Bière de Lorraine, nach alten Rezepten gebraut, dafür stehen Jean-Aimé Rugiero und seine „Brasserie Saint-Nabor“. 25 Sorten Bier finden sich immer im Portfolio, je nach Jahreszeit gibt es weitere Spezialitäten.
Eine schwere Krankheit veranlasste Jean-Aimé Rugiero, sein Leben grundlegend zu ändern. Das brachte ihm nicht nur einen Großteil seiner Gesundheit wieder. Er gewann auch einen gehörigen Teil an Lebensqualität zurück, Anerkennung und zumindest bislang wirtschaftliche Unabhängigkeit. „Eine schwere Variante der Lyme-Borreliose setzte mir fürchterlich zu“, erzählt der Lothringer Brauer Jean-Aimé Rugiero. „Die gesundheitlichen Einschränkungen, verursacht durch die Bakterien einer Zecke, die mich biss, fesselten mich für ein Jahr ans Bett und ruinierten meinen Magen und meinen Darm. Ich war arbeitsunfähig und musste eine strenge Diät einhalten. Zudem sollte ich strikt darauf achten, keine Zusatzstoffe in Lebensmitteln zu mir zu nehmen. Die einhergehende körperliche Schwäche versuchte ich durch kleine, damals für mich kraftraubende Übungen zumindest ansatzweise zu kompensieren.“
Erste Anfänge in der heimischen Garage
Jean-Aimé war damals bereits dreifacher Vater und ihm wurde von Tag zu klarer, dass er etwas unternehmen musste. Er wollte seinen kleinen Kindern „ein lebender Vater sein“, wie er es ausdrückt. Zum Zeitvertreib begann der Rekonvaleszent in seiner Garage mit Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und einer Reihe weiterer Naturprodukte zu laborieren, um eine trinkbare Gerstenkaltschale zu brauen. In seinem Tun unterstützt von seiner Frau, braute er fast zwei Jahre lang in dieser beengten Räumlichkeit den ein oder anderen Hektoliter Bier ohne jegliche Zusatzstoffe, das von Freunden und ersten Kunden gern verkostet wurde.
Nach mehreren Schulungen zum Brauer gründete er 2016 die Brasserie Saint-Avold und bezog Räumlichkeiten in der kleinen französischen Gemeinde Kammern im Arrondissement Forbach-Boulay-Moselle, nahe des Kantons St. Avold. Hier braute Jean-Aimé Rugiero mit zwei Mitarbeitern zwei Jahre lang Biere ohne chemische Zusätze in 100-prozentiger Handarbeit. 2020 bezog die kleine Brasserie größere Räumlichkeiten in Falkenberg, südwestlich von St. Avold, und nannte sich in Brasserie Saint-Nabor um. Nabor war römischer Soldat und ein christlicher Märtyrer (gestorben um das Jahr 304), der während der Christenverfolgung durch Kaiser Diokletian gemeinsam mit seinem Gefährten Felix nahe Mailand enthauptet wurde. Beide werden heute noch verehrt und gelten als Schutzpatrone gegen Kinderkrankheiten. Nach Nabor ist die denkmalgeschützte Abteikirche in St. Avold benannt.
Die Biere der Brasserie fanden nicht nur Liebhaber unter den erfahrenen Kennern besonderer Gerstensäfte in der Region. Die Nachfrage seiner Kunden in ganz Frankreich sowie im europäischen Ausland sorgte dafür, dass er drei Mitarbeiter einstellen konnte. Im Februar 2023 schließlich bezog Brauer Rugiero mit sechs erfahrenen Mitarbeitern eine 1.800 Quadratmeter große Immobilie in Freyming-Merlebach nahe der saarländischen Landeshauptstadt Saarbrücken.
