Die Geigen-Virtuosin Anne-Sophie Mutter über ihren Film „Vivace“, über E- und U-Musik, den erotischen Aspekt des Geigenspiels – und was der Tod ihres ersten Mannes verändert hat.
Wer die Ausnahmekünstlerin einmal ganz privat erleben möchte, hat jetzt im Kino die Gelegenheit dazu. In dem Dokumentarfilm „Vivace“ (ab dem 28. März im Kino) lernt man Anne-Sophie Mutter nicht nur als Musikerin, sondern auch als sportliche, politisch und sozial engagierte Frau kennen. Regisseurin Sigrid Faltin hat die Gespräche mit Archivaufnahmen aus fünf Jahrzehnten ergänzt. Mit „Vivace“ ist ihr ein einzigartiges, sehr lebendiges Portrait gelungen. In ihrem Münchener Büro trafen wir Anne-Sophie Mutter zu einem offenen Gespräch.
Frau Mutter, Sie sagten einmal: „Wenn Sie mich kennenlernen wollen, müssen Sie mich auf der Bühne erleben.“ Was hat Sie bewogen, sich jetzt auch privat zu öffnen?
Ich bin immer noch davon überzeugt, dass das Privateste eines Musikers auf der Bühne stattfindet. Aber ich zwinge ja niemanden in meine Konzerte zu gehen, um mich kennenzulernen. Nach einem sehr langen E-Mail-Kontakt mit der Regisseurin, Frau Faltin, nahm das Projekt dann endlich Fahrt auf. Sie hat mich nämlich damit geködert, dass ich für den Film auch Gespräche führen könnte mit Menschen, die mir sehr am Herzen liegen. Wie beispielsweise Roger Federer! (lacht). Als er zusagte, habe ich gesagt: Okay, let’s do it! Natürlich habe ich im Film auch noch mit anderen Menschen gesprochen, darunter Daniel Barenboim und John Williams.
Unterscheiden Sie zwischen ernster Musik und Unterhaltungsmusik?
Nein, für mich gibt es nur gute oder schlechte Musik. Es gibt in der klassischen modernen Musik meisterhaft geschriebene Werke, von denen ich einige nicht verstehe. Manche davon können aber durchaus an den Emotionen der Zuhörer und der Musiker andocken. Und es gibt Musik, die einfach nur unsinnig ist – also trash. Auch auf die sogenannte Unterhaltungsbrache trifft das zu. Aber auch dort gibt es wunderbare Songs und großartige Texte.
Mit Ihrem zweiten Mann, André Previn, haben Sie neben Klassik auch viel Jazz und Popmusik gehört. Was denn genau?
Was die Popmusik betrifft, da habe ich vor allem das gehört, was aus den Zimmern meiner Kinder herausschallte. Aber meine große Leidenschaft war – neben John Legend und den Beatles und den Stones – vor allem Elvis. Ich war ein großer Elvis-Fan! Eine weitere Konstante in meinem Leben ist, neben der klassischen Musik, sicher der Jazz. Zum Beispiel so große Künstler wie Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Oscar Peterson und Miles Davis.
Wenn Sie Menschen neu kennenlernen, was ist Ihnen da besonders wichtig?
Humor! Humor ist eminent wichtig. Humor erlöst uns von allen Tragödien des Lebens.
Spiegelt Ihr Geigenspiel Ihren Seelenzustand wider?
Ich habe mich oft gefragt, inwieweit informieren die Lebensumstände von Komponisten ihre Werke? Wie viel will ich aus ihren Biografien in ihren Werken wiederfinden?
Im Laufe der Zeit hat sich der Umgang mit Werken, die ich seit meiner Jugend kenne, wie zum Beispiel Beethoven, Mozart oder Brahms, schon sehr geändert. Denn das Leben verändert sich ja auch ständig. Es lässt uns wachsen, bereichert und erschüttert uns und lässt uns neue Dinge erkennen. Das alles fließt dann natürlich in die Interpretation eines Stücks mit ein. Aber sicher nicht ungefiltert. Die Musik ist ja keine Couch, auf der ich mich ausbreite.
