Weitgehend unbemerkt wurde in den 1960ern in Saarbrücken ein Bunker für die Zivilbevölkerung gebaut. Im Ernstfall hätte er 1.800 Menschen Schutz bieten sollen. Heute führen historisch interessierte Mitglieder des Vereins „Unterirdisches Saarland“ durch die denkmalgeschützte Anlage.

Google Maps verortet das Bauwerk exakt in einer Seitenstraße, direkt unter der Autobahn 6 im Stadtteil Saarbrücken-Güdingen. Kein Hinweisschild verrät, was an dieser Stelle gebaut wurde. An einem verregneten Morgen im April öffnet Florian Brunner die schwere Außentür zur Zivilschutzanlage, einem entwidmeten Betonbunker, der heute einen Museumsstollen beherbergt. Florian Brunner ist Gründer und Vorsitzender des Vereins „Unterirdisches Saarland“, der den unscheinbaren Bau der Öffentlichkeit bekannt machen will. Mit viel Mühe und Einsatz wurde die Anlage von den Vereinsaktiven auf Vordermann gebracht, hergerichtet und aufbereitet. Undenkbar wäre das gewesen ohne die Förderer, darunter die Landeshauptstadt, Saar Toto, die Staatskanzlei, die Landesinnung der Gebäudedienstleister und -firmen. Erstmals öffnete man vor 15 Jahren die Türen des Bunkers, damals zum Tag des offenen Denkmals. Aufmerksam wurde Florian Brunner darauf im Zuge seiner Recherchen für ein Sachbuch über Stollen, Bunker und Felsenkeller in der saarländischen Landeshauptstadt. Den entscheidenden Hinweis bekam er von der Berufsfeuerwehr Saarbrücken. Seit Februar führt nun Brunner zusammen mit seinen Vereinskollegen interessierte Besucher durch das denkmalgeschützte Gebäude.
Streng Geheim: Der Rohbau begann 1963
Allerdings wissen nur wenige: Der Bunker wurde in der Zeit des atomaren Wettrüstens im Kalten Krieg als Modellversuch errichtet und zwar mit der Idee, falls ein atomarer Krieg ausbrechen sollte, 1.800 Menschen unterbringen zu können. Mindestens 28 Tage sollte das Überleben in der Anlage, autonom von der Außenwelt, möglich sein. Unter strenger Geheimhaltung begann man 1963 mit dem Rohbau des Zivilschutzbunkers, 1972 schließlich war der Innenausbau fertig. Fünf Millionen D-Mark kostete allein der Rohbau – zuzüglich der Kosten für die Ausstattung. Florian Brunner sagt, dass wenige Aktennotizen vom saarlandweit größten Zivilbunker erhalten geblieben sind. Im Dunkeln liegt etwa bis heute, wer der Architekt war und wo die Baupläne liegen. Nach und nach versucht Brunner das Mysterium Zivilschutzbunker zu erhellen.
Hinter der vergitterten Zwischentür geht Florian Brunner eine Zickzack-Treppe hinab. Wenn jemals außerhalb des Bunkers Bomben gefallen wären, hätte die Treppe sowohl die Druckwelle einer Explosion als auch herabfallende Betonteile abfangen sollen. Doch zum Ernstfall und mithin zur Feuerprobe kam es nie. Die Dekontaminationsschleuse ist unsere erste Station. Hier sollte man sich entkleiden, waschen und wieder anziehen. Nur die Dusche gehört zum Originalinventar des Bunkers. Anderes wie ein Katastrophenschutzanzug und das an Dynamitstangen erinnernde Dekontaminationsmittel hat der Verein Unterirdisches Saarland zusammengetragen. „Das Bauwerk als solches ist nicht mehr funktionstüchtig und hätte so nicht funktioniert. Das lässt sich an etlichen Stellen belegen“, erzählt Brunner. Auch muss man sich vor Augen führen, dass der Bunker der Schlagkraft der Nuklearwaffen auf heutigem Stand nicht würde standhalten können. „Durch eine Elektroschockwelle würden sämtliche Metallteile anfangen zu glühen und die Stromzufuhr würde schlagartig unterbrochen“, so Brunner.
Mullbinden kaum vorhanden

