Seit Monaten fordern Länder und Kommunen vom Bund weitere Hilfen bei der Versorgung von Migranten. Nun soll es ein Flüchtlingsgipfel beim Kanzler richten. Signale, dass der Bund zu mehr Leistungen bereit ist, sind derzeit nicht zu sehen.
In der letzten Bundesratssitzung platzte selbst dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) der Kragen: „Der Bund muss den Ländern finanziell bei der Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen endlich beispringen, wir können das nicht mehr allein bewerkstelligen.“ Bemerkenswert: Der niedersächsische Landeschef gilt als Vertrauter des Kanzlers.
Auch der Deutsche Landkreistag schlägt seit Wochen Alarm, den Kommunen drohe nicht die völlige Überlastung, das sei bereits der Fall, sie stünden vielmehr vor dem Kollaps, so Präsident Reinhard Sager. Sein Verband vertritt 294 deutsche Gemeinden mit insgesamt mehr als 56 Millionen Einwohnern – und damit fast 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland.
Kommunen schlagen seit Langem Alarm
Ähnliche Warnungen kommen vom Städte- und Gemeindebund, auch hier gilt die Alarmstufe Rot. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg warnte bereits im Februar gegenüber FORUM: „Die Städte und Gemeinden sind längst an ihrer Leistungsgrenze angelangt. Gemeinsam mit einem hohen Engagement der Bevölkerung sind vor Ort die Unterbringung, Versorgung und beginnende Integration noch gelungen. Das Dilemma zwischen der humanitären Pflicht und den faktischen Möglichkeiten wird immer größer. Es fehlen ausreichende Unterkünfte und Wohnraum. Kitas und Schulen sind überlastet und freie Plätze in Sprach‐ und Integrationskursen kaum verfügbar.“ Landsberg spricht damit auch den Umstand an, dass die Bevölkerung in den letzten fast zehn Jahren allen Prognosen zum Trotz um beinahe vier Millionen gestiegen ist. Hauptgrund dafür ist die Migration, die Deutschland eigentlich dringend braucht. Doch die Städte und Gemeinden sind darauf überhaupt nicht vorbereitet.
Eine Planung für die wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Integration, Unterbringung, Kitas, Schulen und vor allem berufliche Eingliederung der Geflüchteten, kurz, eine nationale Strategie für Migration gibt es bis heute nicht. Die Menschen kommen aus aller Herren Länder, wollen für sich Zukunft in Deutschland gestalten und landen erstmal im Dickicht der deutschen Bürokratie, zwischen Asylanträgen, Duldung und Aufenthaltsrecht. Wobei es nun obendrein seit dem Ukrainekrieg auch noch Flüchtlinge erster und zweiter Klasse zu geben scheint. Nach Ausbruch des Krieges wurde für Flüchtlinge aus der Ukraine ein anderer Status geschaffen, um schnelle Aufnahme zu ermöglichen. Der Bund übernimmt zwar den größeren Teil der Kosten, dennoch sind die Kommunen sind mit den Leistungen, die sie erbringen müssen, massiv unter Druck.
Geflüchtete aus der Ukraine werden unmittelbar als Kriegsflüchtlinge anerkannt und haben umgehend Anspruch auf die Leistungen nach SGB II und damit auch Anspruch auf die Bezahlung des Wohnraums, wenn sie ihn denn finden. Was trotz Bundesmitteln den Bundesländern und am Schluss vor allem den Kommunen finanziell zu Lasten fällt.
Auch wenn Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine theoretisch nach ihrer Ankunft sofort arbeiten dürfen, ist das derzeit lediglich bei etwa zehn Prozent der Fall, so das Statistische Bundesamt. Da ist zum einen die Sprachbarriere und dazu kommt: Es sind vor allem Frauen mit Kindern, die flüchten mussten.
Es ist vermutlich eines der schwersten Versäumnisse der Kanzlerschaft von Angela Merkel, in 16 Jahren kein Zuwanderungsgesetz geschaffen zu haben. Zumindest nach den Erfahrungen des Flüchtlingszuzugs im Sommer 2015 wäre es dringend an der Zeit gewesen, das gesamte Asylrecht in Deutschland zu überdenken und ein Zuwanderungsgesetz umzusetzen.
