Die Bundesregierung will künftig mehr Transparenz schaffen und Schweinefleisch gesetzlich nach der Tierhaltungsform kennzeichnen. Das soll auch dem Tierwohl und der Umwelt nutzen. Landwirte, der Deutsche Tierschutzbund und eine Expertin des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung zweifeln daran.
Krisenfest soll sie künftig sein, die deutsche Landwirtschaft, vor allem angesichts des Klimawandels. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages hat deshalb im April für den Entwurf des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes gestimmt. Es steht im Kontext der Tierwohlstrategie, denn die Haltung hat großen Einfluss auf das Tierwohl. Die Strategie zielt auf kleinere Bestände und weniger Tiere ab, was wiederum dem Klima zugute käme. Aus der Landwirtschaft, dem Tierschutz und der Wissenschaft kommt viel Kritik. Tut das Gesetz wirklich etwas für die Tierhaltung und damit auch für die Umwelt?
Vorgesehen ist eine staatlich verpflichtende Kennzeichnung der Haltungsform. In einem ersten Schritt wird nur das Fleisch von Schweinen gekennzeichnet. Später soll die Kennzeichnung dann auf andere Tiere ausgeweitet werden. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen durch ein Etikett erkennen, unter welchen Bedingungen ein Tier gehalten wurde. Die fünf Kategorien lauten: Stall, Stall + Platz, Frischluftstall, Auslauf/Weide und Bio. Sie beziehen sich nur auf die Stallform, nicht auf andere Tierwohlindikatoren wie beispielsweise die Vergabe von Antibiotika – und damit nicht darauf, wie gut oder wie schlecht es einem Tier tatsächlich ging.
„Das Ministerium legt sehr großen Wert darauf, diesen Unterschied klarzumachen. Und das hat auch mit dem verpflichtenden Charakter der Kennzeichnung zu tun. Denn eine verpflichtende Tierwohlkennzeichnung wäre aus verschiedenen rechtlichen Gründen wohl kaum so möglich gewesen“, erklärt Prof. Dr. Ute Knierim. Sie ist Fachgebietsleiterin für Nutztierethologie und Tierhaltung an der Universität Kassel sowie Mitglied in der Borchert-Kommission, dem Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung. Es wurde 2019 eingerichtet, um Empfehlungen zum Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu erarbeiten. „Die Tierhaltungskennzeichnung ist gar nicht unbedingt das zentrale Anliegen, auch von vielen anderen in der Borchert-Kommission. Die Enttäuschung ist nach wie vor relativ groß, dass die Finanzierung des Umbaus nicht wirklich vorangeht“, sagt Knierim – das wäre das zentrale Anliegen. Laut der Expertin hätten sich einige Stimmen im politischen Wettkampf besonders stark gemacht für eine verpflichtende Kennzeichnung. Allerdings ohne sich darüber im Klaren zu sein, welchen rechtlichen Rattenschwanz das nach sich ziehe und was EU-rechtlich alles berücksichtigt werden müsse.
Franz Josef-Eberl ist Präsident der Landwirtschaftskammer Saar, er betreibt konventionelle Landwirtschaft und Schweinemast. Laut ihm könne die Tierhaltung im Schweinebereich noch gar nicht angepasst werden. Rechtliche Rahmenbedingungen seien noch nicht geklärt und darüber hinaus fehle die Finanzierung. Denn mit dem Gesetz gehen Anpassungen im Bau- und Genehmigungsrecht, in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft) einher. Der Umbau soll mit einer Anschubfinanzierung von einer Milliarde Euro für eine Laufzeit von vier Jahren gefördert werden. Die seien allerdings nicht ausreichend und der Markt alleine würde es nicht regeln. Das sieht nicht nur der Landwirt, sondern auch Ute Knierim so. „Der Kunde orientiert sich momentan stärker am Preis denn je. Nach außen bekundet er schon Interesse an Tierwohlfleisch und den Willen, dafür zu bezahlen. Aber an der Kasse spiegelt sich das nicht wider“, erklärt Eberl.
