Deutschland steht im Zwiespalt: eine Mehrheit ist gegen die Lieferung von Kampfflugzeugen, ansonsten aber für Waffenlieferungen an die Ukraine. Andere dagegen fordern vehement Verhandlungen.
Gut 3.000 Menschen sind zum Ostermarsch in Berlin-Wedding vor dem örtlichen Rathaus angetreten. Auch aus den anderen Städten berichten die Veranstalter bundesweit von einem regen Zulauf, nachdem in den letzten 20 Jahren die Ostermärsche für den Frieden doch etwas aus der Mode gekommen sind. Was auffällt, die Teilnehmer sind zum größten Teil jenseits der 50 und es fehlen die Fahnen der großen Gewerkschaften, der SPD, der Grünen oder Linken. Diese gesellschaftlich-wichtigen Organisationen halten sich schon seit Monaten von Friedens-Demos fern. Zur Begründung wird immer wieder angeführt, dass sich auch rechte Gruppen bei diesen Demonstrationen einreihen würden.
In Berlin-Wedding sind diese beim Ostermarsch zumindest nicht zu erkennen. Die Veranstalter achten auch an diesem Ostersamstag penibel darauf, dass entsprechende politisch eindeutige Fahnen oder Pappschilder nicht auftauchen und wenn, werden sie von den Ordnern sofort kassiert. Anmelderin des Ostermarsches ist Laura Freifrau von Wimmersperg, „zum 43-mal“, wie sie stolz im FORUM-Interview berichtet (siehe Kasten Seite 39). Die fast 90-Jährige freut sich über den regen Zulauf vor Ort und auch die prominente Unterstützung in der Ferne.
„Noch nie so nah am Abgrund“
Der ehemalige Vize-Präsident der EU-Kommission Günther Verheugen (SPD) gehört zu den Mitunterzeichnern eines erneuten Friedensappells. Kernforderung: Deutschland und Frankreich sollen umgehend Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in die Wege leiten. „Ich beschäftige mich jetzt seit 50 Jahren mit internationaler Politik und bitte nehmen Sie es ernst, wir haben uns noch nie so nah am Abgrund befunden wie jetzt. Nicht mal in den Hochzeiten des Kalten Krieges. Wir sitzen auf einem Pulverfass, an dem die Lunte brennt.“ Allerdings widerspricht sich Verheugen in seiner Argumentation selbst, da er auf Nachfrage die bisherigen deutschen Rüstungslieferungen an die Ukraine wiederum für richtig hält. Verheugen ist ausgewiesener Europa-Experte, immerhin war er unter Kommissionspräsident Romano Prodi als Kommissar für die EU-Erweiterung gerade in Richtung Osteuropa zuständig.
Initiiert hat den „Friedensappell an die Bundesregierung“ der Historiker Peter Brandt. Der Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) beruft sich auf die Erfahrungen seines Vaters. Der hatte 1969 den „Wandel durch Annäherung“ ausgerufen und damit das politische Eis des damaligen Kalten Krieges zumindest etwas zum Schmelzen gebracht. Mitunterzeichner dieses erneuten Friedensapells ist auch der ehemalige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) und der ehemalige DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Die erboste Reaktion aus Kiew war absehbar.
Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland und jetzige Vize-Außenminister des Landes, Andrij Melnyk, reagierte entsprechend verärgert: „Brandt und Co. sollten sich mit ihrer senilen Idee, einen schnellen Waffenstillstand zu erreichen und so den Frieden mit Russland zu schaffen zum Teufel scheren“, so Melnyk via Twitter. Dabei geht es im Grundsatz um die alte Frage: Schaffen nun mehr Waffen Frieden, oder weniger?
Beinahe alle Friedensbewegten berufen sich dabei auf die Erfahrungen aus den 80er-Jahren und warnen gleichzeitig vor einer ungezügelten Rüstung. Stichwort Nato-Nachrüstung mit Pershing II und Cruise-Missiles, nachdem die damalige Sowjetunion in der ehemaligen DDR ihrerseits atomare Marschflugkörper des Typs SS-20 stationiert hatte. Der frühere US-Präsident Ronald Reagan setzte auf Abschreckung und gab das Ziel aus, die Sowjetunion tot zu rüsten. Irgendwann würde Moskau tatsächlich rein wirtschaftlich die Luft ausgehen, so das Kalkül 1981 in Washington. Was dann in gewisser Weise auch aufging.
„Kein einfaches Zurück zum Davor“
Daher rührt heute fraktionsübergreifend bei Wehrexperten im Bundestag die Kritik an der Friedensbewegung und dem Verlangen nach sofortigen Waffenstillstandsverhandlungen mit Russland. Erst wenn West- und Mitteleuropa wieder wehrtechnisch in der Lage sind, sich selbst, ohne US-amerikanische Hilfe zu verteidigen, dann könne überhaupt über Friedensverhandlungen gesprochen werden. Den Befürwortern dieser erneuten Aufrüstung müssen dabei die Worte von Donald Trump in den Sinn kommen. Es war der höchst umstrittene republikanische US-Präsident, der im März 2017 nicht mal drei Monate nach seinem Amtsantritt die Europäer im Allgemeinen, aber gerade die Deutschen, ermahnt hatte, sie müssten das Zwei-Prozent-Ziel bei der Verteidigung erreichen. Die USA können nicht länger der Schutzpatron des alten Europas sein. Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts müssen in die Verteidigung eines Landes investiert werden, um wehrhaft zu bleiben. Trump wurde damals gerade in Deutschland von den Vertretern aller Parteien im Bundestag verlacht, seine Warnung nicht ernst genommen.
Friedensdemonstrant Georg Heidel, Gewerkschaftsfunktionär von Verdi, räumt dies zwar ein, doch warnt er vor einer ungezügelten Rüstungsspirale, die sich da wieder auftun könnte. „Für Deutschland bedeutet das Zwei-Prozent-Ziel in diesem Jahr mehr als 65 Milliarden Euro nur fürs Militär. Wenn man dann die Inflation einrechnet sind das fast 90 Milliarden Euro in fünf Jahren. Nach heutigem Stand ein Fünftel des Bundeshaushalts.“ Der Verdi-Funktionär Georg Heidel will darum „den Frieden gewinnen, nicht den Krieg. Darum ist ein Waffenstillstand die Grundvoraussetzung für den Frieden“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier formulierte diesen Widerspruch zwischen Auf- und Abrüstung mit den Worten: „Es gibt keine einfaches Zurück zum Davor.“