Die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war dazu nicht geneigt, vermutlich um innerparteiliche Diskussionen zwischen CDU und CSU zu vermeiden. Und ihr damaliger Vizekanzler Olaf Scholz hat es versäumt, die Notwendigkeit einer gesetzlichen Steuerung der Zuwanderung einzufordern. Sowohl Merkel als auch Scholz ließen es einfach weiterlaufen. Das fällt nun den Kommunen gerade finanziell auf die Füße. Sie müssen sich vor allem um die Unterbringung kümmern, dabei ist Wohnraum ohnehin gerade ein knappes Gut. So werden Geflüchtete auch in Wohncontainern, Turnhallen oder Zelten auf Brachen in Gewerbegebieten untergebracht. Damit ist es aber nicht getan. Die Menschen brauchen eine Perspektive.
Nicht nur die Bürgermeister und Landräte, sondern auch die Ministerpräsidenten der Länder mussten Bundeskanzler Olaf Scholz wochenlang um ein persönliches Gespräch bitten. Nun stellt er sich diesem Thema doch endlich noch. Nun, am zweiten Mittwoch im Mai, kommt es zum ersehnten Flüchtlingsgipfel beim Kanzler. Dieser Termin kommt Scholz mehr als ungelegen, denn es geht um sehr viel Geld, das die Länder von ihm einfordern. Letzten Rechnungen der Ministerpräsidenten zufolge sind es gut zehn Milliarden zusätzliche Forderungen – allein für dieses Jahr. Doch die Rechnung soll beim Kanzler-Flüchtlingsgipfel auch für das kommende Jahr aufgemacht werden. Die Länder beziehungsweise Kommunen brauchen finanzielle Planungssicherheit. Für dieses Jahr ist im Bundeshaushalt eigentlich für mögliche weitere zehn Milliarden Euro kein Spielraum mehr, und im kommenden Jahr wird es erst recht ganz eng.
Zehn Milliarden Euro zusätzlich nötig
Bereits jetzt liegt das Planungs-Volumen des kommenden Bundeshaushalts weit über dem von Bundesfinanzminister Christian Lindner veranschlagten Haushaltsrahmen. Wobei dieser Rahmen selbst immer noch unklar ist. Der Minister hatte die geplante Vorstellung der Eckdaten für den Haushalt 2024 kurzfristig abgesagt. Seine Kabinettskolleginnen und Kollegen fordern für ihre Ressorts deutlich mehr Mittel, als Lindner freigeben will. Er will die Schuldenbremsenkriterien wieder einhalten, betont ein ums andere Mal, es könne nicht mehr ausgegeben werden, als erwirtschaftet wird.
Nun hofft offensichtlich nicht nur Bundeskanzler Olaf Scholz, sondern auch Finanzminister Lindner auf die Steuerschätzung im Mai. Sollten dort weitere Milliarden absehbare Mehreinahmen für das kommende Jahr auftauchen, müssten diese dann zuallererst den Ländern für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt werden, da sind sich alle Ministerpräsidenten einig. Sie warnen davor, dass der Zustrom von Geflüchteten weitergehen wird. Darauf deuten auch die Zahlen der ersten Monate des laufenden Jahres hin. Damit werden die finanziellen Anforderungen auf keinen Fall kleiner, eher größer.
Im Vorfeld des Flüchtlingsgipfels prüft man nun im Kanzleramt, ob eine Änderung des europäischen Flüchtlingsrechts Abhilfe schaffen könnte. Die Aufnahmezentren könnten vor die EU-Grenze verlegt werden. Dort sollen Migranten abgefangen und notfalls auch in sogenannten Aufnahmestellen untergebracht werden. Kritiker in der SPD und vor allem bei den Grünen sprechen von Abschiebegefängnissen noch vor der EU-Demarkationslinie. Politisch dürfte dies für Kanzler Scholz in seiner Ampelregierung also schwer durchzusetzen sein. Sollte es dazu kommen, wäre den Ländern und Kommunen allerdings nicht wirklich geholfen. Möglicherweise würde der Zustrom Geflüchteter etwas abnehmen. Damit sind aber noch keine neuen Unterkünfte, Kitas oder Schulen gebaut und auch das zusätzlich benötigte Personal nicht bezahlt.
Die Länder fordern das Geld vom Bund. Der aber stellt sich bislang klar auf die Position, er selbst tue schon genug. Dass das nicht reicht, ist allen Beteiligten hinlänglich bekannt. Ob die Erkenntnis auch zu Verabredungen am 10. Mai beim Flüchtlingsgipfel führt, gar zu Zusagen, ist derzeit nicht absehbar.