Seit Monaten demonstriert die Bevölkerung gegen ein geplantes LNG-Terminal auf Rügen. Die Kommunalpolitikerin Nadine Förster erklärt, warum sie Umwelt und Demokratie gleichermaßen gefährdet sieht.
Der Ausbau der Flüssiggas-Infrastruktur schreitet in Deutschland voran. Doch wie bereits an der Nordsee stoßen die Projekte auch an der Ostsee auf Widerstand. Auf Rügen treibt ein geplantes LNG-Terminal die Bevölkerung seit Monaten auf die Straße; über 60.000 Unterschriften haben die Insulaner gesammelt.
Frau Förster, seit bekannt geworden ist, dass vor Rügen ein schwimmendes LNG-Terminal entstehen soll, ist der Aufschrei groß. Wieso vereint das Thema derzeit so viele verschiedene Akteure?
Wenn nicht jetzt, wann dann? Über viele andere Dinge, zum Beispiel Bebauung oder Tourismus, sind wir als Rüganer durchaus unterschiedlicher Meinung. Aber beim geplanten LNG-Projekt kommen unterschiedlichste Interessengruppen zusammen, weil es nicht nur in unseren Naturraum, sondern auch in unseren Wirtschaftsraum eingreift. Wir leben ja davon, dass die Touristen zu uns kommen, und genau das steht auf dem Spiel.
Als Kommunalpolitikerin engagieren Sie sich gegen touristische Großprojekte, jetzt demonstrieren Sie gemeinsam mit Hoteliers gegen LNG-Terminals. Sind aus Gegnern nun Freunde geworden?
Wir waren nie Tourismus-Gegner, im Gegenteil. Wir sind Tourismus-Befürworter, schließlich leben wir alle davon. Aber wir wollen ein gutes Mittelmaß, das sowohl die Belange der Natur als auch die der Einheimischen und der Urlauber berücksichtigt. Früher wurden wir deshalb oft in eine grüne Revoluzzer-Ecke gestellt. Inzwischen kennen uns viele Touristiker auch persönlich, und es gibt einen gewissen gegenseitigen Respekt. Die LNG-Terminals vereinen uns, denn die Eingriffe in die Natur betreffen uns alle.
Was kritisieren Sie konkret?
Für mich ist das eine große Farce: Wir wollen einerseits umweltfreundlich sein, auf der anderen Seite importieren wir das dreckigste Gas überhaupt. Seit Jahren versuchen wir unseren Boden zu schützen, seit Jahren dürfen unsere Fischer so wenig fangen, dass sie das eigentlich nur noch als Hobby machen können. Jetzt sollen Gasleitungen durchs Laichgebiet der Heringe gelegt werden, Schiffsrohre werden mit Chlor gespült, das in unsere Gewässer gelangt. Natürlich beeinflusst das den Tourismus. Der Bäderverband hat schon angedroht, dass uns der Status unserer Ostseebäder aberkannt wird. Mir fehlen da echt die Worte.
Was halten Sie von der Reaktion der Landes- und Bundespolitik auf Ihre Proteste?
Einen kleinen Erfolg haben wir schon errungen, indem das Terminal nun nicht mehr fünf Kilometer vor Sellin gebaut werden soll. Dass nun auch Scholz und Habeck auf Rügen waren, ist ebenfalls ein gutes Zeichen. Ohne unseren Protest hätten die sich sicher nicht die Zeit genommen, extra nach Rügen zu kommen. Wir haben über 60.000 Unterschriften gesammelt; am 8. Mai wird uns der Petitionsausschuss des Bundestags anhören. Aber natürlich sehe ich auch die Gefahr, dass im Hintergrund trotzdem schon alles entschieden ist.
Warum?
Wenn ich höre, dass die Bundesregierung schon die übrig gebliebenen Rohre von Nord Stream 2 gekauft hat, lässt mich das an der Dialogbereitschaft zweifeln. Man bereitet sich darauf vor, dass das Terminal – in welcher Form auch immer – gebaut wird. Ich fürchte mich davor, was das mit unserer Region macht.
Lehnen Sie Flüssiggas insgesamt ab oder stört Sie vor allem der Standort?