Jean-Aimés Engagement im sozialen Bereich ist vorbildlich. In der ohnehin strukturschwachen Region bildet er junge Brauer aus und fördert die Aus- und Weiterbildung eigener und neuer Mitarbeiter. Bis 2021 erledigte das Brauerei-Team alle Arbeitsschritte von Hand. Auch die Flaschen-Abfüllung – ein recht mühsames Prozedere – wurde auf einfachste Weise gehandhabt. Seit 2022 erledigt eine Abfüllanlage zumindest diesen aufwendigen Arbeitsschritt. Die Grundstoffe, die Bierbrauer Rugiero braucht, stammen aus regionalen Quellen. Seinen Hopfen bezieht er fast ausschließlich aus Frankreich.
Bekanntermaßen gehört das Elsass zu den ältesten Hopfen-Anbaugebieten Frankreichs. Die Sorte „Mistral“, ein Aromahopfen, den vorrangig Craft-Brauer und Hopfenstopfer (Kalthopfung) verwenden, steht für fruchtige Biere und stammt aus dem Elsass. Die Aromen von Passionsfrucht, Mango und Kumquat – eine Zwergpomeranze (Bitterorange) aus der Gattung der Zitruspflanzen – verleihen dem Bier eine äußerst frische Note. Auch die Barbe Rouge, eine Elsässerin mit Aromen von roten Früchten, feiner Erdbeere und schwarzen Kirschen, nutzt der Bierspezialist für eine Reihe seiner Erzeugnisse.
Getreide-Rückstand wird zu Tierfutter
Seine Varianten, die dem in Deutschland üblichen Pilsner und dem britischen Ale im Geschmack sehr ähnlich sind, würzt er mit der britischen Hopfensorte Brewers Gold. Dies sind Biere mit festem Schaum, goldgelber Farbe, fruchtig-frischem Hopfenaroma und einem aromatischen Malz-Abgang. Ferner greift er auch auf Aroma-Hopfen aus den deutschen Anbaugebieten Tettnang und der Hallertau zurück. Seine Braugerste bezieht er in der Regel aus der ältesten belgischen Mälzerei La Malterie du Château in Beloeil.
Wie bei jedem Brauprozess beginnt das Brauer-Team mit dem Einmaischen der Braugerste. Langsam, in mehreren Schritten (zum Beispiel 55 Grad, 63 Grad, 77 Grad Celsius) wird die Maische – unter Brauern auch Sud genannt – bei steigenden Temperaturen langsam erhitzt. Dabei werden Enzyme im Getreide angeregt, die enthaltene Stärke in Zucker umzuwandeln. Ebenso werden Aromen und Feststoffe aus dem Malz gelöst, die dem späteren Bier seinen körperreichen Geschmack verleihen.
Einmal auf 78 Grad Celsius gebracht, deaktiviert die Temperatur die im Malz befindlichen Enzyme. Dabei achtet der Braumeister darauf, die Maische niemals auf mehr als 80 Grad Celsius zu erhitzen, da sonst Gerbstoffe gelöst werden, die dem Biergeschmack am Ende nicht guttun. La Drêches, der Treber oder die Schlempe, wie man mancherorts zu sagen pflegt, wird durch einen Filter abgeseiht. Der Getreiderückstand ist aber kein Abfallprodukt, sondern findet weiterhin als Tierfutter Verwendung. Eine Versuchsreihe, aus dem Getreide Kekse mit Schokolade oder Vanille zu backen, war durchaus erfolgreich.
Durch das Läutern entsteht die Würze, die der Brauer dann für eine Stunde in der Würz(sud)pfanne zum Sieden bringt. Währenddessen wird die erste Gabe Hopfen in den Sud getan, die Geschmack und die nötigen Bitterstoffe an die Flüssigkeit abgibt. Etwa fünf bis zehn Minuten vor dem Ende des Kochvorgangs geben die Brauer die gewünschten Gewürze wie Koriander, Bergamotte, Zitronell, Piment oder etwa Salbei und Honig – um nur mal einige zu nennen –in die Würze. Sie achten darauf, die Gewürze wegen ihrer ätherischen Öle nicht zu früh beizugeben, da diese sonst den Geschmack zu sehr dominieren. Auch eine zweite Gabe vom Hopfen kommt dazu. Dieser würzt nochmals die Flüssigkeit und dient als Konservierungsstoff.
