Die Chancen von Union Berlin auf die Champions League sind seit vergangener Woche noch mal gestiegen. Großen Anteil daran hat ein Spieler, dessen Zukunft über den Sommer hinaus fraglich ist: Sheraldo Becker.
o logisch die Vertragsverlängerung bei Union Berlin für Rani Khedira auch war, eine Sache sprach dagegen. „Ich habe es bei meinem Bruder gesehen, der damals schon mit 23 Jahren zu Real Madrid gegangen ist: Das tut etwas für die Persönlichkeitsentwicklung“, sagte der Mittelfeldspieler, der bereits für einige deutsche Vereine auflief. Ein Auslands-Engagement war in seiner Karriere aber nicht dabei, und es wird vorerst auch nicht kommen. Diese verpasste Chance habe „unterbewusst vielleicht noch eine Rolle“ gespielt, als er den neuen Vertrag bei Union unterschrieb, gab Khedira zu, „aber ich hätte auch nichts dagegen, bei Union meine Karriere zu beenden“.
Bis wann der neue Kontrakt des 29-Jährigen bei den Köpenickern läuft, ist offen. Der Club gibt generell keine Angaben zur Laufzeit. Doch allein die Tatsache, dass der zweite absolute Leistungsträger nach Abwehrchef Robin Knoche sich zum Club bekannt hat, wird bei Union als großer Fortschritt betrachtet. Es ist auch ein Signal nach außen: Inzwischen ist Union finanziell und sportlich so gut aufgestellt, dass andere Vereine die besten Union-Spieler nicht immer zwingend wegkaufen können – so wie in der Vergangenheit bei Marvin Friedrich, Taiwo Awoniyi, Max Kruse, Robert Andrich und Grischa Prömel geschehen. „Eigentlich ist es genau das“, sagte Sportchef Oliver Ruhnert in der „Berliner Morgenpost“: „Man suggeriert, wir sind autark genug, unsere Entscheidungen zu treffen.“ Dazu zählte Ruhnert auch die Vertragsverlängerung mit Sheraldo Becker im vergangenen Jahr. „Das zeigt, dass Spieler, die vielleicht auch eine andere Herausforderung suchen, sich für die Herausforderung hier entscheiden.“
Union ist auf alles vorbereitet
Ob Becker noch länger bleibt? Das ist eine Frage, die die Unioner seit Wochen beschäftigt. Jetzt sogar noch mehr, denn es ist bekannt geworden, dass der neue Vertrag des torgefährlichen Offensivspielers nicht wie allgemein angenommen bis 2025 läuft, sondern dem Vernehmen nach nur noch bis nächstes Jahr. Bedeutet: Will Becker nicht erneut verlängern, bleibt Union nur noch in diesem Sommer die Möglichkeit, mit dem vor allem in England begehrten Nationalspieler Surinams kräftig Kasse zu machen. „Wir haben immer Grund zur Sorge bei Spielern, die performen. Es ist aber ein ganz normaler Prozess, dass du weißt, dass es sowohl größere Vereine als den 1. FC Union gibt als auch Träume der Jungs, im sportlichen, aber auch im wirtschaftlichen Bereich“, sagte Ruhnert. Man sei aber „auf alle Eventualitäten“ vorbereitet.
