Nach fast 20 Jahren Verhandlungen ist das erste Hochseeschutzabkommen auf dem Weg. Eine historische Wende für die Ozeane, die versauern, überfischt und vom Tiefseebergbau bedroht werden. Wird das Abkommen zu mehr globaler Gerechtigkeit beitragen?
Anfang März 2023 einigten sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen nach stundenlangen Verhandlungen auf ein Abkommen zum Schutz der Hohen See. Sie macht etwa 70 Prozent der Weltmeere aus und ist eine der wichtigsten Transportachsen des Seehandels. So gesehen nimmt sie sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich eine ziemlich große Rolle ein. Als Hohe See gilt alles ab 200.000 Seemeilen vor der Küste, das heißt jenseits der ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ), die unter nationaler Gerichtsbarkeit stehen. Auch „internationale Gewässer“ genannt, gehört die Hohe See keinem Staat und gilt als globales öffentliches Gut.
Die Ozeane sind zusammen mit den Wäldern eine der größten Kohlenstoffsenken. Sie spielen eine ausschlaggebende Rolle, wenn es darum geht, das Klima zu regulieren, weil sie mehr Kohlenstoff aufnehmen und speichern, als sie abgeben. Obwohl 80 Prozent der biologischen Ressourcen in Meeresgebieten unter nationaler Gerichtsbarkeit liegen, gibt es auf Hoher See zahlreiche Ökosysteme, die größtenteils noch unentdeckt sind. Der Schutz dieser Ressourcen, die ausgebeutet werden können – Großbetriebe sind sich dessen bewusst –, ist daher notwendig. Das ist auch der Grund, warum das künftige Abkommen ausgehandelt wurde. Die Hohe See ist für die Entwicklung bestimmter Arten, zum Beispiel Thunfische, von entscheidender Bedeutung. Überfischung während der Fortpflanzungszeiten kann erhebliche biologische Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben. Die Ozeane sind miteinander verbunden, weshalb Wasserschutzgebiete dringend notwendig sind: Was an einem bestimmten Ort geschieht, kann sich auf andere Gebiete auswirken. So hat beispielsweise Ölverschmutzung auf Hoher See beträchtliche Auswirkungen auf die Küstengebiete, auch wenn sie außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen liegt.
Umweltverträglichkeitsprüfungen für das Meer
Bereits 1982 wurde das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen verabschiedet. Dieses Übereinkommen befasst sich allgemein damit, wie die Ozeane verwaltet werden sollen, und regelt die wichtigsten maritimen Aktivitäten der Mitgliedstaaten. Es ist allerdings nicht mehr aktuell, da Klimafragen und die Frage, wie genetische Ressourcen genutzt werden sollen, nicht berücksichtigt wurden. Zwar sind später weitere Übereinkommen entstanden wie beispielsweise das über die biologische Vielfalt. Allerdings sind diese Rechtsinstrumente nicht einheitlich, sondern beziehen sich vor allem auf einzelne Teilbereiche. Dr. Vonintsoa Rafaly, Professorin für internationales Recht und Seerecht an der Universität Nantes, sieht das Hochseeabkommen als Fortschritt: „Das bestehende Rechtssystem hat sich beim Schutz der Meeresumwelt und der Erhaltung der biologischen Ressourcen auf Hoher See als unwirksam erwiesen. Diese Instrumente waren schlecht ausgestattet, um mit verschiedenen globalen Phänomenen umzugehen, zum Beispiel dem Klimawandel und seinen Folgen für die Ozeane.“
Das neue Abkommen zum Schutz der Hohen See ist ein wesentlicher Bestandteil, um das bestehende Rechtssystem zu stärken, zumal es die ganze Welt betrifft. Die UN-Mitgliedstaaten wollen gemeinsame Lösungen für die Frage finden, wie Meeresressourcen erhalten und nachhaltig genutzt werden können. „Dieses Abkommen soll ein Koordinationsabkommen sein, das ein kollektives Handeln zum Schutz und zur Erhaltung der Hohen See und ihrer biologischen Ressourcen stärken soll“, erklärt Rafaly.
