Der geplanten schwarz-roten Regierung von Kai Wegner (CDU) und Franziska Giffey (SPD) steht ein umfangreicher Hürdenlauf in der Metropole bevor. Mammutaufgaben dürften unter anderem Wohnungsnot und Verkehrsprobleme sein.
Joana Vau sitzt zwischen Kartons und Koffern hinter einem Schaufenster in Berlin-Kreuzberg. Dabei hält die Künstlerin ein Schild mit der Aufschrift „Suche Wohnung“ in den Händen. So will die Berlinerin auf ihre Wohnungsnot aufmerksam machen. Ihr Untermietverhältnis ist beendet und jetzt sucht sie seit Längerem nach einer neuen, bezahlbaren Unterkunft. Bislang vergeblich. Deshalb hat sie ihre Wohnungsnot nun kurzerhand in eine mehrtägige Kunstperformance umgewandelt. So wie Joana Vau ergeht es vielen Berlinerinnen und Berlinern. Sie suchen seit Monaten nach bezahlbarem Wohnraum. Nach offiziellen Angaben zogen Anfang vergangenen Jahres etwa 26.000 Menschen von einem temporären Untermietverhältnis zum nächsten, übernachteten auf den Sofas von Bekannten oder schliefen in Notunterkünften. Ein WG-Zimmer kostet im Sommersemester 2023 durchschnittlich 640 Euro, wie das Moses-Mendelssohn-Institut in Kooperation mit dem Immobilienportal WG-gesucht.de vor Kurzem in einer Studie veröffentlichte. Die Hauptstadt sei damit die zweitteuerste Stadt nach München. Experten schätzen, dass Berlin mehr als 100.000 Wohnungen bauen müsste, um den Bedarf zu decken.
Berlin zweitteuerste Stadt nach München
Das offenkundige Wohnungsproblem zu lösen, gehört zu einer der Mammutaufgaben, vor denen die geplante Berliner Koalition von Kai Wegner (CDU) und Franziska Giffey (SPD) in den kommenden Monaten und Jahren stehen wird. „Den Neubau bezahlbarer Wohnungen treiben wir gemeinsam und mit sehr ambitionierten Zielsetzungen voran“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die Rede ist von durchschnittlich bis zu 20.000 neu gebauten Wohnungen im Jahr, davon bis zu 5.000 Sozialwohnungen. Die dafür „notwendigen Weichenstellungen im Bereich Planung und Genehmigung“ will man vorantreiben. Ein ambitioniertes Ziel – das wissen die beiden Polit-Akteure. Daher werde dieses Ziel „angesichts der aktuell schwierigen und krisenhaften Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft“ bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2026 nicht sofort erreichbar sein. Mehr als ein Viertel der neu zu bauenden Wohnungen soll von den landeseigenen Wohnungsgesellschaften gestemmt werden. Auch ein neuer Volksentscheid zur Randbebauung des Tempelhofer Felds soll her. Im Jahr 2014 sprachen sich nur 30 Prozent der Berlinerinnen und Berliner dafür aus. 64 Prozent hatten damals dagegen gestimmt. Doch das Stimmungsbild hat sich fast mittlerweile fast um 180 Grad gedreht: Laut „Berlin-Trend“ sprachen sich im Jahr 2019 immerhin 59 Prozent der Hauptstadtbewohner dafür und nur noch 38 Prozent dagegen aus. Seitdem sind die Umfragen stabil. Mehr als die Hälfte der Stadtbewohner ist dafür. Heikel ist die Immobilienlage in der wachsenden 3,8-Millionen-Stadt auch für neue Unternehmen im verarbeitenden Bereich. Denn auch Büro- und Gewerbeimmobilien sind rares Gut in Berlin.
