Noch bis zum 21. Mai zeigt die Schirn Kunsthalle in Frankfurt das vielseitige Werk der 2002 verstorbenen Malerin und Bildhauerin Niki de Saint Phalle.
Sie sind knallbunt, sinnlich und üppig: Die „Nanas“ haben Niki de Saint Phalle auch außerhalb der Kunstwelt weltberühmt gemacht. Die fröhlichen Frauenplastiken im Pop- Art-Stil ziehen sich durch das Werk der französisch-amerikanischen Malerin und Bildhauerin. Sie gelten bis heute als ihr Markenzeichen. „Les Nanas aux pouvoir!“ – Die Nanas an die Macht! –, heißt es auch in der Sprechblase ihrer 1965 entstandenen Kunstfigur Nana. Doch das künstlerische Spektrum der Autodidaktin reicht viel weiter. Niki de Saint Phalle wechselte Techniken, Themen und Arbeitsweisen. Immer wieder artikulierte die Künstlerin in ihrem Schaffen ein Plädoyer für das Feminine. Schließlich bedeutet Nana im Französischen umgangssprachlich auch Frau. Sie zählt als eine der Hauptvertreterinnen der europäischen Pop-Art und Mitbegründerin der Kunstform des Happenings zu den bekanntesten Künstlerinnen ihrer Generation. Noch bis zum 21. Mai beleuchtet die Schirn Kunsthalle Frankfurt das mannigfaltige Œuvre der Visionärin in einer Ausstellung, die mit rund 100 Arbeiten einen Überblick über alle Werkphasen bietet.
Poppiges Pink geht in Violett über
Der Ausstellungsort am Main gleicht einem langen Tunnel, durch den man staunend hindurchgeht. Fünf Jahrzehnte von Niki de Saint Phalles künstlerischem Schaffen sind dort in sechs thematischen Bereichen ausgestellt. Schritt für Schritt, Exponat für Exponat begegnen Besucherinnen und Besucher der Künstlerin in diesem langgezogenen Ausstellungssaal, angefangen in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts bis zum Jahrtausendwechsel. Die Ausstellung wird auf knallpink bemalten Wänden zur Schau gestellt. Gleichzeitig wandelt sich die Hintergrundfarbe peu à peu, nimmt einen Farbverlauf an. Das poppige Pink geht allmählich über in ein Violett und mündet schließlich in ein tiefes Mitternachtsblau.
Erste Bekanntheit erlangt die Künstlerin Anfang der 1960er-Jahre mit ihren Schießbildern, den sogenannten Tirs. In provokanten Performances schießt sie vor Publikum mit einem Gewehr auf ihre eigenen Kunstwerke. Ihre Assemblagen bestanden aus weißen Gipsreliefs auf Holz, die mit alltäglichen Gegenständen wie Nägeln oder Kaffeebohnen und vor allem Farbbeuteln und -dosen verspachtelt waren. Die abgefeuerten Schüsse bringen die Werke zum Bluten; die Farben quellen über das weiße Gips. Diese Aktionen sorgten für große mediale Aufmerksamkeit. Ihre erste öffentliche Schießaktion in einer Pariser Galerie betitelte die Zeitung „Paris Presse“ „Ein Skandal namens Niki“. Aufmerksam auf sie wird auch die Künstlergruppe „Nouveaux Réalistes“ um den Kunstkritiker Pierre Restany. Die „neuen Realisten“, zu denen auch Yves Klein und Jean Tinguely zählen, lehnen die abstrakte Kunst der Nachkriegszeit ab. Stattdessen fordern sie eine neue Verbindung zwischen Kunst und Realität. Niki de Saint Phalle wird 1961 als einzige weibliche Künstlerin in die Gruppe aufgenommen.
Essenziell für Niki de Saint Phalles Schießbilder ist ihre Ausrichtung als „audience participation art“. An den Happenings der „Tirs“ nehmen sowohl Besucher als auch Künstlerkollegen aktiv teil. Die strikte Trennung zwischen Künstlerin, Werk und Publikum löst sich damit auf; die Arbeiten werden zu partizipativen, ja demokratischen Werken. „Ich war wütend auf die Männer, auf die Gesellschaft, wütend, weil ich ein hübsches Mädchen war und meine Eltern mich gut verheiraten wollten“, sagte Niki de Saint Phalle einmal. „Ich ‚schoss‘ gegen Daddy, gegen alle Männer.“ Dazu muss man wissen, dass die 1930 als Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle geborene Künstlerin nicht nur einen reichen Ehemann heiraten sollte, sondern auch als kleines Mädchen von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde.
