Zehn Tage gaben sich Klimaaktivisten aus ganz Deutschland mit ihren Aktionen in Berlin buchstäblich die Klinke in die Hand. Die Hauptstadt sollte zum absoluten Stillstand gebracht werden. Doch sie sind sich selbst untereinander nicht ganz grün.
Isabella kämpft an diesem völlig verregneten Vormittag vor dem Hauptverwaltungsgebäude des Chemiegiganten Bayer mit ihrem Bienen-Kostüm. Nach der erzwungen Pause durch die Corona-Maßnahmen ist sie nach drei Jahren endlich wieder bei den Aktivistentagen hier in Berlin dabei. Doch ihr Kostüm ist in der Zeit scheinbar etwas eingelaufen. Mit Mühe bekommt sie das Flügelrückenteil über die Schultern. Eine Aktivistin, als Fledermaus verkleidet, hilft Isabella bei der Vollendung zur Demo-Biene. Gemeinsam mit anderen, die als Kühe, Hasen, Eis- oder Waschbären verkleidet sind, geht’s zur Demo.
Straßenblockade statt Latsch-Demo
Den Mitgliedern der Umweltgruppe Extinction Rebellion geht es hier vor der Bayer-Zentrale im Berliner Wedding vor allem um den Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat. Bayer hatte den US-amerikanischen Agrar-Bio-Chemie-Konzern Monsanto vor fünf Jahren übernommen. Monsanto stellt das umstrittene Glyphosat her. Seitdem fordert vor allem Extinction Rebellion, die Produktion umgehend einzustellen. Der Vorwurf: Dieses Unkrautvernichtungsmittel würde nicht nur ungeliebte Pflanzen, sondern vor allem die Mikroorganismen in den Böden zerstören. In der Folge würden auch Insekten und andere Kleintiere vernichtet.
Während es vor dem Konzerngebäude friedlich zugeht, ist die Polizei keine drei Kilometer weiter wieder im Großeinsatz. Klima-Aktivisten haben den oberen Rundum-Balkon des Edelhotels „Adlon“ direkt am Brandenburger Tor geentert. Ein riesiges Plakat wurde herabgelassen, dazu Rauchtöpfe gezündet. Dunkle Rauschschwaden steigen auf. Eine spektakuläre Aktion, die allerdings in den Reihen von Extinction Rebellion sehr kritisch gesehen wird.
„Das hat nichts mehr mit zivilem Ungehorsam zu tun, wie ich ihn verstehe, sondern das ist definitiv Hausfriedensbruch. So erreicht man zwar eine breite Öffentlichkeit, aber nur wenig Verständnis und schon gar keine Sympathien in der Bevölkerung.“ Extinction-Aktivist Elmar Kevl aus Bonn ärgert am meisten, dass obendrein mehrere Rauchtöpfe gezündet wurden. „Wir wollen weniger CO²-Ausstoß, sind gegen Silvester-Feuerwerk und machen dann selber welches“, so der 53-jährige Gymnasial-Geschichtslehrer im FORUM-Gespräch. Ein Streitpunkt, der zwischen den einzelnen Umweltgruppen schon seit Jahren diskutiert wird.
Was ist ziviler Ungehorsam und inwieweit dürfen Unbeteiligte davon betroffen sein? Aktivisten, die seit über einem Jahr in vielen deutschen Großstädten, vor allem aber in Berlin, Autobahnen blockieren, halten diese Aktionen für ihre „letzte Möglichkeit“, um auf die unmittelbar bevorstehende Klimaapokalypse hinzuweisen. Darum auch ihr Name: Letzte Generation. Sie halten „Latsch-Demos“ wie von Fridays for Future oder Klimacamps von Extinction Rebellion für vergebene Klimakampf-Mühe. „Das macht überhaupt keinen Sinn, weil wir in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurden. Doch seitdem regelmäßig von Megastaus durch unsere Straßenblockaden in den Nachrichten berichtet wird, kriegen die Menschen mit, dass wir den Klima-Kipppunkt längst erreicht haben und uns eine Katastrophe droht, wenn nicht jetzt umgehend etwas passiert.“ Henning Jeschke ist Mitbegründer der Letzten Generation und weiß wovon er spricht, wenn es um Nichtbeachtung geht. Vor zwei Jahren gehörte er zum Hungercamp seiner Gruppe.
