Die meisten Experten haben den amtierenden Deutschen Meister SC Magdeburg zum Topfavoriten des DHB-Pokal-Final4 auserkoren, das im April erstmals in Köln über die Bühne gehen und die Domstadt zu Europas Handball-Hauptstadt machen wird.
Obwohl die Rheinmetropole aus sportlicher Sicht seit Jahren fest in den Händen des heimischen FC ist, hat sich die Domstadt inzwischen ganz still und leise zur Hauptstadt des europäischen Handball-Sports gemausert. Allenfalls die Kölner Haie als DEL-Top-Verein können dem Fußball-Traditionsclub in Sachen Fan-Liebe noch einigermaßen Paroli bieten. Das dürfte ziemlich überraschend sein, führt der Handball auf nationaler Ebene in Köln seit jeher doch nur ein Schattendasein – im Unterschied zu den Basketballern, die immerhin in den 1980er-Jahren in Gestalt des BSC Saturn die deutschen Überflieger waren. Der seit der Saison 2015/2016 in der dritten Liga beheimatete Longericher SC ist das einzig nennenswerte Aushängeschild.
Großer Zuspruch in der Rheinmetropole
In Köln ist aber zum einen die Zentrale der Handball-Bundesliga GmbH (HBL) unter Geschäftsführer Frank Bohmann beheimatet. Zum anderen findet in der Domstadt nun schon seit 2010 das wichtigste Finalturnier im europäischen Vereins-Handball statt.
Und das wird auch noch länger so bleiben, denn der Vertrag zwischen der Europäischen Handballföderation EHF und den Verantwortlichen der Stadt Köln zur Durchführung des Champions League Final4-Turniers wurde zwischenzeitlich bis mindestens 2026 verlängert. Aus diesem Grund werden auch am 17. und 18. Juni 2023 hier wieder die vier qualifizierten Top-Mannschaften um die Krone des europäischen Vereinshandball-Sports kämpfen. Der Veranstaltungsort, die im rechtsrheinischen Viertel Deutz gelegene Lanxess Arena, die mit ihrem Fassungsvermögen von knapp 20.000 Zuschauern die größte Veranstaltungshalle der Republik ist, hat die EHF offenbar restlos überzeugt. Der Publikumszuspruch mit ständig ausverkauften Rängen dürfte dabei ebenso eine zentrale Rolle gespielt haben wie der hohe technologische Standard der Arena.
Von daher war es eigentlich nur logisch, dass sich die Macher der HBL intensiv Gedanken darüber machten, auch das nationale Megaevent um den deutschen Handball-Pokal in die Lanxess Arena zu verlegen. Die Entscheidung für den Umzug aus der Hansestadt Hamburg nach Köln war bereits im Herbst 2021 gefallen. Nachdem der nationale Pokalwettbewerb erstmals im Jahr 1993 im Modus eines Final-Four-Turniers in der Ballsporthalle Höchst in Frankfurt am Main entschieden worden war, sollte das Event für 29 Jahre in der Hansestadt Hamburg seine Heimstätte finden. Wobei es zunächst in der im Stadtteil Alsterdorf befindlichen Hamburger Sporthalle, ab 2003 dann in der wesentlich größeren, mehr als 13.000 Zuschauer fassenden Barclays Arena im Volkspark stattfand. Mit dieser Hamburger Traditionsveranstaltung zu brechen, war den HBL-Chefs nicht gerade leicht gefallen.
„Wir hatten Köln immer auf dem Zettel, wir haben aber auch mit anderen Arenen gesprochen“, so Bohmann. „Am Ende ist es immer auf Hamburg oder Köln hinausgelaufen. Lange haben wir weiter die Entscheidung für Hamburg getroffen, nun war sie eindeutig für Köln.“ Das hatte vor allem auch mit der Struktur und der technologischen Ausstattung der Barclays Arena zu tun. „Man hat der Arena angesehen, dass sie weniger in Sport als in Musik investiert hat. Es gab viele Aspekte. Die Lanxess Arena hat ständig reinvestiert“, so Bohmann. Beispielsweise in einen neuen Videowürfel, in LED-Banden zwischen Unter- und Oberrang oder in eine vorbildliche Sound- und Lichtanlage. „Unser Geschäftsmodell sind ja einmal Zuschauer, aber auch Sponsoring. Das wird immer digitaler, und da gehört so etwas dann auch dazu“, so Bohmann. „Wir kommen also mit einer Weltklasse-Veranstaltung, die eine große Strahl- und Anziehungskraft hat, aus Hamburg nach Köln. Die Möglichkeiten, die die Lanxess Arena bietet, werden uns dabei helfen, diese Veranstaltung noch besser zu machen und sie weiterzuentwickeln.“
„Die stärkste Liga der Welt“
Der Vertrag der HBL mit der Stadt Köln, die sich auf rund 10.000 zusätzliche Hotelübernachtungen während des Turniers freuen kann und mit Blick auf das Pokalturnier sogleich stolz das Motto „En Kölle zo Hus“ geprägt hatte, hat eine Mindestlaufzeit bis 2027. Das hat die Stadt Köln wohl endgültig in den Rang eines Mekkas des europäischen Handball-Sports erhoben. „Für uns ist es eine große Ehre, dass die HBL mit dem Rewe Final4 in die Lanxess Arena wechselt“, so der Hallen-Geschäftsführer Stefan Löcher, „Neben der Champions League beheimaten wir nun auch die stärkste nationale Liga der Welt. Spätestens jetzt ist Köln weltweit die absolute Handball-Hauptstadt.“ Den Auftakt der neuen Kölner Zeitrechnung in Sachen Handball-Pokalgeschichte macht das Final4, das am 15. und 16. April 2023 in der Deutzer Halle stattfinden wird. In Abwesenheit des zwölfmaligen Rekordsiegers und aktuellen Titelträgers THW Kiel, der im Viertelfinale Anfang Februar den Kürzeren gegenüber dem amtierenden deutschen Meister SC Magdeburg gezogen hat, haben die meisten Experten die Truppe aus der Hauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt zum Favoriten für den Pokalsieg auserkoren.