Finanzierung ist nicht ausreichend
Zudem werden nicht alle Stallkategorien finanziell gefördert. Ein Umbau wird nur ab der Stufe Frischluftstall finanziert, der Stallform, die das Bundesumweltministerium als langfristiges Ziel für alle Tiere vorsieht. „Und das hat auch damit zu tun, dass innerhalb der Ampel eine Blockade durch die FDP besteht, das Finanzierungskonzept der Borchert-Kommission umzusetzen, und dadurch deutlich weniger Mittel als notwendig zur Verfügung stehen“, erklärt Ute Knierim. Das Kompetenznetzwerk hatte eine mengenbezogene staatliche Tierwohlabgabe und eine Rücknahme des ermäßigten Steuersatzes auf tierische Produkte empfohlen. Doch daraus scheint nichts zu werden. Derzeit sieht die Bundesregierung eine Förderung von 65 Prozent für die laufenden Mehrkosten vor. Das Kompetenznetzwerk hatte eine hundertprozentige Förderung empfohlen. Die Kategorie Stall + Platz liege immerhin über dem Mindeststandard und sei damit wenigstens eine kleine Verbesserung. Laut Ute Knierim hätte man darüber nachdenken können, diese für eine begrenzte Zeit zu fördern. Doch auch hier gehen die Meinungen auseinander.
„Statt unzureichender 20 Prozent mehr Platz will man den Schweinen in der Stufe Stall + Platz nun lediglich noch 12,5 Prozent mehr Platz zugestehen. Das ist weniger als ein Quadratmeter pro Tier“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Der kritisiert den Gesetzesentwurf scharf. „Eine transparente Kennzeichnung sollte das gesamte Leben des Tieres, von der Zucht bis zur Schlachtung, abbilden – und nicht allein die Haltung während der Mast.“ Schlachtung und Transport sind aber noch von der Kennzeichnung ausgenommen. Darüber hinaus sieht der Deutsche Tierschutzbund bei dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz keine Anreize für Landwirtinnen und Landwirte, auf bessere Haltungsformen umzustellen. Laut Tierschutzbund hätte man das beispielsweise durch ein verbindliches Ablaufdatum für die Stufen Stall und Stall + Platz in den kommenden Jahren erreichen können.
Nachteile im Wettbewerb
Ute Knierim gibt zu bedenken: „Die Tierhaltungskennzeichnung ist nur ein Baustein. Das ist nicht der Weg, über den die Tierhaltung verbessert wird. Das wirkt nur im Zusammenspiel mit der Förderung der Betriebe, die höhere Anforderungen einhalten.“ Ob Landwirtinnen und Landwirte durch das Gesetz motiviert werden, ihren Ställen ein Upgrade zu geben, bleibt also fragwürdig. Das finanzielle Förderkonzept der Bundesregierung beinhaltet eine langfristige Perspektive. Diesbezüglich orientiert es sich an den Empfehlungen der Borchert-Kommission und strebt Regelungen mit Laufzeiten von zehn Jahren an.
Simon Wack betreibt biologische Landwirtschaft und Schweinemast. Laut ihm kommt es auf die Planungssicherheit an. „Es geht immer um viel Geld, wenn ein Stall umgebaut wird. Das sind oftmals Dinge, die mit Fremdkapital finanziert werden. Dann bindet sich der Betrieb über eine Finanzierung auf zehn, 15 oder 20 Jahre“, erklärt er. Sein konventionell arbeitender Kollege Franz-Josef Eberl denkt, dass der Strukturwandel weitergehen wird. „Ich glaube, wer gerne in der Produktion bleiben will, hat jetzt schon mehr Druck, dem Kundenwunsch zu entsprechen. Der Kunde entscheidet, was er kaufen will, und daran haben wir uns zu orientieren. Aber wer unter momentanen Bedingungen nachrechnet, kommt eigentlich zu dem Entschluss: aussteigen.“
Der Druck auf die deutsche und vor allem die regionale Landwirtschaft ist groß. Denn Fleisch aus EU-Mitgliedstaaten und Drittländern unterliegt lediglich einer freiwilligen Kennzeichnung, was auf das EU-Recht zurückgeht. Laut Ute Knierim ist der Wettbewerbsnachteil unabhängig von einer verpflichtenden Kennzeichnung und hängt damit zusammen, dass an deutsche Betriebe höhere Anforderungen gestellt werden. Deshalb sei der Grundgedanke der Borchert-Kommission, den Wettbewerbsnachteil durch eine Kompensation der Mehrkosten auszugleichen. Deshalb hätte der Wissenschaftlerin zufolge zuerst die Finanzierung und dann die Kennzeichnung geregelt werden müssen. „Eine verpflichtende Kennzeichnung für alle Fleischprodukte wäre der einzige Hebel, wonach man die deutsche Schweinefleischproduktion hätte absichern können. Die Firmen, die zwischen uns und dem Kunden sind – der Schlachtbetrieb, der Zerlegebetrieb, Verarbeitung – werden sich mit billigem Rohstoff eindecken und die deutsche Ware bleibt für die übrig, die sie sich leisten wollen und können“, erklärt der Präsident der Landwirtschaftskammer Saar.
