Mit dem neuen „Mastan“ bringt der südfranzösische Koch Yann Mastantuono frühlingsleichte Bistronomie an den Südstern in Berlin-Kreuzberg – ein kulinarisches Konzept, das bisher in der Stadt gefehlt hat.
Das Tor zum Mittelmeer liegt jetzt im Herzen Kreuzbergs. Genauer gesagt auf der südlichen Seite der Gneisenaustraße. Dort gibt es seit Mitte April ein neues südfranzösisches Restaurant unter der Federführung von Yann Mastantuono. Als der aus Marseille gebürtige Franzose vor wenigen Monaten von seiner Lebensgefährtin erfahren hatte, dass es eine passende Immobilie für sein geplantes Lokal gebe, die sich zudem noch auf der Sonnenseite der Gneisenaustraße befindet, war er sofort Feuer und Flamme.
Der Esprit der französischen Großstadt mit den meisten Sonnenstunden und dem mildesten Klima hat also unweit des Südsterns Einzug in Berlin gehalten. Helligkeit und Leichtigkeit gepaart mit Eleganz und Klarheit – das sind die ersten Eindrücke, die uns beim Betreten des „Mastan“ wie eine leichte Sommerbrise streicheln. Duftende Lilien, weißgetäfelte Wände, helle Holzdielen, fast bodentiefe Fenster und ein großer Spiegel neben der Theke geben das Flair des Südens. Mein Begleiter des heutigen Abends ist ebenfalls angetan von der Atmosphäre, die das „Mastan“ ausstrahlt. Wir nehmen auf den handgefertigten Bistrostühlen Platz und stoßen bei einem Gläschen Blanc de Blanc Crémant von der Loire auf die wärmer werdenden Tage an.
Er kocht, sie richtet alles ein
An den Wänden über uns hängen die gerahmten Illustrationen von Jazz-Musikern aus der Hand des französischen Künstlers und Weinliebhabers Michel Tolmer. Passend dazu dringen dezente Jazztöne aus den Lautsprecherboxen. Doch damit ist die Kunst im „Mastan“ noch nicht zu Ende; vielmehr zieht sie sich wie ein roter Faden durch das gesamte Interieur. So schmückt ein großflächiges abstraktes Werk der Malerin Dorothée Luise Recker eine andere Wand. Der in Ockertönen gehaltene Farbverlauf fügt sich harmonisch ein in das unaufdringliche Ambiente des „Mastan“. Die deutsch-französische Absolventin der École des Beaux-Arts in Paris hat auch die Gestaltung der Innenräume entworfen. Ihre Kunst befasst sich mit Erinnerungen, Orten und heimatlichen Landschaften des Südens.
Seit 2018 sind die Künstlerin und der Koch ein Paar: „Yann bei der Umsetzung seines Traums zu helfen, ist nicht einfach nur ein Liebesbeweis“, sagt sie. „Ich weiß, wie gut er als Koch ist, und ich glaube an das Konzept.“ Wie Yann Mastantuono ist sie in Südfrankreich aufgewachsen. Außerdem verbindet beide die Liebe zu gutem Essen, zum Wein, zur französischen Lebensart und mittlerweile auch eine gemeinsame Tochter. Das Mädchen ist auch einer der Gründe, warum das Paar nach Berlin gezogen ist. Die Eltern wollten, dass das Kind in einer internationalen Stadt und zweisprachig aufwachsen kann. Das sei in Berlin eher gegeben als in Paris, erläutert Yann Mastantuono im Gespräch. Zudem sei die deutsche Hauptstadt der richtige Standort für das neue Restaurant. „Die Menschen sind offen, lässig und genussfreudig“, sagt der Restaurant-Besitzer. „Sie durchschauen Chi-Chi und wünschen sich Ehrlichkeit.“ Das Paar fühlt sich in Berlin angekommen und möchte mit dem Restaurant „dieses gute Gefühl weitergeben“. Im vergangenen Sommer fand das kreative Paar den Standort in Kreuzberg, im Januar dieses Jahres gab es die Schlüsselübergabe und in der zweiten Aprilwoche öffnete das „Mastan“.
Yann Mastantuono, dessen Nachname auf italienische Vorfahren zurückgeht, wurde in seiner Heimatstadt Marseille ausgebildet. Nach ersten Erfahrungen in dortigen Küchen mit unterschiedlichen Stilen zog der Südfranzose nach Paris. Dort lernte er die Bistro-Küche kennen und lieben. Als Küchenchef des Restaurants „Le Verre Volé Sur Mer“ konnte er sein Handwerk verfeinern und sein Wissen rund um die regionale Produktwelt vertiefen.
Im Jahr 2016 holte der große französische Sternekoch Alain Ducasse den jungen Mann zu sich. Heute hat Yann Mastantuono all das, was er in seinem Heimatland gelernt hat, an der Gneisenaustraße 67 miteinander vereint. So verbindet er den Stil zeitgenössischer französischer Bistros mit den Traditionen des Südens – der Provence, des Mittelmeerraums und der vielseitigen Regionen im Südwesten Frankreichs.
