In der Handball-Bundesliga tobt der spektakulärste Titelkampf seit langer Zeit. Noch haben vier Teams Meisterchancen. Richtungsweisend wird der kommende Spieltag mit drei Top-Duellen.
Superlative werden gerade im Sportjournalismus häufig inflationär benutzt, doch dieser 23. April in der Handball-Bundesliga kann völlig zu Recht mit „Super-Sonntag“ umschrieben werden. Die ersten sechs Teams der Tabelle spielen drei direkte Duelle aus, die richtungsweisend im ohnehin seit Wochen packenden Titelkampf sein dürften. Oder rückt alles noch enger zusammen? Die Fans sind jedenfalls elektrisiert – und auch die Verantwortlichen reiben sich angesichts der knisternden Spannung an der Tabellenspitze die Hände.
„Der THW Kiel hat jahrelang das Geschehen dominiert. Als Handball-Fan macht es aber deutlich mehr Spaß, wenn es so eng wie in dieser Saison zugeht. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Wettbewerb an der Spitze noch einige Jahre anhalten wird“, sagte Liga-Präsident Uwe Schwenker der „Handballwoche“. Die Bundesliga liefere aktuell „Spannung, hochklassige Spiele sowie ein großes Medien- und Zuschauerinteresse“, so Schwenker. Das seien „beste Voraussetzungen, um unsere Sportart zu präsentieren“.
Auf den Meistertitel dürfen acht Spieltage vor dem Saisonende noch fünf Teams hoffen, die in der Tabelle lediglich vier Punkte auseinander liegen: Rekordchampion THW Kiel, die Füchse Berlin, Titelverteidiger SC Magdeburg, die SG Flensburg-Handewitt und die Rhein-Neckar Löwen. „Der Titelkampf ist so spannend wie lange nicht mehr“, sagte Schwenker, „jedes Spiel und jedes Tor kann jetzt entscheidend sein.“ Deswegen heißt das Motto auch in den Topspielen am Sonntag: Verlieren verboten! Das gilt vor allem für Tabellenführer Kiel, für den eine Niederlage im brisanten Nordderby zu Hause gegen Flensburg gleich doppelt bitter wäre. Auf einen Kieler Ausrutscher hoffen die Berliner, die ihrerseits aber zunächst ihre schwere Hausaufgabe gegen die Löwen bewältigen müssen. Und die Magdeburger? Sie lauern auf Platz drei und spielen zu Hause gegen den in dieser Saison überzeugenden Tabellensechsten Hannover-Burgdorf.
Spannung pur also, aber gefühlt wurden die „Endspielwochen“ schon seit einiger Zeit eingeläutet. Ein solch enges Titelrennen ist einmalig in Europas großen Ligen, andernorts thronen ein oder maximal zwei Teams oft einsam an der Tabellenspitze. In Spanien zum Beispiel liegt der seit über einem Jahr ungeschlagene Topclub FC Barcelona fast uneinholbar vorne. Und noch etwas spricht für die Ausgeglichenheit in der Handball-Bundesliga: In den vergangenen sechs Jahren kürten sich vier verschiedene Mannschaften zum Meister.
FORUM gibt einen Überblick über die Form der Titelkandidaten:
THW KIEL
Wenn eine Mannschaft weiß, mit dem immensen Druck im sich zuspitzenden Titelkampf umzugehen, dann der THW Kiel. Das Team von Trainer Filip Jícha hat riesige Erfahrung damit, zur richtigen Zeit aufzudrehen und zu performen. Der beeindruckende Sieg gegen Verfolger Füchse Berlin Ende März und auch das spektakuläre 34:34 am vergangenen Spieltag gegen Magdeburg haben das bewiesen. „Auf die Frage, ob das nun ein gewonnener oder verlorener Punkt war, kann ich nur sagen: Es war ein super Spiel. Punkt“, sagte Jicha sichtlich beeindruckt nach dem Magdeburg-Match. THW-Geschäftsführer Viktor Szilágyi wertete das Unentschieden aber auch positiv für die Endabrechnung: „Dieser Punkt kann uns am Ende fehlen, aber auch Gold wert sein. Wir haben noch immer alles in unseren eigenen Händen.“ Doch um sich die punktgleichen Berliner und Magdeburger weiter vom Leib zu halten, darf sich Kiel wohl nur noch ganz wenige Punktverluste erlauben, vielleicht auch gar keinen mehr. Dass die „Zebras“ in dieser Saison ausgerechnet zu Hause schon relativ viele Punkte haben liegen lassen, findet Kreisläufer Patrick Wiencek „beschissen“. Im Heimspiel gegen den Nordrivalen Flensburg soll sich das nicht wiederholen, forderte Wiencek: „Es sind attraktive Spiele für die Zuschauer und für uns natürlich auch. Es geht um eine Menge.“ Sein Teamkollege Rune Dahmke sprach von „Hammerwochen“, die bevorstünden, das Meisterrennen sei „der Wahnsinn“ und höchst attraktiv. „Für die Zuschauer ist das schön und für uns eine ganz neue Situation, weil sich die Saison nun innerhalb von vier, fünf Wochen entscheidet.“
FÜCHSE BERLIN
Neben Kiel haben die punktgleichen Füchse die größten Titelchancen, angesichts des auf dem Papier leichteren Restprogramms setzten einige Experten sogar auf den Hauptstadtclub. Doch im Viertelfinal-Hinspiel der European League beim Schweizer Meister Kadetten Schaffhausen setzte es eine 33:37-Niederlage, die am Selbstvertrauen nagte. Der fest eingeplante Einzug ins Final-Four-Turnier wackelte bedenklich. „Das war von Anfang bis Ende zu wenig“, kritisierte Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning das Team: „Keine Bereitschaft in der Abwehr, sich gegenseitig zu helfen und gemeinsam das Ziel Final Four anzugehen. Ich bin maßlos enttäuscht von der Körpersprache unserer Mannschaft.“
