Was passiert bei der Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis? Und welche Behandlungen sind Erfolg versprechend? Diese Fragen und viele mehr hat uns Dr. Berndt Rieger, Internist sowie Schilddrüsen- und Hormonexperte aus Plauen, beantwortet.
Herr Dr. Rieger, was genau ist Hashimoto-Thyreoiditis?
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine Autoimmunkrankheit, bei der Antikörper gegen die Thyreoperoxidase oder gegen das Thyreoglobulin und andere Strukturen der Schilddrüse vorliegen, die die Schilddrüse in ihrer Struktur und Funktion angreifen. Im schlimmsten Fall kommt es dabei zu einer Verkleinerung der Schilddrüse bis hin zur Auflösung. Dies kommt in einem Fall von 20.000 Fällen vor, ist also sehr selten. Häufig gibt es auch eine Rückbildung oder einen Stillstand der Entzündung mit Erholung der Drüse.
Warum genau sind Frauen etwa zehnmal so häufig betroffen wie Männer?
Frauen haben ein komplizierteres Hormonsystem als Männer, daraus ergeben sich diese Zahlen. Männer bilden dauerhaft Androgene, das schafft mehr Stabilität im Hormonsystem, das von Frauen in der zweiten Zyklushälfte mit Progesteron nicht so konstant unterstützt wird, weil der Gelbkörper oft ausbleibt oder schwach ausgeprägt ist.
Welche Ursachen kann Hashimoto haben?
Meist findet man mehrere Ursachen. Ich denke, dass eine Epstein-Barr-Virus-Infektion (Mononukleose, Pfeiffersches Drüsenfieber) zu Beginn der Pubertät ein häufiger Auslöser ist mit einer schleichenden, oft stillen Infektion über Jahre und Jahrzehnte hinweg, wo Autoantikörper im Nebenschluss zur Infektabwehr gebildet werden. Das verbraucht Vitalstoffe wie Vitamin D, Eisen oder B-Vitamine. Wenn da ein Defizit entsteht, kann das ungünstig auf den Verlauf einwirken. Die Besiedlung des Darms mit Mikroorganismen spielt auch eine entscheidende Rolle, weil von dort ausgehend das Immunsystem geschult wird und vor allem Bakterien darüber entscheiden, wie Nahrung verdaut und aufgenommen wird. Bei einer Störung der Darmbarriere kann das Eindringen von Nahrungsbestandteilen auch einen weiteren Entzündungsschub auslösen, weil das Immunsystem dadurch aktiviert wird. Ernährung und die Gabe von Probiotika haben hier eine hohe Bedeutung. Letztendlich gibt es ja die Frage, warum Frauen 90 Prozent der Betroffenen ausmachen, und da sieht man, dass die Gelbkörperbildungsstörung mit relativem Progesteronmangel einen sehr ungünstigen Einfluss nimmt. Daran ist auch die Stressbelastung beteiligt. Wenn Progesteron fehlt, kann auch Cortisol zur Stressbewältigung nicht ausreichend gebildet werden. Eine gute Nebennierenfunktion ist hier auch eine entscheidende Unterstützung gegen Entzündungen und Autoimmunreaktionen. Wenn sie beeinträchtigt wird, kann daraus ein Hashimoto-Schub entstehen.
Schilddrüse, Nebennierenrinde und Eierstöcke arbeiten hormonell zusammen. Die Schwäche einer der Drüsen wirkt sich auf die anderen aus. Man sieht häufig Entzündungen der Schilddrüse in dem Zusammenhang und kann positiv durch Stärkung der anderen Drüsen einwirken.
Wie häufig ist Hashimoto?
Es kommt darauf an, was man mit Hashimoto meint. Wenn alle Menschen mit Autoantikörpern gegen die Thyreoperoxidase (kurz: TPO-AK) dazugezählt werden, sind das zehn Prozent der Bevölkerung. Das Vollbild einer Hashimoto mit TPO-AK über 1.000/mcl, bei der Betroffene auch eine sichtbare Entzündung haben und in einer Unterfunktion landen, kommt weit seltener vor – etwa in einem Tausendstel der Bevölkerung. Davon erlebt höchstens jeder fünfte Patient eine weitgehende Auflösung der Schilddrüse.
Unter welchen Symptomen und Problemen leiden Ihre Patientinnen und Patienten am meisten?
Erschöpfung, mangelnde Stressbelastbarkeit und Durchhaltevermögen, Übergewicht, Zyklusstörungen, Libidoverlust und Haarausfall werden häufig berichtet.
Wie ist es zu erklären, dass Hashimoto-Betroffene oft Übergewicht bekommen?
Durch die Schilddrüsenunterfunktion in Kombination mit der ersten Stufe der Nebennierenschwäche, wo relativ viel Cortisol gebildet, aber unregelmäßig ausgeschüttet wird. Hohes nächtliches Cortisol erhöht das Gewicht.
Gibt es eine Hashimoto-Diät?
Unglücklicherweise gibt es hier keine pauschale Empfehlung, weil das Mikrobiom ganz unterschiedlich zusammengesetzt sein kann. Generell ist es eher günstig, Zucker, Süßstoffe, leicht aufspaltbare Kohlenhydrate sowie Klebereiweiße wie Gluten, Lektine und Kasein zu vermeiden und verschiedene Gemüsearten zu essen. Wenn man Reis isst oder Kartoffeln, dann am besten zwölf Stunden nach dem Kochen stehen lassen, damit resistente Stärke entsteht. Gluten und Lektine kann man durch Erhitzen entschärfen, also Brot beispielsweise toasten.