Beides. Für uns ist natürlich erst mal der Standort das Thema – da ist es egal, ob im Hafen Mukran oder 15 Kilometer weiter draußen. Das gehört nicht in die Ostsee. Zu LNG kann ich nur sagen: Das ist Fracking-Gas, die dreckigste Form der Energiegewinnung. Dort, wo es gefördert wird, wissen die Leute nicht, ob die Chemikalien irgendwann in ihr Grundwasser gelangen. Wir schippern es dann über den gesamten Ozean, und man verkauft es uns als Übergangstechnologie.
Aber irgendwo muss die Energie doch herkommen, oder?
Das stimmt. Ich bin keine Energie-Expertin, aber ich kenne die Studien, die belegen, dass wir mit diesem Terminal eine Überkapazität aufbauen. (die Klimaorganisation Climate Action Tracker präsentierte eine entsprechende Analyse auf der Weltklimakonferenz in Scharm El-Scheich im November 2022; eine Untersuchung des Energiewirtschaftlichen Instituts Köln kommt zu ähnlichen Ergebnissen; Anm. d. Red.) Mir kommen diese ganzen Pläne wahnsinnig überstürzt und ideologiegetrieben vor.
Gleichzeitig forderten im vergangenen Sommer mehrere Rügener Bürgermeister die Inbetriebnahme der russischen Pipeline Nord Stream 2; auch das Bürgerforum „Wir für Rügen“ vertritt diese Forderung. Ist das nicht ein bisschen scheinheilig?
Für „Wir für Rügen“ kann ich nicht sprechen, das ist eine andere Initiative. Aber wie realistisch ist es denn, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen? Die Lecks müssten erst mal repariert werden. Ich war noch nie ein großer Fan davon, eine Pipeline im Bodden zu verlegen, aber jetzt ist sie nun mal da.
Für immer eine Stilllegung zu fordern, halte ich deshalb nicht für sinnvoll. Irgendwann wird es eine Nach-Putin-Ära geben.
Andere Aktivisten fordern eine Entschädigung, sollte das Terminal gebaut werden – und kostenloses Gas für die Menschen an der Küste. Wie sehen Sie das?
In die Richtung will ich noch gar nicht denken. Ich hoffe, dass sich in der Bundesregierung die Einsicht durchsetzt, dass wir der falsche Standort sind. Es gibt Industriestandorte, die dafür deutlich besser geeignet sind, zum Beispiel Rostock. Dort gibt es schon eine In-frastruktur; im Rostocker Hafen wird demnächst Wasserstoff produziert – und es heißt ja auch, dass die LNG-Pipelines später einmal auf Wasserstoff umgerüstet werden können. Solche Standorte sind also deutlich sinnvoller als unser sensibler Naturraum.
Ende Februar waren bei der Großdemo im Ostseebad Baabe auch rechtsextreme Parolen zu hören. Wie groß ist die Gefahr, dass Ihre Anliegen von Extremisten gekapert werden?
In der Tat haben einige Menschen das Gefühl, dass das so ist. Ich kann diese Sicht nicht ganz teilen, aber ich kenne mich in der rechten Szene auch nicht aus. Auf unserer Demo in Baabe habe ich jedenfalls keine entsprechenden Fahnen gesehen oder Parolen gehört. Mir wurde hinterher gesagt, dass einer der Sprecher am offenen Mikrofon dem rechten Spektrum zuzuordnen war. Mir ist das vor Ort nicht aufgefallen. Generell finde ich, dass jeder seine Meinung sagen kann, solange er keine verfassungsfeindlichen oder menschenverachtenden Parolen von sich gibt – und natürlich muss er sich dann auch die Gegenargumente anhören.
Wie ist denn insgesamt die Stimmung auf der Insel?
Die Politikverdrossenheit ist sowieso schon sehr hoch, die politischen Ränder werden immer stärker. Ich mache mir Sorgen um die Demokratie, wenn man mit den LNG-Terminals über den Bürgerwillen hinweg geht.
Was wählen die Leute dann? Sicherlich nicht die Mitte. Ich sehe wirklich die Gefahr, dass wir das erste Bundesland werden, in dem die AfD an die Macht kommt. Umso mehr sollten unsere Regierungschefs jetzt nicht nur Bürgerbeteiligung predigen, sondern die Worte auch mit Leben füllen.
Wann würden Sie Ihren Protest als Erfolg bezeichnen?
Wenn die LNG-Terminals abgesagt werden! Nicht in Mukran, nicht fünf Kilometer weiter draußen, nicht 15 Kilometer. Wenn es schon sein muss, dann bitte bei den Industriestandorten, aber nicht bei uns. Vorher werden wir keine Ruhe geben.