In „Vivace“ gibt es Filmausschnitte, die Sie als junges Mädchen zeigen …
Viele dieser Ausschnitte kannte ich gar nicht. Vor allem die klangliche Entwicklung von einer Achtjährigen zu einer 58-Jährigen fand ich ungeheuer spannend. Im Laufe des Lebens wird man facettenreicher. Das heißt nicht zwangsläufig, dass man besser wird, aber es ist die permanente Wandlung, die ich faszinierend finde.
„Zufall ist, was Gott einem zufallen lässt“, sagen Sie im Film. Ist Ihnen das Talent, so virtuos Geige spielen zu können, zugefallen?
Diesen Satz hat mein Tauf-Pfarrer gesagt. Die spannende Frage, was an meinem Spiel Talent ist, was Disziplin, und was die Umgebung, kann ich nicht beantworten. Ich glaube auch, dass jeder Mensch mit sehr vielen Talenten auf die Welt kommt.
Es ist doch zunächst einmal die wunderbare Aufgabe der Eltern, ihr Kind zu fördern. Und dem Kind eine Vielfalt von Möglichkeiten und außerschulischen Betätigungen aufzuzeigen. Dazu gehört neben dem Sport auch das Erlernen irgendeines Instruments. Ich hatte das große Glück, dass der Wunsch, Geigenstunden zu nehmen, ernst genommen wurde. Er entstand ja nicht aus einem Vakuum heraus – sondern weil bei uns daheim ständig Klassik oder Jazz-LPs abgespielt wurden. Ich war sicher auch prädisponiert fürs Geigenspielen. Und das wurde gefördert. So gesehen bin ich ein Riesenglückspilz!
Vom Wunderkind zur ausgereiften Künstlerin – können Sie den Weg dorthin kurz beschreiben?
Der große Geiger Pinchas Zukerman hat mit rund 40 Jahren einmal den genialen Satz gesagt: „Das Wunder ist gegangen – und das Kind ist geblieben.“ (lacht) Das trifft auch auf mich zu.
Hat das Geigenspiel auch einen erotischen Aspekt?
Kunst ist ja so wahnsinnig vielschichtig und vielfältig und trägt alle menschlichen Aspekte und Facetten in sich. Natürlich ist der Umgang mit einem Instrument etwas Sinnliches. Da geht es ja immer auch um Fühlen und Reagieren. Erotik hat hoffentlich auch etwas mit einem Dialog zu tun. Dann stellt sich beim Spielen manchmal auch der „Flow“ ein. Der „Flow“ ist nicht nur ein wunderschöner Zustand, sondern auch einer, bei dem man scheinbar mühelos alles abrufen kann, wofür man so hart gearbeitet hat. Im „Flow“ werden Zeit, Raum und Mensch eins.
Das schließt dann auch mich mit meiner Geige ein. Dann kann man zum Beispiel ein Beethoven-Werk für drei Stunden mit allen Menschen im Saal teilen. Das ist in der Erinnerung etwas sehr Wertvolles.
Sie sagen im Film, dass Sie durch den Tod Ihres ersten Mannes „richtig hingerückt“ wurden. Was meinen Sie damit denn genau?
Mein Leben war ja nicht nur eitel Sonnenschein. Ich bin großartigen Menschen begegnet, und es gab auch große Verwürfnisse, Zerwürfnisse und Tragödien. Aber ich hatte das große Glück, die Liebe meines Lebens zu finden. Wir bekamen zusammen eine Tochter, Arabella; dann kündigte sich unser Sohn Richard an, und zur selben Zeit wurde bei meinem Mann der Lungenkrebs diagnostiziert. Da bin ich regelrecht aus dem Paradies vertrieben worden. Mein Engagement für die Deutsche Krebshilfe als Präsidentin erwächst natürlich auch aus dieser Erfahrung. Als ich Zeuge dieses großen Leids wurde. Aber auch zu sehen, mit welcher Würde ein Mensch diese Krankheit durchstehen konnte. Der Krebs ist ein Thema, das mich sehr beschäftigt. Weil es mir am Herzen liegt, dass das Stigma, an Krebs erkrankt zu sein und sich abgeschrieben zu fühlen, endlich wegmuss. Aber zurück zum „zurecht-gerückt werden“: Sein Tod hat mir eben gezeigt, dass alles von jetzt auf sofort zu Ende sein kann. Und es hat auch Prioritäten in meinem Leben neu definiert.
