Der Ukraine-Krieg und Chinas Drohungen schweißen Europa und Ostasien zusammen
Was haben der Ukraine-Krieg und das immer robustere Auftreten Chinas in Ostasien gemeinsam? Die Frage ist nur auf den ersten Blick abwegig. Denn Europa ist in seiner Binnensicht gefangen. Seit dem 24. Februar 2022 gibt es fast nur ein Thema: der Ukraine-Krieg und die Folgen. Durch die Abnabelung vom russischem Gas sind die Energiepreise nach oben geschossen, die Inflationsraten haben zeitweise zweistellige Höhen erklommen.
Einen anderen großen Konfliktherd hat Europa noch nicht richtig auf dem Radarschirm: Das immer aggressiver auftretende China alarmiert die Staaten im Indopazifik – vor allem Südkorea und Japan. Das betrifft zum einen Pekings Hinnahme der immer schärfer werdenden Nuklear-Drohungen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un. Der Vorwurf der Südkoreaner und Japaner: China lässt den Atom-Desperado Kim gewähren. Dabei hätte Peking aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit des bettelarmen Nordkoreas die Mittel, Kim in die Schranken zu weisen.
Zweitens werden Chinas Drohungen Richtung Taiwan immer martialischer. Aufwendige Militärmanöver sollen einschüchtern und die Fähigkeit demonstrieren, dass die Volksrepublik die „abtrünnige Provinz“ jederzeit besetzen kann. Gleichzeitig stößt Peking im Südchinesischen Meer die Anrainerstaaten vor den Kopf: In dem rohstoffreichen Gebiet werden Inseln künstlich aufgeschüttet, Militärbasen errichtet. „China first, Völkerrecht second.“
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat auf ihrer Ostasienreise die Sorgen und Nöte in der Region hautnah mitbekommen. Die Visite nach China, Südkorea und Japan hat ihren Blick für diesen Teil der Welt geschärft. Für die Nachbarländer der Volksrepublik besteht eine direkte Verbindung zwischen Russlands Einmarsch in der Ukraine und dem Gefühl der Bedrohung durch Peking. Ein Diplomat in Tokio hat es so ausgedrückt: „Was heute in der Ukraine geschieht, kann morgen in Taiwan passieren.“
Die beiden Konfliktherde in der Ukraine und Ostasien hängen auch deshalb zusammen, weil Russland und China eine „felsenfeste“ Beziehung haben. Die Volksrepublik liefert zwar (noch) keine Waffen an Moskau, aber sie teilt das anti-westliche Narrativ des Kremls.
Nicht nur Europa, auch Ostasien hat eine „Zeitenwende“. Deshalb wirbt Baerbock zu Recht für ein neues strategisches Bündnis. Es ist eine durch demokratische Werte verbundene Staatengemeinschaft, die man als den neuen Westen bezeichnen könnte. Sie hat sich dem Ziel verschrieben, die regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen. Die einseitige Veränderung von Grenzen gilt als Tabu und wird sanktioniert. Darauf haben sich die G7-Außenminister bei ihrem Gipfel im japanischen Karuizawa in einem glühenden Bekenntnis verpflichtet.
Diese europäisch-amerikanisch-ostasiatische Gemeinschaft schlägt sich nicht nur in Worten, sondern bereits in Taten nieder. Länder wie Südkorea und Japan beteiligen sich an den Sanktionen gegen Russland. Im Gegenzug verurteilen Europa und vor allem Deutschland Chinas militärische Muskelspiele um Taiwan. Zudem macht die Bundeswehr in diesem Sommer beim internationalen Manöver „Talisman Sabre“ in Australien mit. 2024 entsendet sie ein Marineschiff zur Überwachung der Sanktionen gegen Nordkorea in den Indopazifik.
Baerbock hat auf ihrer Ostasien-Visite wichtige Akzente gesetzt. Sie hat den Ländern in der Region, die einen immer größeren Anteil der Weltwirtschaft einnehmen, Wertschätzung vermittelt. Die Reise steht auch für eine Horizonterweiterung der deutschen Außenpolitik.
Die Politik hat hier allerdings noch einige Hausaufgaben zu machen. Zunächst sollte die Bundesregierung zügig ihre neue China-Strategie vorlegen. Hier gab es bislang noch Abstimmungsbedarf zwischen dem Außenministerium, das einen größeren Fokus auf Menschenrechte legte, und dem Kanzleramt.
Darüber hinaus muss die Bevölkerung mitgenommen werden. Eine Schlüsselfrage: Was bedeutet es, wenn der Westen im Falle einer Taiwan-Invasion Sanktionen gegen China verhängen würde? Die Volksrepublik ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands – die Unternehmen mit China-Geschäft würden leiden. Das ist kein Argument, wirtschaftliche Strafmaßnahmen nicht zu verhängen. Aber die Konsequenzen müssen offen diskutiert werden.