Eine solche Leistung wird am Sonntag gegen die Löwen nicht reichen, für den ersten Meistertitel der Clubgeschichte ohnehin nicht. Schon beim knappen 33:32-Sieg zuvor in der Bundesliga gegen Hannover-Burgdorf hätten sich seine Spieler „viele technische Fehler“ erlaubt, haderte Trainer Jaron Siewert, „dann gab es einen Bruch, und es wird noch mal eng“. Seine Spieler zeigten sich einsichtig und gelobten Besserung. Die Unkonzentriertheiten „hätten uns fast das Genick gebrochen“, sagte Spielmacher Robert Weber, der aber auch das Positive sah: „Wir wollten diese Punkte unbedingt, sie sind überlebenswichtig im Titelkampf. Am Ende ist es egal, denn die zwei Punkte haben wir in der Tasche.“
SC MAGDEBURG
In Kiel waren die Magdeburger ganz nah dran, das Momentum im Titelkampf auf ihre Seite zu ziehen. Doch am Ende reichte es „nur“ zu einem Unentschieden, das zwar die Handball-Fans verzückte, aber nicht für glückliche Gesichter unter den Gästen sorgte. „Nein, ich bin nicht zufrieden“, sagte stellvertretend SCM-Rückraumspieler Gísli Þorgeir Kristjánsson: „Wir hätten das Spiel früher entscheiden müssen.“ Aber „unser Flow, der in der ersten Hälfte überragend war, war in der zweiten Halbzeit nicht mehr so gut“. Fakt ist: Am Sonntag gegen Hannover-Burgdorf muss Magdeburg zwingend gewinnen, um den Druck auf Kiel und Berlin hochzuhalten. Davor trat der amtierende Meister noch beim Pokal-Final-Four in Köln an. „Jetzt ist der Teil der Saison, in dem es um alles geht“, sagte Kristjánsson. An ihm konnten sich die Mitspieler zuletzt aufrichten, auch im Saison-Endspurt will der isländische Handball-Star vorangehen.
SG FLENSBURG-HANDEWITT
Die Flensburger haben ihre Bundesligaaufgabe vor dem Nordderby in Kiel erfolgreich gelöst, beim intensiven 30:27 beim SC DHfK Leipzig überzeugte das Team von Trainer Maik Machulla vor allem nach dem Seitenwechsel. Vor dem Duell mit dem Erzrivalen standen für Flensburg aber noch andere Highlight-Spiele auf dem Plan: Das Final-Four im DHB-Pokal und die Viertelfinalspiele in der European League gegen BM Granollers. „Das sind die Spiele, für die wir Handball spielen und auf die sich jeder freut“, sagte Rückraumspieler Franz Semper. Und Teamkollege Gøran Sögard meinte voller Vorfreude: „So etwas habe ich mit der SG noch nicht erlebt. Danach sind wir hoffentlich obenauf, es kann aber auch die große Ernüchterung einkehren.“
In die Wochen der Wahrheit ging Flensburg nicht mit der allerbesten Form, viele Siege muss sich der Club aus Norddeutschland hart erkämpfen. Das aber kann das Machulla-Team wirklich gut. Angeführt von Nationalmannschaftskapitän Johannes Golla lässt der Ex-Meister im Titelkampf nicht locker, auch wenn es zwischenzeitlich gar nicht gut aussah. „Man kann das positiv sehen“, sagte Golla optimistisch: „Wir sagen uns: Jetzt kommen die geilsten Wochen der Saison.“
RHEIN-NECKAR LÖWEN
Von allen Meisterkandidaten haben die Löwen die mit Abstand schlechteste Form. Ein Negativlauf von vier Niederlagen in Folge hat das Team komplett verunsichert – und die Titelchancen praktisch vernichtet. Beim jüngsten 37:42 gegen den VfL Gummersbach präsentierte sich das Team von Trainer Sebastian Hinze vor allem defensiv desolat. In der ersten Halbzeit kassierten die Löwen satte 24 Gegentore, was ein Negativrekord für den Club in der Bundesliga bedeutete. „Ich bin ratlos, warum wir es in der ersten Halbzeit nicht geschafft haben, es auf die Platte zu kriegen“, sagte Hinze hinterher völlig gefrustet und auch ein wenig hilflos: „Das tut brutal weh, es zieht sich durch die letzten Spiele. Wir müssen das jetzt lösen.“
Als Problemlöser ist eigentlich Juri Knorr prädestiniert, doch auch der Nationalspieler läuft seit Wochen seiner Topform hinterher. Der Spielmacher der DHB-Auswahl lässt sich von der aktuellen Hektik seiner Mitspieler oft anstecken, anstatt mit kühlem Kopf den richtigen Rhythmus vorzugeben. Gegen Mannheim sprechen nicht nur die vier Punkte Rückstand auf Kiel bei einem absolvierten Spiel mehr auf dem Konto. Auch das Restprogramm könnte schwerer nicht sein: Nach dem Duell bei den Füchsen empfangen die Löwen noch Kiel (3. Mai) und Magdeburg (14.). Auf der anderen Seite könnte sie eine Siegesserie mit etwas Schützenhilfe doch wieder nach oben spülen. Auf die Zuschauer in der Mannheimer SAP Arena ist zumindest Verlass: Bei der Niederlage gegen Ex-Meister Gummersbach sorgten 11.534 Besucher für einen neuen Zuschauer-Rekord der Löwen in dieser Saison, der Schnitt erhöhte sich auf über 7.000. Damit belegt der Club Rang drei in der Zuschauer-Tabelle. Das Ranking führt auch hier Kiel an.