Deutschland bildet im europaweiten Vergleich das Schlusslicht in puncto Lohngerechtigkeit. Mit einem neuen Gesetz will die Europäische Union der Ungleichbehandlung jetzt entgegenwirken.
In der Europäischen Union soll es künftig ein wenig gerechter zugehen. Zumindest wenn es um die Bezahlung von Männern und Frauen im Berufsleben geht. Der Rat der Staatengemeinschaft hat am 24. April 2023 neue Vorschriften zur Lohntransparenz angenommen. Frauen von Athen bis Dublin sollen durch die neue Richtlinie weniger durch geschlechtsspezifisches Lohngefälle benachteiligt werden. Danach müssen jetzt Unternehmen in der Union Informationen über die von ihnen gezahlten Löhne veröffentlichen. Zudem müssen sie Maßnahmen ergreifen, wenn das geschlechtsspezifische Lohngefälle bei ihnen fünf Prozent übersteigt. Damit das Gesetzeskonstrukt kein stumpfes Schwert in Sachen Diskriminierung ist, haben die Beamten in Brüssel noch besondere Bestimmungen mit eingeflochten. So enthält die Richtlinie auch Bestimmungen darüber, dass Opfer von Lohndiskriminierung entschädigt werden. Auch sollen Arbeitgeber, die gegen die Vorschriften verstoßen, sanktioniert werden – einschließlich Geldbußen.
Ost und West unterschiedlich
Dass es in der Realität noch mau aussieht in Sachen Gleichstellung bei Löhnen und Gehältern, zeigen die offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Im vergangenen Jahr verdienten Frauen in Deutschland pro Stunde 20,05 Euro brutto. Das sind 4,31 Euro oder 18 Prozent weniger ist als der durchschnittliche Bruttostundenlohn der Männer. Rechnet man die 18 Prozent in Tage um, arbeiten Frauen 66 Tage umsonst. Der Gender Pay Gap hat sich im Vergleich zum Vorjahr kaum geändert. Arbeitgeber zahlten Frauen 19,12 Euro und Männern 23,20 Euro pro Stunde. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Am größten ist die Kluft mit 23 Prozent in Baden-Württemberg, am kleinsten in Sachsen-Anhalt (6 Prozent).
Die Kluft zwischen den Geschlechtern ist besonders im innereuropäischen Vergleich frappierend. Da bleibt Deutschland eines der Schlusslichter. Von den anderen EU-Staaten wiesen nur Estland und Österreich einen noch höheren geschlechtsspezifischen Verdienstabstand als Deutschland auf. In Luxemburg verdienten Frauen und Männer 2021 erstmals gleich viel. Weitere EU-Staaten mit geringen Unterschieden im Bruttostundenverdienst waren Polen, Rumänien und Slowenien. Die Diskrepanz lag in diesen ehemaligen Ostblock-Staaten unter fünf Prozent.
Das geschlechtsspezifische Lohngefälle in Deutschland lässt sich dem Statistischen Bundesamt zufolge zu fast zwei Dritteln (63 Prozent) auf unterschiedliche Erwerbsbiografien, Qualifikationen und Tätigkeiten von Männern und Frauen zurückführen. Frauen arbeiten häufiger in Branchen und Berufen, in denen schlechter bezahlt wird. Dies betrifft beispielsweise der Care-Arbeit, das Gastgewerbe, den Einzelhandel und die Bekleidungsindustrie. In den Hochlohnbranchen wie etwa der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist der Frauenanteil gering.
Wie auch immer − querbeet durch alle Branchen zeigt sich gleichermaßen eine jeweils unterschiedlich hohe Spanne zwischen den Verdiensten von Männern und Frauen. Zudem arbeiten Frauen öfter in Teilzeit und sind seltener in Führungspositionen vertreten.
Dass bei den Aufstiegschancen nicht an ein ausgeglichenes Verhältnis von männlichen und weiblichen Beschäftigten zu denken ist, zeigt eine neue Studie des Unternehmens Candidate Select (kurz „Case“ genannt) − eine Ausgründung von der Universität Bonn und Tech-Unternehmen. In einem neuen Ranking hat Case den Unterschied zwischen den von Männern und Frauen durchschnittlich erreichten Hierarchiestufen gemessen. Die Auswertungen des sogenannten „Gender Hierarchy Gap“ stützen sich auf mehr als 600 Unternehmen aus zehn verschiedenen Branchen in ganz Deutschland. „Während sich viele Studien mit dem ‚Gender-Pay-Gap‘ beschäftigen, wird selten untersucht, wie sich der zur Bereinigung des Pay-Gaps oft genutzte Hierarchie-Unterschied in verschiedenen Branchen und Unternehmen darstellt“, sagt der Wirtschaftsökonom und Case-Chef Philipp Karl Seegers.
Medienbranche als Schlusslicht
Vergleicht man Branchen untereinander, schneidet die Consulting-Branche am besten ab, dicht gefolgt von der Finanzbranche. Der Bereich Healthcare und Biotech belegt nur den siebten Platz. Ganz am Ende des Rankings landet die Medien- und Marketing-Branche. Hier erreichen in lediglich 18 Prozent der Unternehmen die Frauen im Durchschnitt die gleiche oder eine bessere Hierarchie-Stufe als Männer. Dabei besteht kein Zusammenhang zwischen dem Anteil von Mitarbeiterinnen und der von diesen im Durchschnitt erreichten Position in der Unternehmenshierarchie. „Im Bereich Medien und Marketing arbeiten mehr als 50 Prozent Frauen, dennoch erreichen diese nur selten höhere Positionen als Männer“, sagt Philipp Karl Seegers. Im Consulting sei es andersherum. „Allerdings sind hier nur 35 Prozent der Belegschaft weiblich, dafür arbeiten diese häufiger gleichberechtigt“, so der Ökonom.
Chefinnen sind in ganz Europa weiterhin unterrepräsentiert. In deutschen Führungsetagen arbeiteten im Jahr 2021 weniger als ein Drittel Frauen. Im EU-weiten Ranking der 27 Mitgliedstaaten war das Platz 20. Vorreiterland war Lettland, wo immerhin 46 Prozent aller Führungspositionen von Frauen eingenommen wurden. Auch Schweden und Polen (jeweils 43 Prozent) sowie Estland (41 Prozent) erreichten Quoten jenseits der 40-Prozent-Marke. Die niedrigsten Quoten verzeichneten die Niederlande mit 26, Luxemburg mit 22 und Zypern mit 21 Prozent.
Durch das neue EU-Recht auf Lohntransparenz sollen Europäerinnen nun in die Lage versetzt werden, ihr Recht auf das gleiche Entgelt wie das der Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen. „Mangelnde Lohntransparenz wurde als eines der Haupthindernisse für die Überwindung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles ermittelt, das im Jahr 2020 in der EU nach wie vor bei durchschnittlich rund 13 Prozent liegt“, heißt es in einer Veröffentlichung des Europäischen Rats. Demnach verdienen Frauen durchschnittlich fast ein Sechstel weniger pro Stunde als Männer. Das hat langfristige Folgen. Sie betreffen die Lebensqualität von Frauen, ihr Armutsrisiko und das Rentengefälle. Der Veröffentlichung des Rates zufolge liegt die Rentenlücke in den Mitgliedsstaaten bei rund 30 Prozent.