Wie kann man Hashimoto sicher diagnostizieren – sollte zum Beispiel auch immer eine Szintigrafie gemacht werden?
Ich denke, es reicht die Bestimmung der Antikörper in Verbindung mit einem Schilddrüsenultraschall aus, wo man sehen kann, ob die Antikörper auch konkret eine Entzündung hervorrufen. Das steht in Verbindung mit Beschwerden einer Unterfunktion der Schilddrüse, wo die peripheren Hormone fT3 und fT4 im Blut niedrig sind und das TSH erhöht ist. Daraus ergibt sich ja auch der Behandlungsauftrag: Man möchte mit der Behandlung die Antikörper senken, die Entzündung, die man sieht, zur Rückbildung bringen und die Unterfunktion durch Bildungs- und Umwandlungsstörung der Schilddrüsenhormone beheben.
Kann man Hashimoto auch bei normalen Schilddrüsenwerten und ohne Antikörper (seronegativ) haben, wie manchmal behauptet wird?
Es gibt viele Schilddrüsenentzündungen, die keine Antikörper haben. Ich würde das keine Hashimoto nennen. Normale Schilddrüsenwerte würden bedeuten, dass die Schädigung der Schilddrüse durch Entzündung noch nicht so stark ist.
Gibt es unterschiedliche Formen der Erkrankung?
Es ist ein buntes Bild. Wichtig ist zu sehen, dass bei einem akuten Entzündungsschub eine Schilddrüsenüberfunktion vorgetäuscht werden kann, die später regelhaft in einer Unterfunktion endet, weil dabei immer sehr viel Gewebe zerstört wird. Und dann existieren Verläufe, die schleichend sind und sich erst durch Unterfunktion bemerkbar machen. Ansonsten gibt es Entzündungen, die keine Hashimoto sind, worunter ich auch jene zähle, die wenig Antikörper haben und eher als viraler Infekt in der Schilddrüse sichtliche Schädigungen verursachen. Da sieht dann das Bild anders aus und auch die Behandlung setzt andere Schwerpunkte.
Wohin kann es führen, wenn die Erkrankung unbehandelt bleibt?
Meistens ist der Verlauf harmlos und mündet in einer funktionstüchtigen Schilddrüse, sodass man hinterher nur rekonstruieren kann, dass da mal was war. Einige allerdings haben auch bei Abklingen der Entzündung eine Funktionsminderung, die man behandeln sollte, weil eine Schilddrüsenunterfunktion viele Prozesse im Körper behindert und zu einer hormonellen Dysbalance führt.
Wie wird Hashimoto üblicherweise behandelt – wie sehen typische Therapien und Medikation aus?
Die konventionelle „Therapie“ sieht meist so aus, dass L-Thyroxin verschrieben wird, um einer Unterfunktion vorzubeugen oder diese auszugleichen.
Sie sind auch für alternative, pflanzliche Behandlungen bekannt. Wie sehen solche Behandlungen aus?
Individuell können verschiedene Maßnahmen zu einer Stabilisierung von hormonellen Dysbalancen, zur Stärkung des Immunsystems und zum Ausgleich von Vitalstoff-Mangelzuständen führen, um die Autoimmunaktivität zu lindern. Entscheidend ist der Hormonersatz mit aktiven Schilddrüsenhormonen, wie sie im Schilddrüsenextrakt von Rind und Schwein oder Vollschilddrüse enthalten sind. Es gibt etwa 30 Schilddrüsenhormone, die man schon aktiviert verabreichen kann, anstatt diese Wirkung vom Vorstufenhormon T4 im L-Thyroxin zu erwarten. Die Ernährung sollte so abgestimmt sein, dass gute Bakterien im Darm entstehen, die die Lebensfunktionen unterstützen. Ein Anheben von Vitamin D und Ferritin durch Gabe dieser Vitalstoffe hilft auch vielen.
Ist es bei Hashimoto-betroffenen Frauen mit Kinderwunsch problemlos möglich, schwanger zu werden, oder müssen die Werte zuvor erst durch bestimmte Maßnahmen in Ordnung gebracht werden?
Wenn die Eierstöcke genug Estradiol und Progesteronbildung gewährleisten, ist das kein Problem. Am Ablauf des Zyklus und möglichen Störungen kann man gut erkennen, ob das der Fall ist. Gibt es Störungen, würde ich diese beheben, damit eine Schwangerschaft eintreten und auch mit der Geburt eines gesunden Kindes abgeschlossen werden kann.
Gibt es Personengruppen, die für Schilddrüsenerkrankungen besonders gefährdet sind?
Jene, die Gene in sich tragen, die Schilddrüsenentzündungen begünstigen. Wenn man in einer Familie aufgewachsen ist, wo die Schilddrüse bei vielen Familienmitgliedern krankhaft verändert war, wird man wahrscheinlich einen Teil der Gene haben.
Kann man Hashimoto irgendwie „vorbeugen“?
In die Sonne gehen, bewegen, ursprünglich und natürlich essen, Stress vermeiden beziehungsweise gut bewältigen, ausreichend Jod mit der Nahrung aufnehmen. Es ist auch wichtig, sich zu erinnern, dass eine aktive Hashimoto glücklicherweise eine seltene Erkrankung ist und einige gute Maßnahmen bei Hashimoto den allermeisten schon gut helfen, die Intensität in kurzer Zeit abzumildern und der Heilung zuzustreben.