Die Europäische Union spielt mit ihrem Einfluss auf die internationale politische Szene eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen im Seerecht. Im Hochseeabkommen bringt sie ihre Erfahrung ein, damit bestehende Normen weiterentwickelt werden können. Bereits seit 2018 hat die Europäische Union mit der vorgeschlagenen Regelung der Treibhaus-gasemissionen von Schiffen etablierte Regeln, die strenger sind als das, was auf globaler Ebene existiert. „Ich denke, dass die Europäische Union in dem neuen Abkommen ihre Erfahrung insbesondere im Hinblick auf die Umweltverträglichkeitsprüfungen einbringt. Die EU könnte gegenüber den anderen Staaten eine Impulsgeberrolle einnehmen, um dieses Übereinkommen zu verabschieden und zu ratifizieren.“
Lokale Gemeinschaften stärker beteiligen
Marine genetische Ressourcen, Gewinnteilung, Managementinstrumente nach Zonen und Umweltverträglichkeitsprüfungen sind die vier Hauptthemen, die diskutiert wurden. Das Abkommen soll auch die globale Gerechtigkeit fördern, denn die Ozeane und ihre Ressourcen zu erhalten ist für viele Menschen überlebensnotwendig. Eine gerechte Aufteilung der neuen wertvollen Ressourcen, insbesondere der genetischen Ressourcen, soll durch eine finanzielle Fondslösung für die Länder des Globalen Südens gewährleistet werden. Dabei ist vorgesehen, Gewinne aus der biomedizinischen Forschung teilweise an diese Länder umzuverteilen. Der Fonds stellt zwar einen Fortschritt dar, reicht alleine allerdings nicht aus, um die Probleme der finanziellen und technologischen Ungleichheit zwischen den Ländern des Nordens und des Südens zu lösen. Der Finanzfonds wäre ohne die effektive Umsetzung des Technologietransfers unvollständig, das heißt ohne Zugang zu Proben, Genen oder Datensammlungen für die Länder des Südens, wie es im künftigen Abkommen vorgesehen ist. Wenn der Fonds und der Technologietransfer miteinander kombiniert würden, könnten die Gewinne besser aufgeteilt werden.
In Bezug auf die Umweltverträglichkeitsprüfung ist es die Aufgabe der Staaten zu entscheiden, ob ein Vorhaben der Meeresumwelt schadet oder sie wesentlich verschmutzt. „Der Staat ist der einzige, der bestimmen kann, ob eine Aktivität unter seiner Gerichtsbarkeit oder Kontrolle einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, und der entscheiden kann, ob diese Aktivität fortgesetzt werden soll oder nicht“, sagt die Professorin. Allerdings können im Prozess der Umweltverträglichkeitsprüfung andere Akteure wie Drittstaaten eingreifen. „Die Beteiligung aller Staaten muss so weit wie möglich sichergestellt werden, insbesondere für Küstenstaaten oder für Staaten, die potenziell von der jeweiligen Aktivität betroffen sein könnten.“ Wenn sich eine Aktivität auf die Schifffahrt in den Gewässern der Europäischen Union auswirkt, kann diese zum Beispiel dazu Stellung nehmen. Das zukünftige Abkommen sieht auch vor, dass lokale Gemeinschaften, globale oder regionale Gremien und die wissenschaftliche Gemeinschaft beteiligt werden.
Obwohl der Vertrag für die Meeresumwelt vielversprechend scheint, muss er noch von den Mitgliedstaaten unterzeichnet werden, bevor er in die sechs offiziellen Sprachen der Vereinten Nationen übersetzt werden kann. Unter dem Vorsitz von Frankreich und Costa Rica wird die nächste UN-Konferenz über die Ozeane im Jahr 2025 in Nizza stattfinden. Auf dieser Konferenz soll der Vertrag zum Schutz der marinen Biodiversität auf Hoher See von den UN-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Das würde den Beginn einer neuen Dynamik für internationale Zusammenarbeit markieren, die es ermöglicht, die Ozeane besser zu schützen und zu erhalten. Denn sie sind unerlässlich, damit die Menschheit überleben kann.