Die amerikanische Schauspielerin Claire Danes spricht über die TV-Serie „Fleishman Is In Trouble“, den Mut zur Wahrheit, die gesellschaftliche Rolle von Frauen und warum sie beim Völkerball aggressiv wird.
Mrs. Danes, Sie haben an der Yale University Psychologie studiert. Hilft Ihnen das dabei, sich als Schauspielerin besser in Ihre Rollen einfühlen zu können?
Ach, das waren ja nur ein paar Semester und das ist auch schon sehr lange her. Ich glaube eher, dass das Studium mein Interesse an meinen Mitmenschen zeigt. Ich will wissen, was sie bewegt, wie sie ticken. Auf welche Weise sie versuchen, mit ihrem Leben klarzukommen. Diese Neugier auf Menschen hilft mir aber ganz sicher bei der Schauspielerei. Und natürlich auch im wirklichen Leben. Jede Figur, die ich darstelle, ist doch anders. Das ist ja gerade das Interessante. Ich bereite mich jedenfalls auf jede Rolle akribisch vor.
Wie haben Sie das bei Rachel, Ihrer Figur in „Fleishman Is In Trouble“, gemacht? Sie verschwindet plötzlich und lässt die Kinder bei ihrem Ex-Mann zurück. Wie haben Sie versucht, den seelischen Zustand dieser Figur zu erfassen?
Naja, ich will hier nicht gleich zu viel verraten … Denn Rachels Verschwinden ist zunächst sehr mysteriös. Um die richtige Antwort darauf zu finden, muss man sich schon alle acht Episoden ansehen. Zur Vorbereitung auf die Serie habe ich mich intensiv mit dem Phänomen der postnatalen Depression auseinandergesetzt. Das Themenfeld hat mich wahnsinnig interessiert. Ich habe ja selbst zwei Kinder. Deshalb habe ich auch selbst schon Erfahrungen mit diesen hormonellen Schwankungen gemacht, die oft ziemlich brutal sein können. Zum Glück bin ich von der Wochenbett-Depression verschont geblieben. Ich habe aber sehr großes Mitgefühl für die Frauen, die darunter leiden. Mich gründlich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, war also eine wichtige Voraussetzung, um in die Psyche von Rachel eintauchen zu können.
Verstehen Sie, wie man als Mutter seine Kinder einfach verlassen kann?
So jemanden zu spielen, ist sicher nicht leicht. Als Schauspielerin bleibt mir aber keine andere Wahl: Ich muss mich tief in Rachels seelisches Dilemma einfühlen. Ich finde es sehr wichtig, dass solche Probleme endlich auch einmal im Film oder im Fernsehen gezeigt werden. Ich bedauere es wirklich sehr, dass in unserer Pop-Kultur diese ganz speziellen Depressionen fast total ausgeblendet werden.
„Fleishman Is In Trouble“ zeigt auch verschiedene Aspekte von Einsamkeit auf. Gegen Einsamkeit haben Sie doch ein unschlagbares Mittel, oder etwa nicht?
Wie meinen Sie das?
„Die Schauspielerei ist die beste Antwort auf Einsamkeit, die ich finden konnte“, sagten Sie mal.
(Lacht) Ach, das war vor vielen Jahren. Mittlerweile habe ich auch andere Antworten gefunden. Aber auf gewisse Weise stimmt es immer noch. Man ist vor der Kamera doch nie wirklich alleine, sondern interagiert immer mit anderen Schauspielern. Andererseits habe ich ja viele Jahre lang fast ununterbrochen gearbeitet, und das hat meinen Freundeskreis erheblich ausgedünnt. Es war auch meiner geistigen und körperlichen Gesundheit nicht immer zuträglich.
Können Sie leicht loslassen? Manche Schauspieler nehmen ja ihre Rollen auch mit ins Privatleben.
Ich kann das eigentlich gut trennen. Wenn ich aber eine Figur wirklich auslote, dann beschäftigt mich das schon über eine längere Zeit. Das ist ja gerade das Reizvolle daran, dass ich durch meine Arbeit immer neue Impulse bekomme. Nehmen wir zum Beispiel die Ehe von Rachel und Toby: Wie kann eine scheinbar so gute Ehe zerbrechen? Ist das nicht seltsam? Ich glaube, dass diese Serie auch an unsere Urängste rührt. Und viele Fragen aufwirft. Wie genau kennen wir eigentlich unseren Ehepartner, unsere besten Freunde? Und wie gut kennen wir uns eigentlich selbst? Wie weit können wir uns selbst vertrauen? Letztlich kann alles zerbrechen … Das finde ich persönlich sehr beunruhigend.