Ein weiteres Hindernis für die schwarz-rote Regierung ist die Verkehrsbelastung in der Stadt. Der derzeit noch amtierende Finanzsenator Daniel Wegener (Bündnis 90/Die Grünen) hatte vergangenes Jahr den öffentlichen Verkehr (ÖPNV) von U-Bahnen, Bussen und S-Bahn noch mit zusätzlichen 400 Millionen Euro unterstützt. Damit sollten unter anderem neuere und modernere Wagen bestellt und die Taktverdichtung der Fahrzeuge verbessert werden. Auch die derzeitige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey setzt auf eine Unterstützung des ÖPNV. Bei ihrem Wahlkampf im Februar hatte sie auf die nahtlose Weiterführung des 29-Euro-Tickets gesetzt. Das ist derzeit aber nicht umsetzbar. Stattdessen wird ab Mai ein monatliches, nunmehr deutschlandweites 49-Euro-Ticket erhältlich sein. Eine Weiterführung des bisherigen 29 Euro-Tickets wäre für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) einem Bericht der „Berliner Morgenpost“ zufolge auch „erst Januar 2024 realistisch umsetzbar“.
Auf die Mobilitätswende setzte Giffeys Politikpartner Kai Wegner bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags Anfang April. Auch er will sie durch den Ausbau des ÖPNV erreichen. Zudem soll es neue Radwege geben. „Wir wollen aber auch dafür sorgen, dass Menschen mit dem Auto ebenfalls noch in dieser Stadt ihren Platz haben“, sagte der CDU-Landesvorsitzende. Was den Zank um die teilgesperrte Friedrichstraße betrifft, will Kai Wegner einem Bericht von „Inforadio“ zufolge eine Lösung finden. Der jetzige Zustand könne nicht bleiben, sagte er. Das stehe auch im Koalitionsvertrag. Kai Wegner will gemeinsam mit Anwohnern und den Gewerbetreibenden überlegen, wie die Friedrichstraße in Zukunft gestaltet werden kann.
Ähnliche Vorstellungen hat Manja Schreiner (CDU), die als neue Senatorin für Umwelt, Mobilität und Klimaschutz im Gespräch ist. Ihre Perspektive richtet sich auf ein breites Spektrum der Mobilität. „Über der Erde braucht es neben guten Straßen, Rad- und Fußwegen einen starken ÖPNV“, sagte die Unionspolitikerin. Wichtig sei ihr, „dass wir einen fairen und sinnvollen Ausgleich zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern erreichen“. Auch sie spricht sich gegen „Verbote und Bevormundung“ aus und setzt auf „innovative Angebote und gute Alternativen“. „Berlin wird nur dann eine sichere und hochmobile Metropole sein, wenn Interessen ausgeglichen und nicht gegeneinander ausgespielt werden“, heißt es im Koalitionsvertrag von den Berliner Sozialdemokraten und der Union. Ob dieser Interessenausgleich gelingt und zu welchen Kosten, wird sich zeigen. Gerade in Sachen Verkehrsmittelwahl scheinen die Interessen der Berlinerinnen und Berliner oft sehr entgegengesetzt zu sein.
Zukunftsweisende Verwaltung für Berlin
Auf der langen Liste der angestrebten Veränderungen steht auch die Verwaltungsreform. „Wir wollen einen Schwerpunkt darauf setzen“, sagte der CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner. Angestrebt werden „klare Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken.“ Man wolle „eine zukunftsweisende und lernende Verwaltung, die agil handelt und resilient aufgestellt ist“. Schon seit Jahren stellt die Berliner Verwaltung ein Monstrum dar, an dem Bürger und Gewerbetreibende verzweifeln. Einen neuen Pass zu beantragen oder einen Wohnsitz anzumelden, kann mitunter mehrere Wochen dauern. Laut Kai Wegner und Franziska Giffey sollen kleine Verwaltungssitze in den Stadtteilen und Kiezen als moderne Servicestellen fungieren. Das Prozedere soll digitaler und weniger bürokratisch werden.
Doch damit diese und viele andere Punkte im 135 Seiten starken Koalitionsvertrag überhaupt umgesetzt werden können, müssen die Mitglieder von SPD und CDU zustimmen. Die Basisabstimmung der Sozialdemokraten hat per Brief Anfang April begonnen. Die Auszählung ist für den 23. April geplant. Im Anschluss daran wird das Ergebnis mitgeteilt. Am 24. April schließlich will die CDU auf einem Parteitag darüber abstimmen.