Die Tochter des Bankers, der einem französischen Adelsgeschlecht entstammte, und einer Amerikanerin wächst in New York City auf. Eine Karriere als Fotomodell schmeißt sie hin und brennt mit Harry Matthews, einem Angehörigen der US-Marine und späteren Schriftsteller, durch. Sie heiraten, ziehen nach Frankreich, das Paar bekommt zwei Kinder. In dieser Zeit erleidet sie einen Nervenzusammenbruch und wird wegen Suizidgefahr in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. In der Psychiatrie kommt sie mit Kunsttherapie in Berührung. Das Malen gibt ihr ihren Lebenswillen zurück: „Durch das Schaffen entdeckte ich die düsteren Abgründe der Depression und wie man sie überwinden kann“, sagte sie dazu. Nach dem Klinikaufenthalt beginnt Niki de Saint Phalle mit Gemälden. Es entstehen erste Assemblagen und Landschaften.
Niki will sich voll und ganz der Kunst widmen und trennt sich 1960 von ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern. In dieser Zeit lernt sie ihren künstlerischen Wegbegleiter und langjährigen Partner Jean Tinguely kennen, mit dem sie zahlreiche künstlerische Projekte realisiert.
Die Frauenfiguren verkörpern Stärke
1965 stellt sie in Paris erstmals die neue Werkserie der Nanas vor, die sie als ein „Jubelfest der Frauen“ bezeichnet. Anders als die frühen Assemblagen verkörpern die bunt bemalten Frauenfiguren Lebensfreude und Stärke und rufen ein von Unterdrückung befreites Matriarchat aus. Ihre größte „Nana“ realisierte sie 1966 mit Per Olof Ultvedt und Jean Tinguely vor dem Stockholmer Moderna Museet: „Hon − en katedral“ (Sie − eine Kathedrale) ist eine durch die Vagina begehbare Nana, in deren Innerem sich ein Vergnügungspark für Erwachsene − unter anderem ein Kino, eine Milchbar in der Brust und eine mechanische Gebärmutter im Bauch − befand. Die Ausstellung in Frankfurt zeigt ein Modell sowie eine Skizze und dokumentarisches Material der 25 Meter langen, neun Meter breiten und sechs Meter hohen Figur, von der nur der Kopf erhalten geblieben ist.
Als Gegenserie zu den befreiten Nanas konzipiert die Künstlerin in den 1970er-Jahren das Bilderbuch „The Devouring Mothers“ (deutsch: Die verschlingenden Mütter). In diesem Werk setzt sie sich auch mit der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter auseinander. So auch mit ihrer Skulptur „Tea Party, ou Le Thé chez Angelina“ (Tea Party, oder Tee bei Angelina). Auf den ersten Blick sieht es wie ein gemütliches Teekränzchen zweier alter Damen aus. Auf dem zweiten Blick irritieren ein angeschnittenes Krokodil und eine Puppe auf den Tellern. In ihren Gesichtern liest man Missmut. „Beim Schaffen dieses Werkes hat sie vor allem ihre Mutter vor Augen, zu der sie ein zwiegespaltenes Verhältnis hat“, erläutert Katharina Dohm, Kuratorin der Ausstellung in Frankfurt. Einerseits liebe sie ihre Mutter, andererseits werfe sie ihr vor, die gesellschaftliche Rollenerwartung an die Frau „unhinterfragt übernommen“ zu haben und sie anderen „aufzuzwingen“.
Die Künstlerin fasziniere bis heute durch ihre „enorme gestalterische Kraft und das große Spektrum ihres künstlerischen Ausdrucks“, so die Kuratorin. „Kompromisslos setzte sie sich über die starren gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit und die vorherrschenden Regeln des Kunstbetriebs hinweg. Ihr künstlerischer Schaffensdrang speiste sich aus der Wut gegen eine von patriarchalen Strukturen durchdrungene Gesellschaft, der sie mit ihrem offenherzigen, provokanten Schaffen den Kampf ansagte.“ Dabei durchzogen fröhliche wie makabre Darstellungen und ein feines Gespür für die Ambiguität von Gut und Böse ihr gesamtes Œuvre, erläutert Katharina Dohm. Am Ende der Frankfurter Schirnhalle angekommen, gelangt man an die Skulptur eines gigantischen Totenkopfes aus farbigen und spiegelnden Mosaiksteinen, der von der Künstlerin als begehbarer Meditationsraum konzipiert war. „Innen ist alles blau. Man kann sich hinsetzen und nachdenken“, erläuterte die Künstlerin. Der Tod sei nicht beängstigend, sagte sie. „Durch den Tod können andere Dinge wachsen.“ Am 21. Mai 2002 starb Niki de Saint Phalle im Alter von 71 Jahren im kalifornischen San Diego.