Nach der Kultserie „Homeland“ haben Sie in der Gothic-Miniserie „The Essex Serpent“ eine englische Witwe gespielt …
Ja, ich wollte so weit weg wie nur möglich von meinem „Homeland“-Image. Denn wenn man als Schauspieler erst mal in einer Schublade drinsteckt, kommt man nur schwer wieder heraus. Das Witzige dabei ist ja, dass ich während der Dreharbeiten zu „The Essex Serpent“ Taffys Buch gelesen habe. Das hatte mir eine Freundin geschenkt mit dem Hinweis, ich solle das unbedingt lesen. Denn da gebe es eine super Rolle für mich. Also las ich es und war total fasziniert, sowohl von der Story als auch von Rachel. Es war fast wie eine kosmische Fügung. Nicht ich habe die Rolle ausgewählt, sondern sie mich!
Wie nehmen Sie bei einem neuen Projekt eigentlich Fühlung mit den Kollegen auf?
Oh, das ist sehr unterschiedlich. Sehr oft trifft man sich das erste Mal beim gemeinsamen Drehbuch-Lesen. Wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht stattfindet, dann eben zum ersten Mal direkt am Set. In diesem Fall hatten wir alle zusammen vor Drehbeginn ein paar Abendessen. Und ein, zwei Gläser Wein halfen sicher auch dabei, dass man sich beim Beschnuppern näherkommen konnte. Außerdem hatten wir auch ein paar Proben. Das ist ein echter Luxus. Oft ist dafür nämlich keine Zeit. Und dann haben wir auch noch Völkerball spielen müssen.
Völkerball?
Ja, Sie wissen schon, da versucht jedes Team aus dem Spielfeld heraus das gegnerische Team abzuschießen. Das ist anfangs ganz lustig, kann aber schnell richtig hart werden. Unsere Regisseure wollten einfach sehen, wie sehr unser Kampfinstinkt entwickelt war und wie sehr wir bereit waren, uns auch bis aufs Blut zu streiten. (Lacht) Und ganz ehrlich: Wenn man immer wieder „abgeschossen“ wird, macht einen das schon ganz schön aggressiv …
Wird man jenseits der 40 nicht gelassener?
Ist das Ihr Ernst? Nicht wirklich. Jedenfalls nicht ich. Und auch an den Quatsch, dass man mit dem Alter angeblich klüger wird, glaube ich überhaupt nicht. Ich stelle mir auch mit 43 noch dieselben Fragen, die ich mir mit 23 gestellt habe: Wer bin ich eigentlich? Wohin will ich denn mit meinem Leben? Und dann steht man doch wieder an einer Kreuzung und muss entscheiden, welchen Weg man einschlägt. Daran ändert sich auch im Alter wohl nichts. Wir alle wollen doch unseren großen Lebensentwurf aufrechterhalten. Und zwar trotz der vielen Unstimmigkeiten und emotionalen Verletzungen. Leben heißt auch, ertragen lernen. Aber das ist schon okay. Vielleicht erkennen wir so die Wahrheit etwas besser. Und das kann dazu führen, dass wir unserem Gegenüber wieder näherkommen können.
Es gibt das Vorurteil, dass sich Frauen untereinander oft bekriegen, statt sich zu helfen oder zu unterstützen. Stichwort „Stutenbissigkeit“ …
Das gibt es sicher auch, ist aber bestimmt nicht die Regel. Und genau das ist ja gerade der Triumph von „Fleishman Is In Trouble“: Hier wird endlich einmal gezeigt, wie sich Frauen gegenseitig unterstützen. Und sich rückhaltlos öffnen. Die wenigsten von uns sind Biester, glauben Sie mir.
Es gibt das Phänomen, dass Zuschauer und auch Zuschauerinnen bei Konflikten zwischen Männern und Frauen im Film sehr schnell Partei für den Mann ergreifen. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Das finde ich sehr interessant und sehr entlarvend. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch bei unserer Serie die meisten Zuschauer sofort viel Mitgefühl für Toby haben. Vor allem, weil er doch unter großem beruflichen und privaten Stress steht. Hinzu kommt noch, dass die beiden minderjährigen Kinder sehr unter der Trennung von ihrer Mutter leiden. Sofort wird Rachel zum Sündenbock gemacht! So sind wir eben konditioniert: Wir verdammen die Frau und vergeben dem Mann! Ist doch so, oder etwa nicht? Erst gegen Ende unserer Geschichte erkennt man, dass es da natürlich zwei Seiten der Medaille gibt. Wie diese krassen Veränderungen aufgezeigt werden, das finde ich psychologisch wunderbar subversiv. Und ich finde es außerdem sehr mutig, dass diese Serie uns Frauen gestattet, sehr offen über unsere Probleme zu reden und sie auch zu zeigen. Zum Beispiel, was es in unserer westlichen Gesellschaft bedeutet, eine „Frau zu sein“. Und was es heißt, Ehefrau und Mutter zu sein … Bei „Fleishman Is In Trouble“ werden viele dieser dummen Etiketten weggerissen, die uns Frauen so gern aufgeklebt werden. Ich finde das wunderbar radikal.