Nach der Katastrophen-Saison wollen die Eisbären Berlin mit einem deutlich veränderten Kader einen neuen Angriff auf den Titel wagen. Die Qualität der Neuzugänge lässt auf eine erfolgreiche Saison hoffen.
Zumindest in der Nationalmannschaft haben die Eisbären Berlin nicht an Stellenwert eingebüßt. Kurz vor dem letzten Cut durch Bundestrainer Harold Kreis standen noch fünf Profis des DEL-Rekordmeisters im vorläufigen Aufgebot für die WM in Finnland und Lettland (12. bis 28. Mai). Zu dem Quintett Jonas Müller, Marco Nowak, Marcel Noebels, Manuel Wiederer und Tobias Ancicka gesellte sich zudem Bald-Eisbär Tobias Eder, der in der neuen Saison für Berlin auflaufen wird. Die Nominierungen fürs Nationalteam zeigen aber auch, dass die Qualität der deutschen Spieler im Eisbären-Kader enorm ist – was das blamable Abschneiden des entthronten Titelverteidigers in der abgelaufenen Saison nur noch rätselhafter macht. Damit der neunmalige Deutsche Meister diese Schmach hinter sich lassen und wieder den Titel angreifen kann, wird aktuell jede Personalstelle hinterfragt. Ein Umbruch ist unumgänglich – und er ist von den Verantwortlichen bereits eingeleitet worden.
Trotz Kader-Qualität eine blamable Saison
Trainer Serge Aubin und Sportdirektor Stephane Richer durften nach dem Verpassen der Play-offs als indiskutabler Tabellenelfter zwar bleiben, doch sie arbeiten mehr oder weniger auf Bewährung. Der Neustart muss funktionieren, sonst wackeln auch ihre Posten. „Nach der enttäuschenden Saison haben wir uns dazu entschlossen, einen umfangreichen personellen Umbruch zu starten“, sagte Richer. Auch Aubin, dessen Vertrag trotz der katastrophalen Saison für manche überraschend verlängert wurde, hält die Veränderungen im Kader für zwingend, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen: „Vor uns liegt eine Menge Arbeit. Ich stecke voller Tatendrang und starte direkt mit der Vorbereitung auf die neue Saison. Wir wollen die vergangene Spielzeit vergessen machen und wieder ein Topteam sein.“
Und um wieder top zu sein, braucht es neue Köpfe. Besonders große Hoffnungen ruhen auf Tobias Eder. Der Angreifer wurde als erster externer Neuzugang präsentiert und sorgte sogleich für neue Euphorie im Club. Eder ist deutscher Nationalspieler, torgefährlich, mit 25 Jahren im besten Eishockey-Alter, außerdem war er bei seinem Ex-Verein Düsseldorfer EG zuletzt unumstrittener Führungsspieler. All das können die Eisbären dringend benötigen. Dass die alte Saison für seinen neuen Arbeitgeber ein Fiasko war, könnte sich für Eder sogar als Vorteil herausstellen. „Es ist für mich jetzt wahrscheinlich sogar einfacher, als in eine Meistermannschaft reinzukommen“, sagte der Stürmer: „Jetzt findet ein größerer Umbruch statt, als es die Jahre davor der Fall war. Ich bin guter Dinge und freue mich riesig.“
Eder war mit 18 Toren der beste Torschütze der Düsseldorfer in der DEL-Hauptrunde, er gilt als zweikampfstark und vielseitig. In Berlin wolle er sich in einem neuen Umfeld „weiterentwickeln“ – und Titel gewinnen. „Ich bin genau dann mit einer Saison zufrieden“, sagte er, „wenn wir das letzte Spiel gewinnen. Und das ist dann hoffentlich nicht das 56. der Hauptrunde“. Solch forsche Ansagen, die jedoch das Selbstverständnis des Clubs widerspiegeln, können aktuell eigentlich nur von externen Spielern kommen. Auch deshalb krempeln die Eisbären ihren Kader kräftig um.
Neben der Verpflichtung von Eder sind die Verantwortlichen auch auf den Deal mit Ben Finkelstein stolz. Der US-Amerikaner ist ein gestandener Verteidiger, der im Jahr 2016 von den Florida Panthers im NHL-Draft ausgewählt wurde. Zuletzt war Finkelstein erfolgreich für die Vienna Capitals in der österreichischen Eliteliga aktiv. „Ben Finkelstein ist ein sehr guter Offensiv-Verteidiger, an dem wir viel Freude haben werden“, prophezeite Richer: „Er ist läuferisch sehr stark und kann auch in Überzahl eingesetzt werden.“ Neben diesen Qualitäten setzen die Eisbären auch auf den „gefährlichen Schuss“ des Abwehrmannes, der von der blauen Linie schon viele Tore erzielen konnte. „In seiner ersten Saison in Europa hat er alle von seinen offensiven Fähigkeiten überzeugt“, meinte Richer. Finkelstein selbst blickt „voller Vorfreude“ auf seine neue Aufgabe.