„Ein Stück weit geht es um den Schutz der heimischen Landwirtschaft. Die Globalisierung oder der EU-Handel sind bei solchen Labels das größte Problem. Nämlich dann, wenn Sachen von außerhalb reinkommen, die nicht gelabelt sind“, sagt Simon Wack. „Ich kann die Schweine, die so arbeitsintensiv sind und so gehalten werden, nicht einfach an den Großhandel verkaufen. Da komme ich nicht raus mit meinen Preisen.“ Deshalb hat der Familienbetrieb Wack sich seine Absatzwege über 30 Jahren aufgebaut und betreibt einen eigenen Hofladen. Der Bio-Landwirt macht sich keine Sorgen, sein Fleisch nicht loszuwerden. Trotzdem sieht er die Nachteile für die regionale Landwirtschaft. Wem also hilft das Gesetz?
Der Deutsche Tierschutzbund hält es in seiner aktuellen Form sogar für eine Gefahr für den Tierschutz. „Wir befürchten, dass die Haltungsformen Stall und Stall + Platz, die dem Tierschutz bei Weitem nicht entsprechen, auf lange Zeit zementiert werden“, sagt Thomas Schröder und fügt hinzu: „Wenn Fleischprodukte durch diese beschönigenden Bezeichnungen quasi ein staatliches Gütezeichen erhalten, kann dies mehr Tierschutz sogar verhindern. Die Branche wird sich in den Stufen am untersten Niveau ausrichten.“
„Dschungel von Kennzeichnungen“
Bleibt also die Frage nach dem Nutzen für Konsumentinnen und Konsumenten, was in erster Linie das Ziel des Gesetzes ist. Franz-Josef Eberl und Simon Wack sind sich einig, dass eine Kennzeichnung an sich etwas Gutes und von den Kundinnen und Kunden gewollt sei. „Das Problem ist meiner Meinung nach nur, dass es momentan viel zu viele Kennzeichnungen gibt. Bei diesem ganzen Dschungel von Kennzeichnungen blickt ja kein normaler Mensch mehr durch“, kritisiert der Bio-Landwirt.
Denn seit April 2019 gibt es die freiwillige privatwirtschaftliche Haltungs-Kennzeichnung der Initiative Tierwohl, der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung. Sie finanziert sich über einen Tierwohl-Aufpreis, den die teilnehmenden Partner aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft, Lebensmittelhandel und Gastronomie zahlen. Die Haltungs-Kennzeichnung ist numerisch über vier Kategorien mit wiederum eigenen Kriterien geregelt: „1 Stallhaltung“, „2 StallhaltungPlus“, „3 Außenklima“ und „4 Premium“. Sie ordnet alle bereits etablierten Tierwohl-Siegel in die genannten vier Kategorien ein, um den Konsumentinnen und Konsumenten mehr Überblick zu verschaffen. Jetzt muss die Person, die am Regal steht, allerdings erst wissen, dass sich die privatwirtschaftliche Kennzeichnung auf das Tierwohl und die staatliche Kennzeichnung auf die Tierhaltung bezieht – und wo da eigentlich der Unterschied besteht. Eine Alternative wäre eine staatlich geregelte freiwillige Kennzeichnung gewesen.
Wer den Überblick behält, könnte tatsächlich eine bessere Kaufentscheidung für sich treffen. Und kauft vielleicht das Fleisch, das von glücklicheren Tieren stammt, besser für die Gesundheit und die Umwelt ist. „Ich glaube, das ist eine Frage von Generationen. Ich kann mir das schon vorstellen, dass das in den Köpfen reifen kann und muss. Aber ich glaube nicht, dass das innerhalb von einer Dekade funktioniert“, erklärt Franz-Josef Eberl. Bio-Landwirt Simon Wack sieht das anders. „Ich glaube, Leute, die sich wirklich damit auseinandersetzen wollen, wo ihr Fleisch herkommt und wie die Tiere gehalten werden, machen das nicht von einem Label abhängig.“ Die Expertin Ute Knierim ist skeptisch, will sich aber gern überraschen lassen. Sie sagt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Und am Ende ist die Tierhaltungskennzeichnung hoffentlich nur der Anfang.