Eine aktuelle US-amerikanische Studie weckt neue Hoffnungen auf die erste sichere, schnelle, nicht hormonelle und von Nebenwirkungen freie Pille für den Mann. Allerdings wurde das medikamentöse Präparat bislang nur in Tierversuchen erfolgreich getestet.
Mal soll sie endlich kommen, dann wieder doch nicht. Die Rede ist von der Pille für den Mann, an der Wissenschaftler weltweit nun schon seit gut vier Jahrzehnten forschen. Die meisten Ansätze konzentrierten sich auf einen Eingriff in den männlichen Hormonhaushalt, um beispielsweise durch eine äußerliche Zuführung des Sexualhormons Testosteron die Produktion des gleichen körpereigenen Hormons und damit auch die der Spermien zum Erliegen zu bringen. Allerdings folgt die Bildung der täglich bis zu 100 Millionen Spermien keinem geregelten Zyklus. Sie muss also nicht nur einmal im Monat, wie beim Eisprung der Frau, sondern ständig unterbunden werden.
Dass die hormonelle Verhütung bei Männern dennoch nicht unmöglich ist, bewies eine 2008 von der Weltgesundheitsorganisation WHO gestartete internationale Studie. Bei 320 Paaren aus acht Ländern wurde damals ein Hormonpräparat getestet, das ähnlich wie die Anti-Baby-Pille der Frau funktionierte und die Spermienbildung in den Hoden verhinderte. Dabei wurde das Mittel, dessen Verhütungszuverlässigkeit ähnlich hoch wie die der Anti-Baby-Pille war, nicht oral verabreicht, sondern einmal monatlich per Spritze injiziert. Und doch wurde die Studie von der WHO 2011 abgebrochen, weil zehn Prozent der teilnehmenden Männer über Nebenwirkungen wie Niedergeschlagenheit, Aknebildung, Anklänge von Depressionen, Stimmungsschwankungen oder Libido-Verlust klagten. Viele dieser Nebenwirkungen dürften Frauen, die die Anti-Baby-Pille nehmen, nicht unbekannt sein, ganz zu schweigen von schlimmeren Folgen wie einem Thrombose-Risiko. Allerdings waren die Zulassungsregeln für Medikamente zur Zeit der Marktzulassung der Anti-Baby-Pille (in Deutschland 1961) deutlich lascher als heutzutage.
sAC-Inhibitoren haben Schlüsselfunktion
Außerdem erbrachten die meisten untersuchten Hormonpräparate für den Mann auch nicht den nötigen Sicherheitsnachweis. „Bei den hormonell basierten Präparaten war die Zuverlässigkeit letztlich nicht ausreichend“, sagt der Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Andrologie Dr. Christian Leiber, Oberarzt für Andrologie am Krefelder Alexianer-Krankenhaus. Zudem zeigten die Riesen der Pharmabranche bislang keinerlei Interesse daran, Projekte, die die Pille für den Mann erforschen, im großen Rahmen finanziell zu unterstützen.
Womöglich gibt es in naher Zukunft für den Mann in Sachen Verhütung doch noch eine interessante Alternative zu Kondom oder Sterilisation. Ein Team des Weill Cornell Medical Centers in New York, dem auch die Deutschen Dr. Melanie Balbach und Prof. Clemens Steegborn angehören, hat im Fachjournal „Nature Communications“ eine Studie veröffentlicht: In Tierversuchen mit Mäusen testeten sie eine nicht hormonelle Verhütungsmethode für den Mann.

Die biochemischen Grundlagen für den zentralen Ansatz der Studie, ein Enzym namens lösliche Adenylylcyclase (sAC), erarbeitete Prof. Steegborn mit seinen Mitarbeitenden an der Universität Bayreuth seit vielen Jahren. Dieses Enzym produziert bei vielen physiologischen Vorgängen einen für die Signalübertragung unentbehrlichen Botenstoff, das cyclische Adenosinmonophosphat (cAMP), das auch im Zusammenhang mit dem Fortpflanzungsprozess gebraucht wird. Enzym und Botenstoff sind verantwortlich für die Beweglichkeit und Reifung der Spermien und somit auch für deren Fähigkeit, bis zur Membran der weiblichen Eizelle vorzudringen. Letztendlich hängt die Fruchtbarkeit der Spermien wesentlich davon ab, dass das Enzym sAC aktiv ist. Das New Yorker Team stand daher zunächst einmal vor der Herausforderung, einen Wirkstoff zu finden, der die Aktivität des sAC vorübergehend ausschalten konnte. Dabei experimentierten sie mit diversen sAC-Inhibitoren, von denen sich der sogenannte Wirkstoff TDI-11861 bei den Tierversuchen in Sachen Empfängnisverhütung am besten auswirkte und überzeugende Ergebnisse lieferte. Entscheidend dabei war, dass nicht in irgendeiner Form zusätzlich in den Testosteronhaushalt oder die Spermienproduktion eingegriffen werden musste.
