Bis 2050 will die Europäische Union Klimaneutralität erreichen. Den Grundpfeiler bildet der digitale Produktpass, welcher auch die Textilindustrie zu mehr Kreislauffähigkeit und Nachhaltigkeit bringen soll.
Das große Umwelt-Bestreben der EU sieht vor, dass sich in unterschiedlichen Verbrauchssektoren dringend etwas ändern muss, um die Ziele des European Green Deals zu erreichen. Im Rahmen des EU-Aktionsplans Kreislaufwirtschaft gilt das Augenmerk insbesondere der Textilbranche, denn die ist nach wie vor ein Verursacher von Klimaschäden, da sie den Ruf hat, besonders ressourcenintensiv zu sein. Das soll sich nun ändern und die Hersteller zu mehr Nachhaltigkeit angehalten werden. Ein digitaler Produktpass kann helfen. Er gilt als Sammelsystem für Verbraucher, um an alle umweltrelevanten Informationen zu gelangen. Die Kennzeichnungspflicht soll in Deutschland bis zum Jahr 2026 umgesetzt sein. Das bedeutet in erster Linie einen enormen bürokratischen Aufwand.
Sammelsystem für Verbraucher
Schon 2020 adressierte die EU-Industriestrategie die Textilwirtschaft als „wichtige Produktwertschöpfungskette“, die einen dringenden Bedarf nach kreislauforientierten Verbrauchs-, Produktions- und Geschäftsmodellen aufzeigt. Deshalb folgte nur ein Jahr später der erste Entwurf der sogenannten EU-Ökodesign-Verordnung. Darin enthalten sind alle Rahmenbedingungen zur Ausstellung des digitalen Produktpasses. Ziel soll es demnach sein, Waren und ihre Rohstoffe nach Möglichkeit zu erhalten und damit Abfall zu vermeiden. Helfen soll dabei ein Sammelsystem auf digitaler Basis, welches alle umweltrelevanten Informationen zu einem Produkt enthält. Bereitstellen müssen dieses die Produzenten. Eine riesige Herausforderung vor allem für kleine Unternehmen und Nachwuchsdesigner. Wer auf die Kennzeichnung verzichtet, der kann seine Entwürfe nicht mehr auf den Markt bringen. Während strenge Verordnungen wie diese bislang überwiegend für Elektronikwaren und Batterien galten, beziehen sie sich jetzt erstmals auf den Bausektor und die Textilwaren. Und die Liste der erforderlichen Informationen ist lang. So muss Kleidung künftig Hinweise auf ihre Reparierfähigkeit ebenso enthalten wie den nachgewiesenen Anteil an Recyclingmaterialien. Die Produktpässe sind dann eingenäht und zeigen einen QR-Code. Wer ihn scannt, der enthält auf einer kostenlos bereitgestellten App sämtliche Informationen über ein Produktpassregister. Die „EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien“ (im Original „EU strategy for sustainable and circular textiles“) sieht vor, dass bis 2030 alle Textilien entsprechend ausgestattet sind. Auf diese Weise ist es Verbrauchern möglich, bewusst zu wählen und sich gegen Fast Fashion zu entscheiden. Das gelingt, wenn Hersteller strenger ins Boot geholt werden. Sie sollen nicht nur besser kennzeichnen und ihre Produktion entsprechend den Umweltstandards umstellen, sie sollen auch stärker Verantwortung dafür übernehmen, welche Wertschöpfungskette ihre Waren durchlaufen. Das beginnt bei der Auswahl geeigneter Stoffe über die Herstellung und den Vertrieb bis hin zum Recycling der eigenen Kollektionen. Dazu greifen spezifische Maßnahmen wie die Bereitstellung verständlicher Informationen, der digitale Produktpass, Anforderungen an das Ökodesign sowie verbindliche Regelungen vonseiten der EU. Nur so kann sich Hersteller-Verantwortung zeigen.
Verantwortung übernehmen
Wie das aussehen kann, präsentiert Zalando bereits seit dem Jahr 2020. Mit der „reDezign for circularity“-Kollektion versuchte das Unternehmen erfolgreich einen Bogen zu spannen zwischen hipper Fashion und nachhaltiger Entsorgung. Um das möglich zu machen, arbeitete der Online-Marktführer für Mode- und Lifestyleartikel gemeinsam mit Eon, einem Technologieunternehmen aus New York. Dieses schaffte die notwendige digitale Infrastruktur, um den Lebenszyklus der Kollektion effizient nachzuverfolgen, und zwar von der Produktion über den Verkauf bis hin zu Reparaturen und der Wiederverwertung. Los ging es mit fünf original Zign-Stücken. Dank wachsender Nachfrage reichte die kleine Start-Kollektion aber bald nicht mehr aus, sodass sich Zalando dazu entschloss, künftig ordentlich aufzustocken und gleich 50 Kleidungsstücke anzubieten.