Nach der zweiten Schleusentür liegt vor uns ein Gang, der tiefer in den Bunker hineinführt. Nach wenigen Metern zweigt rechts davon ein höhlenartiger Raum ab. Bei einer Führung können sich dort Besucherinnen und Besucher auf Sitzbänke, die längs zur Wand stehen, setzen. „Die sind original, die standen anfangs nur rechtwinkelig im Raum wie in einem Kino“, erzählt Brunner. Kurz demonstriert er den Sitzkomfort. Nach einer Weile drücke das kalte Aluminium gegen die Unterseite des Oberschenkels und führe zum Blutstau. „Man ist ja hier nicht in einem Wellness-Hotel und ist froh, dass man wieder rauskommt“, sagt Brunner schmunzelnd.
Als Nächstes geht’s zum Rettungsraum. In der kleinen Kammer steht ein Medizinerschrank mit etlichen Sachen, allerlei Helfer für stillende Mütter und Babys, Vaselin-Tuben, Diabetes-Medikamente, Augensalben, Schmerzmittel und Mullbinden. „Mein persönliches Highlight sind die Saughilfen für Babys im originalen Verpackungsblister. So als müsste man hier unten dafür werben“, amüsiert sich Brunner. Auf dem Beipackzettel einer Milchpumpe ist zu lesen: „Fließe, Quell des Lebens“. Allerdings hätte man Anfang der 70er-Jahre, als der Bunker offiziell fertiggestellt war, niemanden mit einer offenen Wunde versorgen, geschweige denn operieren können. „Derjenige wäre jämmerlich verblutet, weil nur notdürftig Mullbinden vorhanden gewesen waren und zum Nähen niemand ausgebildet war.“
Wir erreichen das Herz des Bunkers, die Steuerungszentrale. An der Wand prangen die Aufschrift „Bunkerwart“ und ein nach rechts weisender Pfeil. Im Idealfall hätte diese Aufgabe ein Angehöriger des Zivil- und Katastrophenschutzes, zum Beispiel ein Feuerwehrmann, übernehmen sollen. „Jemand hätte die Anlage betreiben sollen, aber es gab nirgendwo eine richtige Gebrauchsanweisung“, erklärt Florian Brunner. Steht man in dem Gang, der zum Schaltschrank abgeht, wird einem deutlich, wie komplex der Modellversuch „Zivilschutzanlage“ war. Der Bunker verfügt über zwei mit Diesel betriebene Stromgeneratoren, eine riesige Lüftungsanlage, eine mit Aktivkohle und Sand funktionierende Filteranlage, zwei Brunnen, Wassertanks und Sanitäranlagen für Damen und Herren. Und besonders kurios: Es steht immer noch eine sogenannte Fäkalienhebeanlage, mit der Kot und Urin fein püriert und in die Kanalisation gepumpt werden sollte. „Die Technik war durchdacht und hätte funktioniert“, sagt Brunner.
„Die einzige Verbindung zur Außenwelt war ein Telefon“, sagt Brunner und zeigt auf ein grünes Modell mit Wählscheibe, das auf einem Schreibtisch steht, ein paar Meter von der Schaltzentrale entfernt. Daneben fällt der Blick auf ein Blaupunkt-Analog-Radio, eingebaut in der Wand. Florian Brunner zeigt, was er auch bei Führungen vorführt. Er schaltet das Radio ein und eine Katastrophenfall-Durchsage des SR ertönt daraufhin laut. „Die Durchsage ist heute noch auf dem Server des Saarländischen Rundfunks.“ Wenn wirklich der bedrohliche Ernstfall eingetreten wäre und alle drei Ausgänge und der Treppenaufgang verschüttet worden wären, hätten sich die Insassen immer noch mit Brechstangen einen Notausgang durch die Stahlbetonmauern bahnen können.
15 Meter unter der Erde

Florian Brunner steht mittlerweile in einem anderen Seitentrakt, wo das Notfallwerkzeug steht. An diesem Punkt befinden wir uns an der wohl tiefsten Stelle, 15 Meter unter Erde. Ungefähr darüber gabelt sich die A 620, rechts verläuft die A6 nach Paris, links weiter die A 620 nach Saarbrücken City. Genauer gesagt befinden wir uns auf der Höhe, wo sich die Autobahnen teilen, unterhalb der Trassen, wo ein Grünstreifen liegt. Eine andere Möglichkeit, der Bunkeranlage zu entkommen, hätte der Notausstieg geboten. „Das Fatale daran ist, dass sie den Schacht ungeschützt, ohne eine Umbauung hätten hochsteigen müssen. Oben angekommen müssten Sie sich nach der letzten Stufe per Muskelkraft hochziehen“, sagt der Vereinsinitiator. Wie vieles in dem Bunker ist auch der Notausstieg nicht durchdacht und hätte in der Praxis wohl nicht funktioniert.
Wir kommen zu einem langen Gang, in dem seitlich sechs Schlafkammern liegen. 1.800 Personen hätten allerdings nie zur gleichen Zeit in Betten liegen können. Je Schlafkammer gibt es 90 Betten und 90 Sitzgelegenheiten – wobei die Sitzflächen so eng nebeneinander liegen, dass man seinen Nachbarn unweigerlich berührt hätte. Das Bunker-Konzept sah eine Vier-Stunden-Schicht vor: Während sich 90 Personen vier Stunden hinlegen konnten, mussten 90 weitere vier Stunden im Sitzen auf ihren Schlafplatz warten. Unterm Strich wären in den Kammern also nur 1.080 Menschen untergekommen, alle übrigen hätten mit einem Klappsitzplatz entlang der Wände Vorlieb nehmen müssen.
Der Verein „Unterirdisches Saarland“ hat auf Warte-Sitzbänken in einer Schlafkammer Kanister aufgereiht. Mit zwei Litern Wasser hätte jeder Bunkerinsasse täglich auskommen müssen. Zudem hätten sich die Bewohner hier unten nur mit Komprinat-Nahrung, einer Art Zwieback, ernähren und in der kleinen Küche einen Tee kochen können.
Ob all das zum Überleben gereicht hätte, sei dahingestellt. Der Besuch unter der Erde soll zum Nachdenken anregen, ein Ereignis sein, das einen bewegt und nicht verstummen lässt. So gesehen sei die Anlage „Denkmal im wahrsten Wortsinn“, sagt Florian Brunner. Und sie ist ein wertvolles Zeitzeugnis, das es nach dem Willen des Vereins „Unterirdisches Saarland“ auf jeden Fall zu erhalten gilt.