Mehr als die Hälfte seines Lebens ist Ken Duken (43) als Schauspieler unterwegs. Über 100 TV- oder Kino-Filme hat er gedreht. Gerade ist er in der Sky-Miniserie „Drift – Partners in Crime“ zu sehen. Beim Interview trafen wir einen sehr sympathischen und zugewandten Gesprächspartner.
Herr Duken, Sie suchen sich Ihre Filme instinktiv aus, sagen Sie. Welche Gefühle haben Sie denn diesmal geleitet?
Da kam einiges zusammen: Ich finde das Action-Format großartig. Allerdings habe ich mich bei den Formaten, die wir in Deutschland haben, nie richtig zu Hause gefühlt. Das hängt damit zusammen, dass wir da oft nicht das Budget haben, um die Erwartungen erfüllen zu können, die man als Zuschauer an die Schauwerte einer großen, internationalen Produktion hat. Deshalb mag ich es mehr, wenn die Geschichte anhand der Figuren erzählt wird, dass also mehr Wert auf die Charakterentwicklung gelegt wird, als auf den Plot.
Wie meinen Sie das genau?
Wenn sich ein Auto überschlägt oder explodiert – oder wie bei „Drift – Partners in Crime“ eine ganze Brücke zum Einsturz gebracht wird –, will ich als Zuschauer bei diesen Sequenzen mitfühlen dürfen. Ich will, dass der Zuschauer mitfiebert, dass die Beteiligten nicht zu Schaden kommen. Wenn man aber, wie es oft gemacht wird, nur die reine Action aus 15 verschiedenen Perspektiven filmt, dann nutzt sich das in meinen Augen schnell ab und berührt mich auch nicht mehr. Da fehlt mir die Empathie. Wenn man allerdings figurenorientiert erzählt, wie wir es getan haben, dann entsteht die Action durch die Menschen, so wie sie sind. Aus unserer Geschichte heraus, aufgrund der Chartereigenschaften.
Sie sind Ali Zeller, und spielen diesen Polizisten als starken und ruhigen Typen. Wie viel davon steckt denn in Ihrem Charakter?
In jeder Figur, die ich spiele, steckt auch ein Teil von mir selbst. Ich kreiere die Figur, indem ich mich in sie hineinversetze und mich in die Situation begebe, in der sie steckt. Ali ist ein vielschichtiger Mensch, der oft nicht sagen oder darstellen kann, was er empfindet. Deswegen implodiert er eher, als dass er explodiert. Und er hat auch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, den ich sehr spannend finde. Ali versucht immer das Richtige zu tun, wählt aber dabei nicht immer den durchdachten Weg. Dieses impulsive Handeln kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen.
Was ist Ihnen beim Schauspielen am wichtigsten?
Ganz egal welche Figur ich spiele, ich darf sie nie diskreditieren. Ich muss mich bei einer Wertung zurückzuhalten, was oft schwer ist. Wenn ich zum Beispiel einen Nazi spiele, dann darf ich nicht den Bösen spielen. Sondern einen Menschen, der vielleicht sogar davon überzeugt ist, der Gute zu sein. Und zwar aus seiner Zeit heraus und eben nicht mit dem Wissen, das wir heute haben. Als Schauspieler muss ich Dinge nachvollziehbar machen. Ich muss versuchen, diesen Moment zu erzeugen, in dem man als Zuschauer begreift, warum dieser Mensch so ist und so handelt. Das ist meine Aufgabe. Und wenn ich Helden spiele, dann stelle ich sie nicht etwa auf ein Podest, sondern versuche auch die Flecken auf der Weste sichtbar zu machen. Und ihre Verletzlichkeit. Im Gegensatz zu den Helden von früher, die meistens wie ein Messer durch die Butter gegangen sind.
Es gibt sehr viele spektakuläre Autocrashs in „Drift“. Viele dieser Stunts haben Sie selbst gemacht. Was gibt Ihnen dieser Adrenalinkick?
