Im vorletzten Jahr hat der aus Sansibar stammende Autor Abdulrazak Gurnah den Literaturnobelpreis erhalten. Jetzt ist sein jüngster Roman auf Deutsch unter dem Titel „Nachleben“ erschienen. So wie jenes Buch, mit dem er den Durchbruch schaffte, „Das verlorene Paradies“, spielt er in Ostafrika zur Zeit des Kolonialismus.
Der 1948 auf Sansibar geborene und in Großbritannien lebende emeritierte Universitätsprofessor Gurnah zeigt eine mohammedanische Gesellschaft im Umbruch: Mit der Ankunft der Europäer ziehen neue Lebensweisen ein. Die einen passen sich an und dienen den neuen Herren, die anderen erheben sich gegen sie und beharren auf ihrer Eigenständigkeit.
Das damalige Ostafrika bilden heute die Staaten Tansania, Burundi und Ruanda. Um sich vor Aufständen widerspenstiger Untertanen zu schützen, hatte das Deutsche Reich eine Schutztruppe aus Einheimischen gebildet, sie gedrillt und abgerichtet. Die Soldaten riefen in den Dörfern Angst und Schrecken hervor, plünderten, vergewaltigten und brandschatzten.
Gurnah erzählt über diese Zeit anhand von Lebensgeschichten, die über zwei Generationen reichen. Seine beiden Protagonisten sind junge Männer, die sich unabhängig voneinander freiwillig zur gefürchteten Schutztruppe melden.
Abdulrazak Gurnah erzählt von seinem Heimatkontinent, wie man diesen nicht kennt. Aus der Sicht der Menschen, die vor 100 Jahren dort lebten. Dabei malt Gurnah nicht Schwarz-Weiß: Es gibt bei ihm grausame Deutsche, aber auch empfindsame, die sich, fern der Heimat, unglücklich in ihrer Machtposition über die Einheimischen fühlen. Der Autor eröffnet einen Kosmos, und doch gerät dieser manchmal blass. Mitunter erscheint der Stil etwas gefällig, aber man fragt sich, ob das eventuell auch an der Übersetzung liegen könnte. Dabei ist „Nachleben“ handwerklich gut konstruiert, umfangreich recherchiert und schön erzählt. Doch werden an Nobelpreisträger besonders hohe Erwartungen geknüpft ...