Die Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 sorgen regelmäßig für Streit in aller Öffentlichkeit. Dabei steht die regierende Ampel vor einer Gleichzeitigkeit von Herausforderungen, die jede für sich schon immens ist.
Nach dem Streit ist vor dem Streit. Kaum hatte der Koalitionsausschuss mühsame Einigungen über eine Reihe von großen Themen errungen, sorgt Bundesfinanzminister Christian Lindner für neue Debatten in der Koalition. 14 bis 18 Milliarden fehlen nach seinen Angaben im Haushalt für das kommende Jahr. Weil die Politik wieder lernen muss, „mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger erwirtschaften“, müsse nun folglich einiges auf den Prüfstand, auch „lieb gewonnene Gewohnheiten“.
Mit diesen „lieb gewonnenen Gewohnheiten“ ist das aber so eine Sache. Während der Finanzminister Druck auf andere Ressorts macht, Sparvorschläge aus ihren Häusern zu präsentieren, klärt er gleich schon mal, was auf keinen Fall infrage kommt, nämlich Autofahrer und Pendler noch mehr zur Kasse zu bitten oder gar Steuern zu erhöhen.
So weit alles einigermaßen im erwartbaren Bereich. Dringlichste Spar-Appelle gehören zum Handwerkszeug eines Finanzministers, und Steuererhöhungen auszuschließen zum Markenkern eines FDP-Vorsitzenden.
(Fast) alles auf den Prüfstand
Heftige Debatten und Streit gehören dazu, wenn es ums liebe Geld geht, darum, was neben unabweisbaren Ausgaben noch übrig bleibt für Lieblingsprojekte – oder eben nicht.
Damit hat es sich allerdings auch schon, was die jährlich üblichen Debatten um die Verteilung von Ressourcen betrifft. Dass diesmal alles etwas anders wird, hat sich schon angedeutet, als Finanzminister Lindner die angekündigte übliche Vorstellung der Eckdaten für den Bundeshaushalt 2024 kurzfristig absagte. In den Eckdaten wird üblicherweise der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Ausgaben insgesamt sowie verteilt auf die einzelnen Ressorts bewegen. Was folgt, ist Detailarbeit in den einzelnen Ministerien, im Wesentlichen im gesteckten Rahmen.
Der Haushalt im kommenden Jahr – und das gilt absehbar für die nächsten Jahre – steht unter grundlegend anderen Voraussetzungen als je zuvor. Die Gründe sind vielfältig, jeder einzelne wäre schon für sich Herausforderung genug, die Gleichzeitigkeit bringt eine besondere Qualität.
Erstens haben die großen Krisen der letzten Jahre (Pandemie und Krieg in der Ukraine) massive Maßnahmen erfordert, um die größten zu befürchtenden Auswirkungen wirtschaftlich und sozial abzuwenden. Die Schuldenbremse war außer Kraft gesetzt worden, der breiten Öffentlichkeit wurde der Begriff „Sondervermögen“ bekannt – ein Instrument zur Finanzierung von Aufgaben neben dem eigentlichen „Kernhaushalt“, in dem, etwas vereinfacht gesagt, das übliche Normalgeschäft abgewickelt wird. Über Sondervermögen wurden und werden Rettungsschirme ebenso finanziert wie das 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr.
Anfangs mag der ein oder andere schon mal Millionen- und Milliardenbeträge durcheinandergebracht haben. Inzwischen scheint hat man aber schon daran gewöhnt, angesichts von Sondervermögen, Stabilisierungsfonds, Abwehrschirm, Wumms und Doppelwumms in Milliarden zu reden. Gleichzeitig haben die Gesamtschulden des Bundes längst die Billion (1.000 Milliarden)-Grenze überschritten. Ende 2021 waren die Schulden einschließlich Sonder- und Treuhandvermögen auf über 2,4 Billionen Euro gestiegen.
Zweitens ist die Republik in einem Aufholrennen, das – auch wenn das etwas absurd anmutet – durch die Krisen erst beschleunigt wurde. Digitalisierung ist nur eines der markantesten Stichworte, bei Weitem aber nicht das einzige. In einigen Bereichen fehlte es am Willen, in anderen, vor allem bei Ländern und Kommunen, am Geld. Zur Einhaltung der Schuldenbremse waren rigide Sparmaßnahmen erforderlich. Notwendige Investitionen wurden auf die lange Bank geschoben. Kritiker hatten schon früh darauf hingewiesen, dass damit Fallstricke verbunden sind. Tatsache ist jedenfalls ein gigantischer Investitionsstau bei Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung und vielen anderen Bereichen. Die Milliarden-Pakete, die geschnürt wurden, tragen dazu bei, diesen Stau zumindest teilweise aufzulösen.
