Viele der natürlichen unterirdischen Hohlräume gelten noch immer als weiße Flecken unseres Globus. Und doch können sie vielfältige Hinweise auf die frühesten Phasen der Menschheitsgeschichte liefern.
Mit Höhlen verbanden die Menschen über viele Jahrtausende etwas Geheimnisvolles, Faszinierendes, aber auch Furchteinflößendes. Sie waren fester Bestandteil von Mythen, Sagen oder Märchen. Im religiösen Kosmos des antiken Griechenlands galten bestimmte Höhlen als Vorhof zum Hades, auch bei der späteren Hochkultur der Maya wurden sie als allerheiligste Orte und Eingänge zur Unterwelt angesehen. Mythologische Wesen wie die Harpyien im alten Kreta oder später der im Riesengebirge angesiedelte Berggeist Rübezahl wurden dem Reich der ewigen Dunkelheit, Stille und lebensfeindlichen Kälte ebenso zugeordnet wie Drachen, Ungeheuer, Teufel oder Zwerggestalten.
Platon hatte den unbekannten, zumeist feucht-modrigen Hohlräumen unter der Erde mit seinem berühmten Höhlengleichnis ein philosophisches Denkmal gesetzt, auch wenn er sie mit den dort eingeschlossenen Menschen nur als Sinnbild für die Welt der vergänglichen Dinge benutzt hatte. Aber auch die Schutzfunktion der Höhlen war den Erdenbewohnern aller Zeiten durchaus bewusst, auch wenn die archetypische Bedeutung des mit Geborgenheit assoziierten Mutterleibs erst so richtig infolge der psychologischen Forschungen eines Carl Gustav Jung ins allgemeine Bewusstsein Einzug hielt. Und viele Christen glauben daran, dass Jesus nicht etwa in einem Stall, sondern in einer Höhle geboren wurde, wovon die Anziehungskraft der Jerusalemer Geburtskirche bis heute beredtes Zeugnis ablegt.
Orte für Kultische Handlungen
Auch wenn man lange davon ausgegangen war, dass die Vorfahren des modernen Menschengeschlechts während der Steinzeit in schützenden Höhlen wohnten, wovon der Begriff „Höhlenmenschen“ zeugt, so ist man inzwischen zu der Auffassung gelangt, dass Höhlen nicht dauerhaft besiedelt waren, sondern vor allem für kultische Handlungen oder auch für Grablegungen genutzt wurden. In diesem Zusammenhang könnten dann auch die kunstvollen Höhlenmalereien entstanden sein, deren älteste bislang entdeckte Exponate im südafrikanischen Kapstadt vor 73.000 Jahren geschaffen wurden. Allenfalls unter überhängenden Felswänden oder im Umfeld von Höhleneingängen ließen sich die Altsteinzeitbewohner kurzzeitig als Alternative zu primitiven Hütten oder Zelten nieder, weil sie dort nicht in Gefahr gerieten, im Qualm des von ihnen entfachten Feuers zu ersticken, oder weil sie dadurch auch ein Zusammentreffen auf engstem Raum mit gefährlichen Tieren wie den heute ausgestorbenen riesigen Höhlenbären oder Säbelzahntigern vermeiden konnten.
Die älteste unterirdische Anwesenheit von frühen Menschen, wahrscheinlich aus der Gattung Homo habilis, konnte anhand von Funden in der südafrikanischen Wonderwerk-Höhle auf die Zeit vor rund zwei Millionen Jahren datiert werden. Selbst noch im viel später erschienenen Alten Testament, in dem palästinensische Höhlen häufiger erwähnt wurden, dienen diese hauptsächlich als Versteck auf der Flucht oder zur Grablegung. Allein von Lot und seiner Tochter wird berichtet, dass diese eine Höhle ganz bewusst als Wohnstätte ausgewählt hatten.
Eine verbindliche Definition des Begriffs „Höhle“ konnte bislang noch nicht erstellt werden. Die 1965 gegründete Internationale Union für Speläologie – der vom Griechischen abgeleitete Fachbegriff für Höhlenforschung/Höhlenkunde – hat daher vorgeschlagen, eine Höhle als „natürlichen, mehr als menschengroßen unterirdischen Hohlraum“ zu definieren. Ergänzend hatte der renommierte österreichische Höhlenforscher Hubert Trimmel die Ummantelung des Hohlraums durch Gestein und eine gewisse Längen- sowie Höhenvorgabe angefügt.