Klar ist: Die Aussicht auf die Champions League in der kommenden Saison erhöht Unions Chancen im Becker-Poker. Es ist zumindest kein Argument, um woanders hinzugehen“, meinte Ruhnert: „Sechs Spiele in der Champions League zu haben, ist ein wichtiges Argument.“ Und das wird immer realistischer. Nach dem 1:0-Auswärtssieg am vergangenen Wochenende bei Borussia Mönchengladbach haben die Eisernen nun schon vier Punkte Vorsprung auf den Tabellenfünften RB Leipzig, der beim 0:2 bei Bayer Leverkusen patzte. Die formstarke Werkself ist nun Unions nächster Gegner, das Duell steigt am Samstag (29. April, 15.30 Uhr) in der Alten Försterei. Ein schwerer Prüfstein, weshalb der Tabellendritte seine öffentliche Zurückhaltung in Sachen Königsklasse auch noch nicht abgelegt hat. „Es ist vielleicht ein bisschen langweilig, aber der Fokus liegt wie immer auf dem nächsten Spiel“, sagte Torhüter Rönnow mit einem verschmitzen Lächeln im Gesicht. Auch von Kapitän Khedira gab es das gewohnte Understatement. Es sei „wirklich noch nicht vorgekommen“, dass er sich insgeheim Champions-League-Abende in der Alten Försterei gedanklich vorgestellt habe, versicherte der Mittelfeld-Stratege: „Die Liga ist zu stark, dass du fünf Spieltage vor Schluss irgendein Fazit ziehen kannst.“ Die Spieler liegen damit auf Linie ihres Trainers Urs Fischer, der vor dem Gladbach-Spiel genervt auf Nachfragen zu den Champions-League-Ambitionen reagiert hatte: „Es stört mich schon, dass ich immer die gleichen Fragen beantworten muss.“ Natürlich wurde der Schweizer auch nach dem Sieg am Rhein danach gefragt – diesmal reagierte er aber deutlich souveräner. „Wir befinden uns auf einem guten Weg, aber gemacht ist noch nichts.“ Er erwartet „noch fünf heiße Spieltage“, an denen man „gar nichts geschenkt“ bekomme.
Sollte sein Team aber so auftreten wie in Gladbach, stehen die Chancen auf einen Platz unter den ersten Vier am Saisonende sehr gut. Fischer schwärmte von einem „sehr disziplinierten Auftritt über die gesamten 90 Minuten“. Man habe „immer Zugriff aufs Spiel“ gehabt, die Mannschaft habe „kompakt gestanden und war gut organisiert“, und auch „spielerische Momente“ hätten nicht gefehlt. „Das ist das Gesicht, was wir eigentlich an jedem Spieltag auf den Platz bekommen wollen“, meinte der Trainer: „Nur leider gelingt das nicht immer gleich gut.“ Der Gladbacher Jonas Hofmann hat aber kaum noch Zweifel daran, dass Union in der kommenden Saison im Konzert der Großen international mitmischen wird. „Ich finde schon, dass sie es verdient hätten“, sagte der Nationalspieler. Die Berliner stünden „zu Recht“ auf Platz drei, weil sie „unfassbar gut verteidigen“ würden und „vorne immer diesen einen Nadelstich machen“.
„Es war wirklich ein wunderschönes Tor“
Den setzte diesmal erneut Sheraldo Becker. Sein 1:0-Siegtreffer nach einer Stunde war herausragend, sowohl sein Stellungsspiel, als auch sein Antritt und seine Technik beim platzierten Volleyschuss. „Das war wirklich ein wunderschönes Tor“, schwärmte auch Kapitän Khedira, der Beckers „Killerinstinkt“ in dieser Szene lobte. Auch Trainer Fischer schwärmte vom Tor: Die Flanke von Jerome Roussillon Beckers sei „herausragend“ gewesen, der Bewegungsablauf von Becker „toll“: „Er trifft den Ball optimal, das Tor war überlegt.“ Doch nicht nur wegen seines neunten Saisontreffers in der Bundesliga war Becker wieder einmal ein Schlüsselspieler für sein Team. „Es war ein super Spiel von ihm“, sagte Torhüter Rönnow. Der gebürtige Amsterdamer sei mit seiner Geschwindigkeit „immer gefährlich“ und mit diesem individuellen Spielstil enorm wichtig für die Teamtaktik. „Wir wissen immer: Wenn wir tief verteidigen, kommen wir durch ihn trotzdem zu unseren Chancen.“
Auf der anderen Seite weiß Becker auch, was er an Union Berlin hat. Der Trainer setzt seine Qualitäten optimal ein und lässt bei ihm auch mal lange Leine. So ein Standing müsste er sich in einem anderen Club erst erarbeiten. Außerdem dürfte es auch für einen Klassespieler für ihn schwierig werden, einen Champions-League-Verein als neuen Arbeitgeber zu finden. Becker muss sich noch entscheiden – Khedira hat Union bereits sein „Ja“ gegeben. Aus voller Überzeugung: „Wir haben einen wunderbaren Verein und einen Trainer, der mich glücklich macht.“