Die dritte Herausforderung ist die Umsetzung. Eine Folge der Personaleinsparungen für die Schuldenbremse ist mangelndes qualifiziertes Fachpersonal, das für die Umsetzung sorgen könnte. Selbst jetzt, da Mittel zur Verfügung stehen, trifft das auf einen überall drängenden Fachkräftemangel. Die nun beschlossene Beschleunigung von Verfahren kann zwar für Erleichterungen sorgen, das Grundproblem wird es letztendlich aber nicht lösen.
Gleichzeitig begrenzen zusätzlich veränderte Rahmenbedingungen neben der Fachkräftesituation die Möglichkeiten, beispielsweise Lieferketten. Die Pandemie mit den Lockdowns hat gezeigt, wie fragil die globale Vernetzung ist. Der Aufbau eigener Strukturen – national und europäisch –, ob im medizinischen Bereich oder für die digitale Welt, erfordert gigantische finanzielle Anstrengungen. Was das für den Energiebereich bedeutet, haben die zurückliegenden 14 Monate seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine gezeigt. Zusätzlich fordert die Inflation ihren Tribut. Die treibt nicht nur Materialkosten in die Höhe, sondern wird für jeden Finanzminister (in Bund und Ländern) und Kämmerer (in den Kommunen) durch Personalkostensteigerungen eine zusätzliche Herausforderung.
Über all diesen aktuellen Bedingungen stehen Klima- und Umweltschutz. Wie eng die Zeitfenster sind, haben die jüngsten Berichte, national und vom Weltklimarat, eindringlich vor Augen geführt. Auch in diesem Bereich hilft es vergleichsweise wenig, auf alte Versäumnisse und Zögerlichkeiten zu verweisen, zu handeln ist jetzt unausweichlich.
Das Bekenntnis, alle notwendigen Maßnahmen zur Abfederung aktueller Krisen gleichzeitig mit einem Beitrag zur Investition in Klimaschutz zu verknüpfen, ist klar und auch an vielen Stellen zu sehen. Die Vereinbarungen aus dem Koalitionsausschuss wurden auch in vielen Fällen entsprechend begrüßt, aber in anderen Bereichen heftig kritisiert. Das mag für die üblichen Kompromissfindungen in der Regel ein Zeichen dafür sein, dass ein Ausgleich zwischen widerstrebenden Interessen gefunden wurde. Das Problem beim Klimaschutz aber ist, dass darüber angesichts der Entwicklungen eigentlich nicht zu verhandeln ist.
Steuerschätzung im Mai erwartet
Schließlich sollen alle diese Herausforderungen auch noch sozial verträglich sein und für die jeweilige Klientel möglichst ohne allzu große Einschränkungen bewältigt werden können. Die Möglichkeiten, dies wie in der Vergangenheit durch finanzielle Unterstützungen und Ausgleiche zu bewerkstelligen, wie es am Beispiel der Heizungen einmal mehr angekündigt wurde, stoßen inzwischen auch an die Grenzen des Finanzierbaren.
Nicht zuletzt stehen am Ende noch Projekte wie die Kindergrundsicherung im Raum. Sozialpolitisch ein längst überfälliges Vorhaben. Dazu Forderungen aus den Ländern und Kommunen an den Bund, angefangen bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten und aufgehört bei einer stärkeren Beteiligung an den Aufgaben, die der Bund selbst beschlossen hat.
Damit stehen die Haushaltsberatungen in einem Dreieck aus Aufholen, aktueller Krisenbewältigung und Weichen für die Zukunft stellen.
Wenn zur Finanzierung dieser gigantischen Aufgaben die Möglichkeiten zusätzlicher Einnahmen (Steuererhöhungen) von vornherein ausgeschlossen werden, macht das die Sache nicht einfacher. Dass angesichts dieser außerordentlichen Herausforderungen auch außerordentlich gestritten und gerungen wird, sollte eigentlich nicht verwundern. Irritierend ist allerdings eine Art Schwarzer-Peter-Spiel, das zu Zeiten von weniger gigantischen Herausforderungen Polit-Routine war. Das sollte sich – legt man die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger zugrunde – spätestens bis Mai gelegt haben. Dann liegt die Steuerschätzung vor und damit eine aktuelle Grundlage, die multiplen Herausforderungen anzugehen.