Hat man sich damals nicht auch öffentlich darüber gewundert, dass Sie Konzertgeigerin sind und gleichzeitig Kinder großziehen?
Ja, in den 90er-Jahren hat man schon versucht, mir immer wieder Steine in den Weg zu legen. Man hat mir auch oft gesagt: „Ja, heiraten können Sie nicht, bei diesem Beruf!“ Was natürlich absoluter Unsinn ist. Ich habe meine Kinder immer weit vor meine musikalische Arbeit gestellt. An dem Vorurteil, dass Frauen Karriere und Familie nicht unter einen Hut kriegen können, hat sich bis heute leider nicht sehr viel geändert. Wir sind immer noch ein Land, das es berufstätigen Frauen wahnsinnig schwer macht.
Stimmt es, dass Sie manchmal darauf verzichtet haben, mit großen Dirigenten und großen Orchestern zusammenzuarbeiten, weil Sie stattdessen ein Wochenende mit Ihren Kindern verbringen wollten?
Immer! Das habe ich immer ganz instinktiv so gemacht. Kinder zu haben hatte natürlich auch den wahnsinnigen Vorteil, dass ich viele blödsinnige Partys absagen konnte, mit dem Hinweis „Ich muss mich ja um meine Kinder kümmern!“ Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe meinen Beruf und sehe auch sehr sinnvolle Ansätze darin, vor allem wenn es um Benefizkonzerte geht. Und auch das Gefühl zu haben, im Leben von Menschen gemeinsame Erinnerungen zu schaffen, die später nachklingen.
Ein Anliegen von Ihnen ist auch, die klassische Musik aus der Ecke herauszuholen und in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Wie kann das gelingen?
Wo legen wir denn den Grundstein für die Erziehung unserer Kinder? In der Kita, im Kindergarten und der Grundschule. Wann soll denn ein Kind überhaupt etwas lernen? Wann etwas über Ethik, Philosophie, Literatur, Kunst, die verschiedenen Religionen oder darüber, was ein Mensch mit seiner Phantasie erschaffen kann? Und wann etwas über Musik? Sehr wichtig ist mir dabei immer die Freude am Ausdruck meiner selbst – und des anderen! Die Freude, die man miteinander empfindet. Dabei sollten wir auch das Staunen nicht vergessen.
Warum steht die klassische Musik denn überhaupt in der Ecke? Vielleicht auch deshalb, weil die meisten jungen Leute mit Popmusik aufwachsen? Oder einem das Grundwissen für klassische Musik fehlt?
Gott sei Dank, wenn das unverbildete Hören kultiviert wurde! Das sage ich auch immer zu den Menschen, die an den Schulen für den Musikunterricht zuständig sind. Vor allen denjenigen an den weiterführenden Schulen möchte ich ans Herz legen, dass es für einen Heranwachsenden fast überflüssig ist, sie mit Werkanalyse und Musiktheorie zu quälen. Wenn jemand das unbedingt möchte, kann er ja auf eine Musikhochschule gehen.
… diese Ansicht überrascht jetzt …
… was aber jedes Kind spüren und erleben muss, ist das Hören. Das genaue Hinhören. Es ist unendlich wichtig. Und so eine emotionale Verbindung zum Werk finden. Es nützt überhaupt nichts, die Musik zu intellektualisieren, wenn diese Musik keine Saite in mir zum Schwingen bringt. Das sage ich als professionelle Musikerin. Und wie fühlt sich wohl erst ein junger Mensch, der klassische Musik nur selten im Radio zu hören bekommt, und sie auch in anderen Medien kaum wiederfindet. Dann erzählt einem der Lehrer etwas über das Konstrukt Zwölfton. Manche wenige mögen das spannend finden, aber die meisten wohl nicht. So verliert man sehr viele junge Menschen.
Letzte Frage: Sie haben Ihren Hunden die Namen „Bonnie“ und „Clyde“ gegeben. Aus Liebe zum gleichnamigen Film?
Ich kenne natürlich den Film, aber damals standen zur Wahl: „Sissi und Franzi“ und „Susi und Strolch“ – da fanden wir „Bonnie und Clyde“ dann doch viel spannender.