Einer, der den Club bereits bestens kennt, ist Blaine Byron. Der 28-Jährige kehrt nach einer Saison in Schweden zurück zu den Eisbären, worüber sich vor allem Marcel Noebels und Leo Pföderl freuen. Mit den beiden deutschen Nationalspielern stellte Byron in der Meistersaison 2021/22 eine Traum-Sturmreihe. Allein Byron gelangen in 54 Spielen 23 Tore und 33 Assists. Die Rückkehr des Kanadiers soll aber nicht nur Noebels und Pföderl, sondern dem ganzen Team und dem ganzen Club einen Schub geben. „Er hat bewiesen, dass er den Unterschied ausmachen kann. Er hat großen Anteil am Gewinn unseres Meistertitels vor einem Jahr“, sagte Richer. Dem Sportdirektor ist es gelungen, den Angreifer gleich für zwei Jahre an den Hauptstadtclub zu binden. „Ich könnte nicht begeisterter sein, wieder zurück nach Berlin zu kommen“, sagte Byron selbst. Für ihn habe die Zusage angeblich „außer Frage“ gestanden, als die Eisbären ihn kontaktiert hatten. Wohl auch, weil seine Zeit in Schweden bei IK Oskarshamn nicht so erfolgreich lief wie erhofft. Byron kam dort – auch verletzungsbedingt – nur auf 26 Spiele.
Ancicka und Eisbären mit vielen Problemen
Doch wo es Zugänge gibt, muss es auch Abgänge geben. Die Torhüter Tobias Ancicka und Juho Markkanen sowie die Feldspieler Giovanni Fiore, Frank Mauer, Bennet Roßmy, Peter Regin, Marco Baßler, Jan Nijenhuis und Lewis Zerter-Gossage haben den Club verlassen. Der 22-jährige Ancicka wechselte zu den Kölner Haien, wo er sich mehr Rückhalt verspricht als in Berlin. Als Nachfolger von Meistergoalie Mathias Niederberger wurde der Jungprofi immer kritisch beäugt, fast jeder Fehlgriff hatte eine Torhüter-Diskussion zur Folge. Selbst der Abgang zeigt, wie kompliziert die Sache zwischen Ancicka und den Eisbären war. Während Sportdirektor Richer öffentlich vom Vereinsinteresse einer weiteren Zusammenarbeit sprach („Tobias hätte bleiben können“), betonte der Neu-Nationalspieler: „Ich habe kein Vertragsangebot bekommen.“
Auch Nachwuchstalent Bennet Roßmy verließ Berlin, der 19-Jährige schloss sich der Düsseldorfer EG an. Dort ist man besonders stolz darauf, den Zuschlag für den in der DEL zum „Rookie des Jahres“ gekürten Stürmer erhalten zu haben. „Bennet Roßmy hat trotz seines jungen Alters schon zwei Jahre DEL-Erfahrung bei den Eisbären gesammelt und bringt alles mit, um bei uns den nächsten Schritt in seiner Karriere zu machen“, sagte DEG-Sportdirektor Niki Mondt: „Wir halten ausgesprochen viel von ihm und sind sehr froh, dass sich Bennet für die DEG entschieden hat.“
Roßmy folgt damit Kevin Clark, der zuvor schon den Düsseldorfern sein „Jawort“ gegeben hatte. Der Topangreifer verlässt die Eisbären nach 113 DEL-Spielen mit beachtlichen 35 Toren und 41 Assists. Doch für einen erfolgreichen Umbruch müssen auch altgediente Haudegen weichen. „Wir danken Kevin Clark für seine Zeit bei den Eisbären. Kevin hat sich durch die gewonnene Meisterschaft sehr verdient gemacht“, sagte Richer. Aber „mit Blick auf die Ausrichtung der Mannschaft“ habe man gemeinsam mit dem Profi diese „schwierige Entscheidung“ treffen müssen. Dagegen wurden Ende März die Verträge von Manuel Wiederer und Rayan Bettahar sowie von Assistenztrainer Craig Streu verlängert. Somit standen zum 1. Mai insgesamt 20 Spieler unter Vertrag, vier Ausländerlizenzen waren noch frei.