Mehr als 1.000 Stände locken am Camden Market die Kunden an. Hier im Londoner Künstlerviertel gibt es (fast) alles zu kaufen, was das Herz begehrt und der Geldbeutel hergibt.
Zwischen 250.000 und 500.000 Menschen bummeln Woche für Woche über den bekanntesten Markt der britischen Hauptstadt. Ruhiger geht es auf dem Maltby Street Market zu, auf dem sich Gourmets mit Leckereien versorgen und Londons Sterneköche einkaufen.
Auf dem Camden Market drängen sich Einheimische und Touristen an den Ständen vorbei. Als hier 1974 die ersten Händler ihre Waren verkauften, bauten sie jeden Sonntag aufs Neue ihre Stände auf. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wuchs der Markt heran und zu den fliegende Händlern gesellten sich feste Märkte in großen Hallen. Rund um die Camden High Street eröffnete ein Trödelladen nach dem anderen. Heute ist das ganze Revier ein einziger großer Markt. Das Angebot ist breit und reicht vom Porzellanteller mit dem Konterfei der jüngst verstorbenen Königin bis zur Tower Bridge aus Plastik, made in China. Neben massengefertigten Souvenirs wird aber auch Individuelles und Kreatives verkauft: Maßgeschneiderte Kleider in extravaganten Schnitten und Farben, Hüte mit verwegenem Design und Hosen mit Schlag. Oder Tische und Stühle aus Holz oder Metall, auf jeden Fall aber selbst gemacht. Antiquitäten, Uniformen aus alten Armeebeständen oder dem Theaterfundus, Schuhe aus der Zeit des Rokoko und das neueste Liegefahrrad aus einer Werkstatt aus Südengland. Auf dem Camden Market gibt es nichts, was es nicht gibt. Beliebt sind auch T-Shirts mit den Motiven des Graffitikünstlers Banksy, der mit viel Ironie die Londoner Szene beobachtet. In seinen Bildern werfen die Streetfighter nicht mit Steinen, sondern mit Blumen.
Selbst gemachte Möbel und Hosen
Ein Vietnamese hält an einem Kleiderstand ein Tuch hoch – eine improvisierte Umkleidekabine – hinter dem eine spanische Touristin eine Bluse in gewagter Farbkombination anprobiert. Rot und Orange zusammen steht nicht jedem. Doch die junge Frau aus Valencia kann sie tragen. 50 Pfund wechseln den Besitzer. Knapp 60 Euro für ein Einzelteil, da kann man nicht meckern.
Mark, der Händler am Nebenstand, ist gleichzeitig der Designer der Kleider, die er verkauft, und er näht sie auch selbst zusammen. Ausgangsmaterial für die eng auf den Körper geschnittenen Teile sind Männerhosen, die er zerschnippelt und wieder neu zusammensetzt. Mit seinen auffälligen Kreationen wolle er einen Gegenpol zum Einheitslook setzen, so Mark. „Das Geschäft läuft gut. Von der Wirtschaftskrise spüre ich nichts“, sagt er. Auch bei der Spanierin scheint das Geld noch locker zu sitzen. Als ich sie etwas später zufällig wiedersehe, trägt sie schon drei Einkaufstaschen in der Hand. Wenn das Shopping hungrig macht: Essensstände, Cafés und Restaurants gibt es an jeder Ecke. Das Angebot ist hier ebenso international wie auf dem Rest des Marktes. Und so beendet man seinen Einkaufsbummel mit einer kleinen kulinarischen Weltreise.
Eng und hektisch geht es auf dem Camden Market zu – auf dem Maltby Street Market im Stadtteil Bermondsey hat man dagegen viel Platz. Hierher kommen die Gourmets der britischen Hauptstadt, um sich mit den besten Rohwaren zu versorgen. Schnäppchen sucht man vergebens, Qualität hat ihren Preis. Die Händler reisen aus dem ganzen Land an. Nick Greef beispielsweise kommt von der vor der Südküste gelegenen Isle of Wight, um sein Biltong zu verkaufen. Dieses luftgetrocknete Fleisch kennt man sonst aus Südafrika. Greef produziert seines aus dem Fleisch freilaufender Rinder von seiner kleinen Insel.
Einige Meter weiter bietet ein bärtiger Händler spanischen Schinken an, hauchzart und unter dem Motto „slices of heaven“. Gleich nebenan verkauft ein norwegischer Einwanderer „organic smoked salmon“, umgerechnet für fast 100 Euro das Kilo. Doch der Preis schreckt hier niemanden. Im Gegenteil: Der Stand ist lange vor Marktschluss leergekauft. In Neal’s Yard Dairy kaufen all jene ihren Käse, denen die normale Supermarktauswahl schon lange nicht mehr reicht. Dutzende Sorten stehen zur Auswahl. Besonders beliebt ist der würzige Stichelton aus der gleichnamigen Käsehauptstadt des Landes. In The Snapery bekommt man das Brot zum Käse, dem Trend der Zeit entsprechend ist hier „Sauerteig König“. 2014 fing alles als Crowdfunding-Projekt an, heute zählt The Snapery zu den Ständen auf dem Maltby Street Market vor denen die meisten Kunden Schlange stehen.
Auch große kulinarische Vielfalt
Joel Ferrer Walo wollte eigentlich nur der Wirtschaftskrise in seinem Heimatland entfliehen. Heute verkauft er venezolanische Spezialitäten. Besonders stolz ist er darauf, dass er Arepas, die Nationalspeise seines Landes, nach London gebracht hat. In seiner Heimat füllt man die runden Maisfladen je nach Geschmack mit Fleisch, Gemüse oder Käse. Joel bietet seinen Kunden zusätzlich auch Füllungen mit Chorizo, gegrilltem Halloumi oder Avocado an. Die bunte Regenbogen-Arepa ist seine eigene Kreation. Dafür hat er das Maismehl mit dem Extrakt von Roter Bete, Spinat und Karotten vermischt. Am Geschmack ändert das gar nicht so viel, als Symbol für die Vielfalt auf dem Maltby Street Market passt der bunte Maisfladen aber ausgezeichnet. Eigentlich ist es ohnehin klar, weil Joel aber weiß was seine Kunden wünschen, erwähnt er es lieber einmal öfter: „Alle meine Speisen sind 100 Prozent glutenfrei“, sagt er. Um Prozentzahlen geht es auch bei The Kernel. Das Pale Ale der Mikrobrauerei mit einem ordentlichen Alkoholgehalt von 5,7 Prozent ist der Favorit der meisten Marktbesucher und für viele der perfekte Abschluss ihres Gourmet-Einkaufs.