Bei der Auslosung für die beiden Halbfinal-Begegnungen, die am Samstag, 15. April 2023 um 16.10 Uhr und um 19 Uhr angepfiffen werden, hat der SC Magdeburg mit dem TBV Lemgo-Lippe den vermeintlich leichtesten Gegner zugeteilt bekommen. Der nach dem 25. Spieltag Drittplatzierte der Bundesliga bekommt es im Abendspiel (live bei Sky zu sehen) mit dem lediglich auf Rang 13 stehenden Kontrahenten aus der Region Ostwestfalen-Lippe zu tun, den die Magdeburger in der laufenden Saison bereits zweimal besiegt hatten. Anfang Dezember 2022 gewann Magdeburg in heimischer Halle mit 37:33, Mitte Februar 2023 triumphierte Magdeburg auch ganz klar mit 34:28 im Auswärtsrückspiel. Von daher dürften die Fronten bei diesem Duell eindeutig geklärt sein. Selbst für Florian Kehrmann, den Trainer des TBV Lemgo-Lippe, ist Magdeburg klarer Favorit, aber sein Team werde beim Spiel „alles reinpacken, was wir haben.“ Und auf die leichte Schulter sollte Magdeburg den Pokal-Spezialisten TBV, der immerhin schon siebenmal beim Finalturnier dabei war, dabei fünfmal das Finale erreicht und viermal den Titel gewonnen hatte (1995, 1997, 2002 und 2020), ohnehin nicht nehmen. Mit vier Pokalsiegen rangiert der TBV in der ewigen Pokalgeschichte hinter Rekordsieger Kiel und dem VfL Gummersbach (fünfmal erfolgreich) auf dem geteilten dritten Platz, gleichauf mit der SG Flensburg-Handewitt und dem VfL Großwallstadt. „Bei der Leistungsdichte spielt es keine Rolle gegen wen es geht“, so TBV-Geschäftsführer Jörg Zereike, „Wir nehmen es, wie es gekommen ist. Vor drei Jahren haben wir es schon geschafft, von daher hat es einen riesigen Stellenwert und wir freuen uns sehr, jetzt wieder dabei zu sein.“
Magdeburg mit personellen Sorgen
Im ersten Halbfinale (live bei ARD und Sky zu sehen) werden sich mit den pluspunktgleichen Tabellennachbarn auf Rang vier und fünf der Bundesliga nach dem 25. Spieltag zwei Teams auf Augenhöhe gegenüberstehen. Wobei die Rhein-Neckar-Löwen in der heimischen Mannheimer SAP-Arena im bislang einzigen Aufeinandertreffen der Saison Ende September 2022 mit 28:27 knapp den Sieg über die SG Flensburg-Handewitt davongetragen haben. Über den Sieg in diesem prickelnden Duell wird wohl allein die Tagesform entscheiden können. Es kann bereits als Halbfinal-Klassiker eingeordnet werden – weil sich die beiden Teams in jüngster Zeit schon fünfmal in der Vorschluss-Runde begegnet waren – wobei die Norddeutschen stets triumphieren konnten. Einen möglichen Motivations-Zusatzschub wird dem SG möglicherweise die Lanxess Arena verleihen, konnte der Verein dort 2014 mit dem Triumph in der Champions League seinen größten Erfolg verzeichnen. „Wir haben in den letzten fünf Halbfinals bereits gegen die Rhein-Neckar-Löwen gespielt“, so SG-Geschäftsführer Holger Glandorf, „Von daher war es ein Klassiker und eigentlich schon vorhergesagt, dass wir auf die Löwen treffen werden.“ Sein Kollege Oliver Roggisch, Sportkoordinator der Rhein-Neckar-Löwen, geht die anstehende Aufgabe ähnlich gelassen an: „Ich war selten so entspannt vor einer Auslosung, da es keinen leichten Gegner gibt. Ich glaube, die Ansetzung Flensburg versus Rhein-Neckar-Löwen gab es so oft wie keine andere. Wir freuen uns drauf und werden das Beste geben.“
Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte Magdeburg das Finale erreichen, das am Sonntag, 16. April, um 15.40 Uhr (live bei ARD und Sky) beginnen wird. Der TBV Lemgo-Lippe wird sich wohl mit dem um 12.45 Uhr angepfiffenen Spiel um den dritten Platz (live bei Sky und sportschau.de zu sehen) bescheiden. Ob Magdeburg dann im Finale triumphieren wird, ist angesichts der beiden verletzten Stars, dem Isländer Ómar Ingi Magnússon und dem Dänen Magnus Saugstrup, aber alles andere als sicher. Zumal der mögliche Gegner Rhein-Neckar-Löwen den Magdeburgern Anfang September 2022 beim 32:32-Auswärts-Unentschieden schon mal kräftig die Zähne gezeigt hatte. Und die Flensburger die Magdeburger sogar Anfang Oktober 2022 in heimischer Halle mit 35:34 bezwingen konnten.