Weder die sexuellen Funktionen wie Potenz oder Ejakulation noch das Paarungsverhalten der Labormäuse wurden durch den Wirkstoff beeinträchtigt. Auch registrierten die Forschenden keinerlei Nebenwirkungen, selbst dann nicht, als das Mittel über sechs Wochen kontinuierlich verabreicht wurde. Mäusen, denen das Enzym sAC fehlt, sind Erkenntnissen der Wissenschaftler zufolge unfruchtbar. Auch wenn menschlichen Männern das Enzym sAC fehlt, kann das ein Grund für Infertilität sein.
Die Forscherinnen und Forscher planen als Nächstes, die Experimente mit anderen Tieren zu wiederholen, um dadurch eine breite Grundlage für klinische Versuche am Menschen schaffen zu können. Ob sich die Ergebnisse der Mäuse-Studie exakt auf den Menschen übertragen lassen und ob der Wirkstoff tatsächlich dafür taugt, eine spontane, nicht hormonelle Verhütungsmethode für den Mann zu werden, bleibt indes abzuwarten. Das Forscherteam zeigt sich optimistisch: „Unsere Studie demonstriert die Machbarkeit von zwei bahnbrechenden Paradigmen der menschlichen Verhütung: der nicht hormonellen Verhütung beim Mann und der spontan einnehmbaren medikamentösen Empfängnisverhütung. Unsere Strategie hat das Potenzial, mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu schaffen, und könnte – ähnlich wie damals die Antibabypille – die Familienplanung revolutionieren.“
„Wenn man es richtig pusht“, so die Einschätzung des nicht an der Studie beteiligten Gynäkologen Dr. Philipp Quaas vom Universitätsspital Basel, „könnte ein solches Medikament in fünf bis zehn Jahren zugelassen werden.“ Prof. Clemens Steegborn scheint in dieser Richtung einiges vorzuhaben, zumindest hatte er im Sommer 2022 schon mal mit fünf amerikanischen Wissenschaftskollegen das Start-up-Unternehmen Sacyl Pharmaceuticals gegründet, um die Entwicklung des Verhütungsmittels voranzutreiben. „Unsere neue vorklinische Studie stellt eine entscheidende Wegmarke für die Entwicklung eines hormonfreien Verhütungsmittels dar“, so Prof. Steegborn, „das zudem den Vorteil hat, dass es kurzfristig bei Bedarf in Tablettenform eingenommen werden kann. Es steht jetzt fest, dass die sAC-Inhibitoren bei dieser Form der Schwangerschaftsverhütung eine Schlüsselfunktion haben.“
Weitere Tierversuche sind geplant
Die Forschung rund um die Pille für den Mann scheint unterdessen Fahrt aufzunehmen. Ein belgisch-amerikanisches Wissenschaftler-Team um Maximilian Lyon von der Washington University in St. Louis veröffentlichte im Januar im Fachjournal „PNAS“ eine Studie, in der ein Wirkstoff vorgestellt wurde, der ebenfalls imstande ist, die Spermienbeweglichkeit vorübergehend auszuschalten. Die Substanz VU0546110 besitzt die Fähigkeit, den Kaliumkanal SLO3 in Spermien zu blockieren – mit dem Effekt, dass diese keine Kaliumionen mehr absondern können. Gerade Letzteres ist für das Durchdringen der Eizellen-Hülle absolut notwendig. Wenn dieser Prozess, in der medizinischen Fachsprache als Hyperpolarisation bezeichnet, aufgrund des Einsatzes eines SLO3-Hemmers nicht funktioniert, kommt es nicht zu einer Befruchtung.
Im Frühjahr stellte ein US-Forscherteam von der University of Minnesota ein nicht hormonelles Kontrazeptivum für Männer vor. Der Wirkstoffkandidat YCT529 konnte in Tierversuchen mit Mäusen eine Schwangerschaft zu 99 Prozent verhindern. Allerdings hatte das Präparat, das an das Protein Retinsäure-Rezeptor (RAR) alpha andockte (Retinsäure spielt durch Interaktion mit RAR-alpha eine wichtige Rolle bei Zellwachstum und Spermienbildung), den Nachteil, dass es erst nach rund vier Wochen oraler Zuführung seine Wirksamkeit entfalten konnte. Dennoch soll das Präparat bereits im Laufe des Jahres in einer klinischen Studie getestet werden.