Das hat einfach sehr viel Spaß gemacht. Ich habe eigentlich fast alles selbst gemacht, bis auf die Auto-Stunts. Auch wenn ich eine Hauswand bis in den 14. Stock hochklettere, dann herunterspringe und das in eine Verfolgungsjagd auf den Dächern mündet – das ist für mich als Schauspieler doch eine herrliche Spielwiese. Meistens denke ich sowieso erst nachher darüber nach, wie gefährlich das alles eigentlich war.
Der physische Aspekt scheint Ihnen wichtig zu sein. In der Serie gibt es auch Cage-Fight-Szenen mit Ihnen im Brazilian Jiu-Jitsu-Stil – ein Kampfsport, den Sie auch privat betreiben.
Brazilian Jiu-Jitsu ist Boden-Nahkampf, und eigentlich der Ursprung des Cage-Fighting. Das mache ich schon seit acht Jahren. Und das konnte ich jetzt bei der Serie natürlich ganz gut einsetzen. Brazilian Jiu-Jitsu hilft mir, meine Emotionen besser in den Griff zu kriegen.
Sie haben also viele Aggressionen und angestaute Wut in sich?
Aggression nicht. Allerdings bin ich sehr nahe an der dunklen Seite der Macht gebaut (lacht). Durch diesen Sport kann ich viel kompensieren und meine Dämonen in Schach halten. Ich habe über 120 Rollen gespielt und bin seit 26 Jahren als Schauspieler unterwegs. Das macht natürlich sehr viel mit meiner Psyche und meinen Emotionen. Außerdem habe ich ein riesiges Suchtpotenzial. Damit die Schokolade, die Zigarette und das Bier nicht zu interessant werden – das kann ich durch den Sport ausgleichen. Und ich bin sehr maßlos. Also: ganz oder gar nicht. Der Sport ist mein Ventil, um nach einem anstrengenden Drehtag herunterzukommen. Statt mich mit Leuten in der Bar zu treffen. Und wenn beim Brazilian Jiu-Jitsu mal jemand auf mir drauf sitzt und versucht, mich zusammenzufalten, wie man es sonst mit Kleidern tut – dann ist das eine ziemlich demütigende Erfahrung.
Was ist der Unterschied zwischen intensivem und extremem Leben?
Das eine macht Spaß, das andere ist anstrengend (lacht).
Sie haben viele Auszeichnungen bekommen, darunter zwei Grimme-Preise. Was ist Ihnen letztlich wichtiger: öffentliche Anerkennung oder Selbstbestätigung?
Wissen Sie, wie man sich am besten von negativer Kritik – ich rede nicht von konstruktiver – freimachen kann? Sich von Lob zu lösen. Viele Kollegen suchen nach dieser öffentlichen Anerkennung, diesen Schulterklopfern. Die Sehnsucht nach der Zustimmung von anderen Leuten macht sie oft zerbrechlich. Für mich gibt es niemanden auf der Welt, der mich mehr kritisiert, als ich selbst. Mittlerweile kann ich auch gut damit umgehen, wenn ich etwas nicht erreicht habe, was ich eigentlich erreichen wollte. Wichtig ist mir aber, dass ich dabei alles versucht habe. Wenn ich alles gegeben habe, dann bin ich mit mir selbst auch im Klaren. Das gibt mir Bodenhaftung. Abgesehen davon: Kritik ist Teil unseres Jobs. Das ist okay. Für mich ist schon wichtig, dass ich ein Feedback bekomme.
Man muss ja auch nicht immer perfekt sein.
Genau. Konstruktive Kritik hilft einem ganz sicher dabei, sich weiter zu entwickeln. Aber es ist mitunter schwierig. Vor allem in der heutigen Zeit. Ich sehe es ja an meinem Sohn und an anderen Kindern. Die Ansage in der Schule und in der Gesellschaft lautet ja: Bloß keine Fehler machen und immer perfekt sein. Nein, das müssen wir nicht! Ich würde der jungen Generation raten: Sammelt so viele Erfahrungen wie möglich und macht auch Fehler. Wenn man als Jugendlicher nicht auf die Schnauze fallen darf, wann dann? Und man kann doch aus seinen Fehlern lernen.
„Es ist mir egal, ob ich in Buxtehude oder in Hollywood spiele.“ Eine starke Aussage. Aber die nehme ich Ihnen nicht ab!