Bei der Speläologie handelt es sich um eine noch recht junge Wissenschaftsdisziplin. Als Urvater gilt der französische Jurist Édouard Alfred Martel (1859 – 1938), der sich ab 1888 vor allem die Erforschung südfranzösischer Höhlen zur Aufgabe setzte und darüber mehr als 1.000 Publikationen veröffentlichte. Martels Bücher über Höhlen waren zur Jahrhundertwende absolute Bestseller und durften in keiner gut sortierten privaten Bibliothek fehlen. In Deutschland hatte die Auffindung der Skelettreste des Neandertalers im Jahr 1856 in einer Höhle des bei Düsseldorf gelegenen Neandertals der hiesigen Höhlenforschung zu einem regen Auftrieb verholfen.
Einen eigenen Berufszweig des Höhlenforschers oder Speläologen gibt es nicht. Nur die wenigsten Höhlenforscher (größtenteils männlichen Geschlechts) sind ausgebildete Wissenschaftler. Meist handelt es sich um ehrenamtliche Höhlenbegeisterte, die sich in ihrer Freizeit in reißfester, wasserdichter Kleidung, mit Kletterausrüstung, Schutzhelm und verschiedensten Lichthilfsmitteln auf teils beschwerliche Entdeckungsreisen in die Tiefen der Erde begeben. Mit ihren Erkundungen schaffen sie die Basis für weiterführende Arbeiten von Spezialisten verschiedenster Fachbereiche wie Anthropologen, Paläontologen, Geologen, Hydrologen oder Archäologen. Höhlenforscher suchen in verwinkelten und häufig rutschigen Gängen als eine Art Hilfswissenschaftler ganz bewusst das Abenteuer oder den Emotionskick. Klaustrophobie oder daraus resultierende Panikattacken sollten ihnen dabei fremd sein.
Als oberster Grundsatz gilt, dass sie bei ihren Touren nichts im Höhleninneren verändern. Das Motto lautet: „Nimm nichts mit, lass nichts zurück, zerstöre nichts und schlag nichts tot.“ Nur dann kann gewährleistet sein, dass die Höhlen dank der konstant-konservierenden Temperaturen in ihrem Inneren gewissermaßen als Archive der Erdgeschichte wissenschaftlich ausgewertet werden können, beispielsweise durch Auffinden von Knochenresten oder durch Untersuchungen von Einschlüssen in Tropfsteinen, die bis zu 200.000 Jahre alt sein können. „In der Höhle steht die Zeit still“, so der renommierte deutsche Höhlenforscher Andreas Kücha, der im Hauptberuf Schreiner ist: „Wenn Menschen in 1.000 Jahren wiederkommen, sieht es noch aus wie jetzt.“ Nur wenige Pflanzen oder Tiere konnten ihre Lebensweise den unwirtlichen Bedingungen tief unter der Erde anpassen. Mit viel Glück können neben Moosen, Pilzen und Flechten womöglich Grottenolm, Höhlenflohkrebs, Höhlenblindfisch, Grillen oder diverse Käfersorten entdeckt werden.
„In der Höhle steht die Zeit still“
Deutschland ist in manchen Teilen geradezu ein Paradies für Höhlenforscher. Mehr als 11.000 Hohlräume konnten schon erfasst werden, wobei viele kaum länger als zehn Meter sind. Anders die Riesending-Schachthöhle im Untersberg in den Berchtesgadener Alpen: Mit einer Länge von 22.600 Metern und einer Tiefe von 1.149 Metern gilt sie als einsamer hiesiger Rekordhalter.
Die meisten deutschen Höhlen sind nicht öffentlich zugänglich. Allerdings gibt es inzwischen auch mehr als 50 Schauhöhlen, die auf Führungen erkundet werden können. Dass Höhlen in Deutschland so verbreitet sind, liegt an den großflächig vorhandenen, für die Bildung der Hohlräume infolge der Löslichkeit des Gesteins sehr vorteilhaften Karstgebiete. Das hatte beispielsweise auch in den USA im Bundesstaat Kentucky die Entstehung der weltweit mit 675 Kilometern längsten Höhle der Welt, befördert, der Mammoth Cave. Daneben gibt es aber auch Höhlen, die ihre Entstehung der Erosion, der Korrosion, tektonischen Bewegungen der Erdkruste oder auch Vulkanausbrüchen mit Lava-Freisetzung verdanken.
Es wird zwischen sogenannten primären Höhlen und sekundären Höhlen unterschieden, wobei Erstere annähernd gleichzeitig wie das umgebende Gestein entstanden sind, während sich die andere Höhlen-Gruppe deutlich später als das umgebende Gestein gebildet hat. Auch eine begriffliche Unterscheidung nach dem auffälligsten Material ist üblich, wie es die Beispiele Tropfstein-, Wasser- oder Eishöhle veranschaulichen mögen. Bei Schachthöhlen verläuft das unterirdische System weitestgehend in vertikaler Richtung. Im Normalfall entspricht die Zusammensetzung der Höhlenluft jener der Außenluft, und es herrscht im Höhleninneren generell eine hohe Luftfeuchtigkeit von annähernd hundert Prozent vor.