Mitten im Bundestagswahlkampf wollten sie die damaligen Kanzlerkandidaten, Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) zu einem Klimagipfel ins Hungercamp zwingen. Das misslang jedoch gründlich. Politik lässt sich nun mal nicht erpressen. Nach dem gescheiterten Hungerstreik, der auch für Henning Jeschke im Krankenhaus endete, machte er, neben anderen seiner Mitstreitenden, damals klar, „wir müssen hier mit härteren Aktionen auftreten, so bringt das nichts“. Als FORUM im September 2021 über die Radikalisierung der Letzten Generation berichtete, wurde dies von der Politik als übertrieben abgetan. Keine vier Monate später gingen die Straßen- und Autobahnblockaden los.
Auch in diesen Klima-Aktionstagen Mitte April sorgte die Letzte Generation mit vielen Straßenblockaden für das wohl größte Aufsehen. Dabei blockierten sie auch eine Demonstration der Landwirte, die sich wiederum schon von Berufs wegen als die wahren Umwelt-Aktivisten verstehen.
Sie waren erneut auf dem Weg zu Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), um eine Petition gegen EU-Agrar-Reformpläne zu übergeben. Doch nun standen sie mit ihren Treckern im Stau, da die Aktivisten auf der Straße klebten. Unter anderem sprechen sich die Bauern „gegen ein Verbot des Einsatzes von Glyphosat aus“. Was bei den anderen Aktivisten-Gruppen auf überhaupt kein Verständnis stößt. Ein weiterer Widerspruch, der die Umweltdebatte seit Jahren durchzieht wie ein roter Faden.
Von der Öffentlichkeit noch wenig beachtet, hat sich nun noch eine weitere Klimagruppe dazu gesellt, allerdings aus einer Richtung, die niemand so Recht auf dem Schirm hatte. Am Tag der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland feiert auf der einen Seite des Brandenburger Tores Greenpeace dieses „epochale Ereignis“. Selbst Jürgen Trittin ist vorbeigekommen. Der ehemalige Bundesumweltminister im ersten Kabinett Schröder sieht sich in seinem jahrzehntelangen politischen Kampf bestätigt. Was allerdings nur wenige Schaulustige interessiert. Es regnet wieder mal in Strömen.
Klimarettung von FFF bis Nuklearia
Zum gleichen Zeitpunkt auf der anderen Seite des Wahrzeichens der deutschen Wiedervereinigung, ist Nuklearia angetreten. Hier mit großer Bühne. Die Vertreter sind für Atomkraft und verstehen sich selbst ebenfalls als die wahren Klimaaktivisten. Unter ihnen ist Dustin Laichach, der eigentlich gerade im Abitur-Stress ist. Aber der Kampf fürs Klima durch Fortführung der Atomkraft ist ihm persönlich viel zu wichtig. Auf FORUM-Nachfrage, ob er mit seinen 17 Jahren nicht besser bei Fridays for Future aufgehoben wäre, sprudelt es aus dem jungen Mann nur so heraus. „Nein, weil das bei denen alles vorne und hinten nicht durchdacht ist. Wir von Nuklearia sind die wirklichen Kämpfer für die Dekarbonisierung der Welt. Atomkraft verursacht keine CO²-Emissionen und garantiert Energiesicherheit auf weitere Jahrzehnte, so wie in den letzten 40 Jahren. Außerdem muss diese Zukunftstechnologie weitergedacht und entwickelt werden. Ich denke da zum Beispiel an Kernfusionsreaktoren, die fast keine Radioaktivität mehr produzieren, dazu …“. Der junge Pro-Atom-Klimakämpfer ist kaum zu bremsen in seiner Begeisterung.
Auch einige Aktivisten von Fridays for Future, die wenige Hundert Meter entfernt ebenfalls eine eigene Aktion abhalten, sind rübergekommen. Sie geben ihre Debatte mit Pro-Atom-Klimaretter Dustin aber schnell wieder auf. Zumindest im Kern ist man sich hier einig: Nur mit einem Totalaussteig aus den fossilen Energien lässt sich die Klimakatastrophe überhaupt noch aufhalten. Woher dann allerdings der Strom kommen soll, da gibt es zur Zeit mehr Fragen als schlüssige Antworten.
Die Antwort liefert womöglich das alte Sprichwort, wonach alle Wege nach Rom führen. Aber erst einmal wird weiter heftig gestritten.