos Fashion Week 2019 mit Naomi Campbell und Imaan Hammam zwei der bekanntesten Models aufgetaucht waren, die von Ize entworfene Kleider aus handgewebten Karos getragen hatten. Dank der Unterstützung durch die Verantwortlichen des Luxuskonzerns LVMH konnte Ize dann wenige Monate später im Februar 2020 sein Debüt auf internationaler Ebene geben und zwar auf der Pariser Fashion Week für den Herbst/Winter 2020/2021.
Die Location war für einen Newcomer mit dem Palais de Tokyo sehr nobel ausgewählt worden. Und da Imaan Hamman die im Rahmen der Womenswear angesiedelte Show eröffnet und Naomi Campbell sie in einem bunt gestreiften Trenchcoat-Kleid mit einem Laufsteg-Auftritt abgeschlossen hatte, konnte sich Ize der Aufmerksamkeit der breiten Fashion-Öffentlichkeit sicher sein.
Bei seinen farbenfrohen, aus gemustertem Strick, österreichischer Spitze und gestreiftem Aso-oke-Stoff samt Fransensäumen gearbeiteten Kreationen überwand er spielerisch die Geschlechterrollen und zeigte daher Herren- und Damenmode gemeinsam. „Der Designer ist vor allem für seine Herrenschneiderei bekannt“, so die „Vogue“ seinerzeit in einer ersten Einschätzung. Und weiter: „Obwohl er mit einem gesteppten gestreiften Minirock und einer passenden Trichterhalsjacke mit Reißverschluss mit einer ausgesprochen femininen Note begann. Ize neigt jedoch dazu, am ehesten in einer androgynen Zone zu arbeiten, und seine stärksten Momente wurden durch den Einfluss der Arbeitskleidung geprägt – denken Sie an Tischlerhosen, die aus Seide gesponnen und am Saum mit Fransen bestückt sind. Das britische Model Adwoa Aboah sah in einem seiner neuen gesteppten Boilersuits besonders auffällig aus.“
Auch die karierten Tuniken und Hosenanzüge aus grüner und orangefarbener Spitze wurden von der „Vogue“ in höchsten Tönen gelobt. Nicht zu vergessen die in Zusammenarbeit mit dem Wiener Label Sagan Vienna entstandenen Fransenbeutel und Clutches oder auch die Strickwaren im Retro-Style.
Innovation, Qualität und Authentizität
Aus österreichischer Sicht hatte Ize „den ganz Großen gleich zum Auftakt die Show“ gestohlen, so das Nachrichtenportal „heute.at“. Es schrieb: „Der 29-Jährige schafft den Spagat zwischen traditionellen afrikanischen Textilien und europäischer Mode – und das weit besser, als alle vor ihm.“ Wohl auch mit ein Grund dafür, dass sich wenig später Beyoncé und Donald Glover als große Fans des Labels outen sollten. „Es war sehr wichtig für mich, für mein Debüt in Paris zu meinen Wurzeln zurückzukehren, dorthin, wo ich angefangen habe, zu dem, was ich am besten kann. Ich fokussiere mich sehr auf das Tailoring, das ist etwas, was ich immer geliebt habe. Die Mädchen tragen keine Kleider, sondern nur gerade geschneiderte Teile. Ich spiele viel mit Silhouetten und versuche, den Tailoring-Teilen ein entspanntes Gefühl zu verleihen und Straßenkultur einzubeziehen – ich möchte, dass es eine Kollektion für alle ist.“
Im Sommer 2020 wurde Ize, der beim afrikanischen Modefestival Arise des gleichen Jahres zum Designer des Jahres gekürt werden sollte, die Möglichkeit eröffnet, eine Gast-Kollektion für das Label Karl Lagerfeld entwerfen zu dürfen. Sie wurde ab April 2021 in ausgewählten Stores zum Kauf angeboten. „Die Bandbreite von Karls Arbeit hat mich schon immer sehr inspiriert und es ist eine Ehre, mit seinem gleichnamigen Haus zusammenzuarbeiten. Unsere Vision ist es, die Pariser Chic-Ästhetik von Karl mit Elementen traditioneller afrikanischer Kunst zu kombinieren.“ Auch vonseiten der Lagerfeld-Verantwortlichen zeigte man sich glücklich über die Zusammenarbeit: „Kenneth Ize teilt die Vision von Karl Lagerfeld für Innovation, Handwerkskunst, Qualität und Authentizität. Wir freuen uns sehr darauf, diese Kapselkollektion gemeinsam auf den Markt zu bringen.“ Highlights der Sommerkollektion 2021 waren ein Fransen-Tunika-Kleid, Seidenstrickwaren mit den charakteristischen Streifen oder Organza-Hemden mit konzentrischem Spiralen-Print. In der Herbst-Winter-Kollektion 2021/2022 tauchte erstmals der Ouroboros als Mustermotiv auf, wobei es sich um eine stilisierte Schlange handelt, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Teile aus Merinowolle, die aus Italien importiert wurde, waren mit Symbolen aus äthiopischer Körperbemalung geschmückt.
Im September 2021 konnte Ize dann wieder seine Sommerkollektion 2022 auf der Pariser Fashion Week vorstellen, bei der Besucherinnen seine früheren Kollektionen in den ersten Reihen getragen hatten. Seine Couture-Handwerkskunst war zum Fashion-Week-Thema geworden. Passend dazu zeigte Ize eine Handvoll Abendlooks mit schimmernden Goldfäden, wobei ein knöchellanges Slipdress mit vergoldeten Fransen fraglos den Vogel abgeschossen hatte. Den tollen Hosenanzug mit Spitzenmuster nicht zu vergessen. Bei der aktuellen Winterkollektion 2022/2023 wurde das Aso-Oke-Material wieder ganz stark in den Vordergrund gerückt, beispielsweise mit einem gestreiften Kostüm samt SchmetterlingsPatches. In der Sommersaison 2023 wird Ize eine Zwangspause einlegen müssen. Denn nach dem Ausstieg seines Hauptinvestors war es zu einem finanziellen Engpass gekommen, was die Produktion einer Sommer-Kollektion unmöglich gemacht hatte. Doch Ize will den Kopf nicht hängen lassen und hat seinen Kunden schon mal einen zeitnahen Neuanfang mit anderen Geldgebern versprochen.