Danach filtert der Brauer die Würze durch ein Sieb mit Filtertuch, um möglichst viele Trübstoffe herauszufiltern, und lässt alles über Nacht abkühlen. Brauer Rugiero besteht auf ein wenig Bodensatz, denn wie bei der Weinbereitung befinden sich in ihm eine Vielzahl von Aromen. Am Morgen vermengt er die Würze mit einem 30 Grad warmen Hefeansatz zur ersten Gärung. Die einsetzende alkoholische Gärung, am Blubbern in den Fässern ist diese zu hören, braucht bei 20 Grad Raumtemperatur etwa eine Woche. Auch Schaumbildung ist ein deutliches Zeichen für die Aktivität der Hefekulturen.
Erste Preise bei Prämierungen
Die Brasserie Saint-Nabor gibt bei manchen Biersorten eine kleine Menge Zucker in das Bier, damit es nach der Flaschenabfüllung in diesen nochmals leicht zum Gären kommt. Diese zweite Gärung, Flaschengärung, fördert die natürliche CO2-Bildung, die dem Bier seine Schaumkrone und den gewünschten Trinkfluss gibt. Manche von Rugieros Frischbieren erleben ein paar Monate in Barrique-Fässern, die zuvor mit Destillaten wie Whisky, Eau de Vie, Gin, Portwein und einigem mehr belegt waren. „Dadurch erreichen wir eine Aromenvielfalt im Bier, die nur durch handwerkliches Brauen und konsequente lange Lagerung, manchmal bis zu einem Jahr und mehr, möglich ist. Seit Anbeginn meiner Brauertätigkeit suche ich nach alten historischen Rezepten, probiere diese aus und führe so eine Art Archiv oder Tagebuch“, erläutern Jean-Aimé sein Interesse an alten Rezepturen.
Alle Biere der Brasserie Saint-Nabor ruhen entsprechend gekühlt für vier Wochen in einem Ruheraum, um danach dem Bierfreund den Genuss zu versüßen. Wenige Brasserien bieten solch ein umfangreiches Sortiment wie die Lothringer Brauerei an. 25 Sorten Bier finden sich immer in deren Portfolio, zu den entsprechenden Jahreszeiten gesellen sich nochmals etwa zehn hinzu. So gibt es beispielsweise um die Weihnachtszeit ein Bière de Noël, ein Ambreé von 1916 und einige Sondereditionen mehr.
Die Brasserie bietet zwei besondere Biere mit ungewöhnlichen Aromenkombinationen an. Das Saint Nabor „Grande Réserve“, ein von Hand gebrautes Bier, das 370 Tage lang in Cognacfässern gären durfte. Olfaktorisch erschließen sich Aromen von Holz und Likörnoten. Die zweite Hopfenkaltschale wird ebenso in Handarbeit hergestellt. Dieses Produkt, „La Saint Nabor Whisky Eau de vie Mirabelle“, wird 100 Tage lang in Whiskyfässern und anschließend in Fässern von Eau de vie Mirabelle vergoren. Eine Reihe geschmacklicher Besonderheiten runden den zarten Holzton ab.
Im Jahr 2020 wurde die Brasserie Saint-Nabor beim Concours Général Agricole für sein Chili-Bier mit einer Silbermedaille ausgezeichnet. „Wir werben auch für den solidarischen Apéro“, sagt Jean-Aimé Rugiero. „2021 erhielt die Brauerei die Verdienstmedaille für unser solidarisches Engagement während der Covid-19-Pandemie. Solidarität ist eine Realität, zu der jeder Apéro beitragen kann. Ein Euro pro Flasche geht von uns an das Rote Kreuz oder eine NGO. So konnten wir mit der Begeisterung unserer Kunden Tausende von Euros und Hunderte von Bieren an mehrere Krankenhäuser in der Region verteilen.“
In der neuen Wirkungsstätte werden künftig Video-Beiträge zum Brauwesen gezeigt, weiterhin Bierverkostungen und ab dem späten Sommer auch Brau-Kurse für Anfänger angeboten.