Einen Vorstoß in Sachen Nachhaltigkeit wagte auch der Versandriese Otto 2021/2022 und verlieh seiner ersten „Circular Collection“ einen sogenannten NFC-Tag. Diese besondere „Circular-ID“ wurde fest in die einzelnen Kleidungsstücke vernäht. Gespeichert wurden hier alle Informationen rund um die verwendeten Stoffe und ihren Recyclingprozess. Via Smartphone war es Kundinnen und Kunden möglich, diese einfach abzurufen. Entworfen wurde die ID vom Unternehmen Circular.Fashion aus Berlin. Sie war Teil des Closed Loop Pilot- Projekts in Zusammenarbeit mit Otto, Fairwertung und anderen Partnern. Bestandteile der Kollektion waren eine Herren-Jeans sowie acht Kleidungsstücke für Damen, unter anderem ein Hoodie, ein Kleid und ein Top.
Der Versandhändler selbst beschrieb seinen Ansatz als „zirkulär und ressourcenschonend“. So enthielten die ausgewählten Stücke ausschließlich nachhaltige Stoffe wie Bio-Baumwolle und Lyocell, außerdem Knöpfe aus Holz. Lisa Franke vom Otto-Nachhaltigkeitsteam erklärte dazu in einer Pressemitteilung: „Zirkuläre Kleidung ist ein guter Lösungsansatz, um den seit Jahren steigenden Textilmüll zu reduzieren. Wirklich kreislauffähig kann Mode aber nur dann sein, wenn sie vom allerersten Entwurf an so geplant wird. Für unsere Circular Collection haben wir genau das getan und über alle Schritte nachgedacht: das Design, die Materialien, die Nutzung und das Recycling. Das Ergebnis sind Kleidungsstücke, die sich im Herstellungsprozess von konventioneller Mode unterscheiden: Knöpfe lassen sich abschrauben, Nieten werden durch Stickereien ersetzt, die Materialreinheit ist so hoch wie möglich.“
Das deutsche Label Armedangels machte sich im Rahmen des Projekts ebenfalls die praktische ID zunutze und brachte eine „Nachhaltigkeits-Kollektion“ heraus. Diese bestand aus sogenannten „Take-Back-System pre- & post-consumer“-Materialien, also ausschließlich aus Materialien, die recycelt wurden. So wuchsen aus Schnittresten und Altkleidern der Marke in Verbindung mit Lyocell schicke neue Teile im typisch schlichten Armedangels-Design. Vorgestellt wurde die Kollektion nicht nur im Shop des Labels selbst, sondern auch auf der Webseite des Beneficial Design Institutes als Showcase zur digitalen Ausstellung zum Thema „Wie Mode der Zukunft umweltverträglich wird“. Hier sammeln die Verantwortlichen repräsentative Projekte, die den Zeitgeist aus der Slow-Fashion-Bewegung aufgreifen und zeigen, welche neuen Möglichkeiten sich durch eine gezielte Kennzeichnung der Kleidungsstücke zur bewussten Verfolgung der Kreislaufwirtschaft ergeben.
Schlüsselstück bleibt die eingenähte Visitenkarte. Diese Circular-ID zeigt den Sortierbetrieben genau, wie das Recycling bestmöglich ausgeführt werden kann. Dadurch entstehen aus den alten Kleidern wertvolle neue Rohstoffe und die Kreislaufwirtschaft beginnt wieder von vorn. Ein wichtiges Kriterium, denn konventionell hergestellte Kleidung besteht meist aus Mischfasern. Diese lassen sich nur sehr eingeschränkt wiederverwerten. Dementsprechend gering ist ihre Recyclingquote.
Damit sich das ändert, braucht es neben klaren Kennzeichnungen auch bewusste Entscheidungen über das zu verwendende Material. Nur so bleibt der ökologische Fußabdruck einer Branche langfristig gering, die bislang eher den schlechten Ruf mit sich trug, ein echter „Klimakiller“ zu sein. Die Beispiele der großen Mode-Anbieter zeigen, dass es durchaus möglich ist, sich seiner Verantwortung zu stellen und den digitalen Produktpass zu realisieren. Doch ohne Hilfe von starken Partnerunternehmen geht es nicht. Eine echte Herausforderung also für all jene, die keine professionelle Unterstützung haben. Es bleibt abzuwarten, inwieweit nun kleine und große Label in ganz Europa nachziehen. Wünschenswert wäre es, wenngleich das in der aktuellen Krise der Branche eine weitere riesige Herausforderung ist, die es zu stemmen gilt.