Die Arbeit ist doch immer die gleiche. Ich mache diesen Beruf um des Berufs Willen. Der Erfolg ist kein Ziel, sondern eine Resonanz. Wenn man mit dem, was man macht, glücklich ist, dann ist das doch gut. Wenn man ohne den Erfolg nicht glücklich sein kann, ist das nicht gut. Wenn man das Glück nicht bei sich findet, sondern es vom Lob anderer abhängig macht, dann erfüllt es einen ganz sicher nicht.
Aber: Wenn Sie in Hollywood erfolgreich wären, würden Sie doch viel interessantere Angebote bekommen und damit auch die Chance, sich ganz anders zu entfalten.
Ich sehe das etwas anders. Vielleicht auch weil ich schon sehr früh im Ausland und in sechs verschiedenen Sprachen gedreht habe. Und sehr viele internationale Produktionen gemacht habe, die in verschiedenen Ländern sehr erfolgreich waren. Dadurch habe ich natürlich auch viele Angebote aus Hollywood bekommen. Allerdings waren das keine schönen Rollen. Letztlich habe ich mich dann immer dazu entschieden, lieber in Deutschland zu drehen, weil mir die Rollen gefallen haben. Für mich steht die Rolle immer im Vordergrund. Abgesehen davon gefällt mir die familiäre Atmosphäre bei den Dreharbeiten in Deutschland oder Europa viel mehr, als das hierarchische System in den USA.
Fällt es Ihnen leicht sich auf Menschen einzulassen?
Ja, im kleinen Kreis immer. Im großen Kreis war es schwieriger. Ich war eher jemand, der offensiv mit seiner Schüchternheit umgegangen ist. Deshalb war es für mich schwierig, privat über mich selbst zu reden. Es ist etwas ganz anderes, sein Herz im Privaten vor fünf oder zehn Leuten zu öffnen – oder in einer Rolle vor 500 Leuten. Das bin dann ja nicht ich, sondern das ist die Figur. Heutzutage kann ich damit anders umgehen. Weil ich mir gestatte, über Fragen nachzudenken. Weil ich mir gestatte, nicht auf alles eine Antwort zu haben. Oder auch mal etwas Falsches zu sagen. Inzwischen bin ich bei mir angekommen. Ich bin jetzt ich selbst.
Was treibt Sie denn mehr an: Angst oder Lust?
Lust! Ich bin kein angstorientierter Mensch. Ich fühle mich eher von den Dämonen angezogen, von denen wir vorher sprachen. Wenn ich oben am Abgrund stehe, dann zieht mich die Tiefe sehr an. Das finde ich faszinierend. Ich bin wohl jemand, der sehr gern Grenzen austestet.
„Wenn sich zwei Liebende begegnen, dann sind das zwei raue Flächen, die sich mit der Zeit abschleifen und dann nur noch spiegeln.“ Was meinen Sie damit genau? Sind es nicht die Ecken und Kanten, die auch die Liebe interessant machen?
Die Ecken und Kanten, die wir haben, die müssen natürlich bleiben. Wenn zwei raue Flächen sich aneinander reiben, entsteht mit der Zeit eine glatte Fläche. Durch dieses Polieren entsteht dann auch eine Spiegelung. Und was ich an meinem Gegenüber kritisiere oder womit ich Probleme habe, ist doch oft nur eine Spiegelung meiner selbst. Nur wenn ich mich dem stelle, kann es gut zusammen weitergehen. Es ist doch so, dass viele Leute vor dieser Auseinandersetzung wegrennen, wenn es in einer Beziehung mal nicht klappt. Und oft hat das, was uns am Partner stört, gar nichts mit ihm zu tun, sondern eher mit uns selbst. Wenn meine Frau und ich in 23 Jahren Ehe über alle Höhen und Tiefen hinweggekommen sind, dann wächst man miteinander. Und es bleibt immer noch spannend.
Letzte Frage: Bei welcher Gelegenheit lügen Sie?
Mein Problem ist, dass ich sehr oft ein blaues Schienbein habe … weil meine Frau mich unter dem Tisch tritt, da ich auch bei einem Gespräch große Schwierigkeiten habe, nicht die Wahrheit zu sagen oder es auszuschmücken (lacht).