Fokus auf Naturbelassenem
Diese Handschrift lässt sich im „Mastan“ schon an der traditionellen Zink-Theke kultivieren. Dort können die Gäste ausgewählte Bio- und Naturweine aus Frankreich, Deutschland und Österreich kosten. Yann Mastantuonos Lokal ist auch eher als Bistronomie zu verstehen; jenes Kofferwort aus Bistro und Gastronomie, dessen Konzept dem Sternekoch Yves Camdeborde zugeschrieben wird. Der Franzose bot in den 1990er-Jahren erstmals Haute Cuisine in einem legereren Rahmen und zu vergleichsweise moderaten Preisen an.
Im „Mastan“ kann man En-cas, also Häppchen, zwischen sechs und zwölf Euro verzehren. Vorspeisen sind zwischen acht und 14 Euro zu haben, während die Preisspanne für die Hauptgerichte zwischen 22 und 28 Euro liegt. Die Käse- und Wurstspezialitäten ebenso wie die Butter kommen in Mastantuonos Bistronomie von „Les Épicuriens“. Der französische Delikatessenhändler hat seinen Sitz in der Kreuzberger Marheineke Markthalle und wurde beim Cheese-Berlin-Wettbewerb im Jahr 2017 als bester Käsehändler der Stadt ausgezeichnet. „Mir ist der Kontakt zu den Erzeugern sehr wichtig“, sagt Yann Mastantuono. „So erfahre ich mehr über die Qualität der Zutaten und kann die Jahreszeiten und Ernten vor Ort miterleben.“
Dass es sich bei dem Käse und der Butter tatsächlich um außergewöhnliche Gaumenschmeichler handelt, erfahren wir sowohl am Anfang wie auch am Ende unseres Abends. Wir starten mit Radieschen-Butter und dem scharfen Knollengemüse in den kulinarischen Teil unserer kleinen Auszeit. Das Butter-Pesto mit Radieschen, Schalotten und Knoblauch ist wunderbar vollmundig und ein typischer französischer Appetizer, wie der Küchenchef erklärt. Keine Petitesse in Sachen Köstlichkeit ist die kurz angebratene Tagliata vom Simmental-Rind mit frittierten Kapern, Anchovis-Butter und Petersiliencoulis. Auch mein Begleiter ist begeistert, die Fusion der Sardellen-Creme mit dem Kräuter-Püree findet er absolut gelungen. Dann reisen wir kulinarisch weiter in den Süden mit einer Crèmesuppe aus geeisten Erbsen, Dips von frischem Ziegenkäse und der spanischen Gewürzmischung Pimentón de la Vera. Dezent scharf und hochköstlich!
Wahre Frühlingsgefühle erleben Gaumen und Zunge beim Genuss vom saftig-zarten Bauernperlhuhn mit weißem Spargel von Binchotan, Bauernspeck und tiefenaromatischem Bärlauch. Yann Mastantuono setzt den Fokus seiner Kochkunst auf naturbelassene Produkte und will die Speisekarte saisonbedingt wöchentlich variieren, sagt er.
Wunderbar fluffiger Kuchen
Die französische Küche an die Vorlieben vieler Berlinerinnen und Berliner anzupassen, die vegetarisch oder vegan essen wollen, stellt für den zugezogenen Küchenchef eine Herausforderung dar. Schließlich ist die Küche à la française traditionell fleischdominiert. Doch der gebürtige Franzose scheut sich nicht vor neuen Aufgaben. „Man lernt sein ganzes Leben lang dazu“, erklärt er uns lächelnd. Dass er die vegetarische Herausforderung fabelhaft gemeistert hat, merken wir beim Genuss des butterzarten gebratenen Knollenselleries an einer Grenobloise und geräucherten Mandeln.
Selbstverständlich kommt in den Mastan’schen Töpfen und Pfannen auch Fisch nicht zu kurz. Und so goutieren wir Knurrhahn an mediterraner Fischsuppe, Fenchel und einer zartschmelzender Rouille aus Olivenöl, Knoblauch und Kartoffeln. Den Meeresfisch mit dem ungewöhnlichen Namen und anderes Seafood mag der Neu-Berliner nicht von südfranzösischen Häfen beziehen, sondern lässt ihn sich vom Hamburger Fisch-Händler „Frisch gefischt“ liefern. Das Seafood-Unternehmen an der Alster setzt auf saisonalen und nachhaltigen Fischfang.
Zwischendurch berät uns Sarah, die charmante französische Sommelière, noch bei den Weinen und hat dabei immer den richtigen Riecher – wie etwa dem fabelhaften Côtes du Rhône von der Domaine de Panisse. Auch bei der Nachfrage hinsichtlich der Desserts liegt sie goldrichtig, als sie uns den Clafoutis aus Äpfeln empfiehlt. Der noch ofenwarme, wunderbar fluffige Kuchen ist einfach très délicieux. Aus Neugier lassen wir uns auch einen klassischen Savarin mit altem Rum und leicht geschlagener Sahne schmecken. Auch lecker, aber unser Favorit ist und bleibt der Clafoutis.
Weitere lukullische Frühlingsgefühle erweckt am Ende die kleine, aber feine Käseplatte von „Les Épicuriens“. So schmelzen wir auch noch beim letzten Gang dahin. Danach fühlen wir uns angenehm gesättigt, aber ohne Wackersteine im Magen. So leicht und beflügelt würden wir am liebsten hier noch verweilen und den Abend nicht enden lassen. Hier an der Gneisenaustraße und am Mittelmeer in Berlin.